Rheinische Post Krefeld Kempen
Blinde Passagiere an Bord
Die „Nave Andromeda“löste vor der britischen Küste einen Großeinsatz aus. Das Militär stürmte in der Nacht den Öltanker.
In einer dramatischen Aktion haben britische Spezialkräfte am Sonntagabend einen Öltanker vor der Isle of Wight gestürmt. Die „Nave Andromeda“, ein 42.000 Tonnen schwerer Tanker unter liberianischer Flagge, hatte blinde Passagiere an Bord, die die Besatzung bedroht hatten. Kommandosoldaten des „Special Boat Service“(SBS) konnten die sieben blinden Passagiere binnen Minuten überwältigen. Bei ihnen soll es sich, wie die BBC meldete, um Nigerianer handeln, die Asyl in Großbritannien beantragen wollen.
Die „Nave Andromeda“war am 6. Oktober vom nigerianischen Lagos zum Zielhafen Southampton an der englischen Südküste aufgebrochen. Die blinden Passagiere wurden während der Fahrt von der Besatzung entdeckt. Als man sie festsetzen wollte, soll es seitens der Männer zu verbalen Bedrohungen gekommen sein. Daraufhin schloss sich die Besatzung in einem Schutzraum ein, der sogenannten „Zitadelle“, von dem aus das Schiff kontrolliert werden konnte. Das ist in solchen Fällen Standardpraxis. Gegen 9 Uhr am Sonntagvormittag setzte der Kapitän einen Notruf ab.
Verteidigungsminister Ben Wallace und Innenministerin Priti Patel gaben grünes Licht für einen militärischen Einsatz, „um Leben zu schützen und ein Schiff zu sichern, das Ziel einer mutmaßlichen Entführung wurde“, wie es in einem Tweet des Verteidigungsministeriums hieß. Daraufhin bereiteten sich die im nahegelegenen Poole stationierten Spezialkräfte des SBS auf einen Einsatz vor, den sie schon oft trainiert hatten. Kurz nach Einbruch der Dunkelheit näherten sich vier Kampfhubschrauber dem
Schiff, und 16 mit Sturmgewehren und Nachtsichtgeräten ausgestattete Kommandosoldaten seilten sich auf das Deck der „Nave Andromeda“ab. Es war eine Operation wie aus dem Lehrbuch. Innerhalb von neun Minuten war die Aktion beendet, und die sieben blinden Passagiere waren festgesetzt. Verletzte habe es keine gegeben, teilte das Verteidigungsministerium mit.
Jetzt muss die Polizei ermitteln, ob es sich bei den blinden Passagieren um Kriminelle handelt, die das Schiff kapern wollten, womöglich gar um Terroristen oder einfach nur um Asylsuchende. Wahrscheinlich ist letzteres der Fall, wie der BBC-Korrespondent Jonathan
Beale meinte. Das maritime Versicherungsunternehmen „West of England P&I Club“bestätigte, dass westafrikanische Häfen zurzeit die größten Problemgebiete für blinde Passagiere sind und Lagos in den vergangenen Jahren in dieser Hinsicht zum Brennpunkt geworden ist.
Im Januar diesen Jahres wurden vier blinde Passagiere, die aus Nigeria und Liberia stammen, von einem englischen Gericht zu sieben Jahren Haft verurteilt. Sie hatten sich auf dem italienischen Schiff „Grande Tema“versteckt, das von Lagos aus die Tilbury Docks nahe London ansteuerte. Die vier Männer wurden entdeckt und zunächst in einer Kabine eingesperrt. Sie konnten sich befreien und bedrohten daraufhin die Besatzung mit Eisenstangen und anderen Waffen. Wie im Fall der „Nave Andromeda“konnten SBS-Kommandotruppen die Kontrolle über das Schiff zurückgewinnen. Die vier blinden Passagiere hatten vor, Asyl in Großbritannien zu beantragen.
Nachdem der Einsatz vor der Isle of Wight erfolgreich beendet war, bedankte sich Patel in einem Tweet bei „unserer Polizei und unseren Streitkräften, die in der Lage waren, die Situation unter Kontrolle zu bringen“. Sie dürfte zufrieden sein über die gelungene Aktion, denn die Innenministerin fährt einen harten Kurs in Sachen illegaler Immigration. Sie setzt auf Abschreckung von Asylbewerbern und damit eine Politik ihrer einstigen Vorgängerin Theresa May fort, die die Losung ausgegeben hatte, dass für Migranten ein „feindliches Umfeld“geschaffen werden muss.
Im Vergleich zu Deutschland hat Großbritannien deutlich weniger Asylbewerber. Bis Juni 2019 wurden etwas mehr als 32.600 Flüchtlinge gezählt. Allerdings stieg in den vergangenen Monaten die Zahl der illegalen Migranten stark an, die den Ärmelkanal in kleinen Booten überquerten, um in das Königreich zu gelangen. Bis Ende August waren es rund 5000, mehr als doppelt so viele wie im Vorjahr.