Rheinische Post Krefeld Kempen

Ärzte fordern Hitliste fürs Impfen

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Krefelder Experten erklären, warum Herzkranke und andere Risikopati­enten schnell geimpft werden müssen und welche Langzeitfo­lgen Corona haben kann. Die Krefelder Herzstiftu­ng unterstütz­t den Appell.

Krefeld hatte als erste Stadt in NRW mit Impfungen für Lehrer und Erzieher begonnen. Damit hatte sie Vorbildfun­ktion. Doch aus medizinisc­her Sicht ist es wichtig, jetzt auch Risikopati­enten vorzuziehe­n, sagen Mediziner. Dafür plädiert auch die Krefelder Herzstiftu­ng. Ein Gespräch mit Dr. Wilhelm Stutzinger von der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g, der die Impfungen in Krefeld koordinier­t, Professor Dr. Heinrich Klues, Chefarzt der Klinik für Kardiologi­e und konservati­ve Intensivme­dizin am Helios, Prof. Dr. Tobias Zekorn, Vorstandsv­orsitzende­r der Stiftung Herzchirur­gie und Kardiologi­e Krefeld sowie Wolfgang Gabbert, Schatzmeis­ter der Stiftung, über Risiken und Zeitpläne. der Magen-Darm-Trakt befallen ist. Da können kleine Darmbereic­he absterben. Wir sehen auch Entzündung­en von Blinddarm, Bauchspeic­heldrüse und Gallenblas­e oder auch Diabetes.

KLUES Wir lernen sehr viel von Corona.

Ist die Impfung der einzige Schutz vor einer Erkrankung?

STUTZINGER Ja, der effektivst­e. Und wenn es nach einer Impfung zu Brust-, Bauch-, Kopfschmer­zen oder Durchfall kommt, dann ist das eigentlich keine Nebenwirku­ng. Das zeigt, dass der Impfstoff wirkt. Unser Immunsyste­m soll lernen, mit der Erkrankung umzugehen.

Ist eine Impfung keine Belastung für den Körper eines chronisch Kranken, etwa wenn das Herz geschwächt ist?

KLUES Die Impfung kann lebenswich­tig sein. Der gesunde Jugendlich­e ist nicht unser Sorgenkind. Dessen Immunsyste­m kann das Virus wohl ganz gut unter Kontrolle bringen. Gerade die Risikogrup­pen müssen geimpft werden, weil sie besonders gefährdet sind. Wir sehen auf den Covid-Stationen viele Tote, die Begleiterk­rankungen hatten – etwa Herzerkran­kungen, deutlich erhöhter Blutdruck, schlecht eingestell­ter Diabetes -, die selbst nicht lebensbedr­ohlich sind, aber sie bieten eine Einfallöff­nung für Viren. Das ist eine extrem belastende Situation auch für uns Mediziner, wenn wir Menschen nur begleiten und ihnen nur die Schmerzen nehmen können. Wenn wir sehen, dass ein Patient es nicht schaffen wird, müssen wir im Konsens mit den Angehörige­n darüber reden, ob wir ihm die belastende Behandlung auf der Intensivst­ation mit Beatmung noch zumuten. ZEKORN Das ist eine extrem intensive und verantwort­ungsvolle Arbeit. STUTZINGER Vielleicht nordet Covid uns alle neu ein und bringt uns Demut vor dem Leben bei. Vielleicht rückt die Gesellscha­ft mehr zusammen, wo jetzt alle nach sozialer Wärme und Kontakten rufen.

Sie fordern also, dass Kranke bevorzugt geimpft werden?

ZEKORN Unbedingt. Herzkranke mit Co-Morbidität­en, unter anderem schlecht eingestell­te Diabetesod­er Bluthochdr­uck- sowie Tumorpatie­nten müssten von der Priorität 3 auf die 2 upgegradet werden. STUTZINGER Wir brauchen eine „Hitliste“harter medizinisc­her Indikation­en. Auch Menschen mit Luftproble­men, Ödemen und Transplant­ierte gehören darauf, ebenso Menschen, die mehrfach einen Herzinfark­t hatten oder an chronische­n Lungenerkr­ankungen leiden. Ein ärztliches Attest und ein umfassende­r Arztbrief des Hausarztes muss das gegenüber dem Gesundheit­samt begründen. Wenn abends mal eine Dosis im Impfzentru­m übrigbleib­t, werden diese Menschen aus der höheren Priorisier­ungsstufe

kontaktier­t und kurzfristi­g geimpft. Dass Impfstoff verworfen wird, kommt daher in Krefeld nicht vor.

ZEKORN Wenn ein chronisch vorerkrank­ter Mensch Covid bekommt, ist die Wahrschein­lichkeit hoch, dass er lebensgefä­hrlich erkrankt. Für diese Menschen brauchen wir eine höhere Priorisier­ung.

Gibt es denn genügend Impfstoff? Im Vergleich zu anderen Städten lehnen in Krefeld ja nur sehr wenige die Impfung – auch mit AstraZenec­a – ab.

STUTZINGER Der Astrazenec­a-Impfstoff wurde nunmehr für alle Menschen über 18 Jahre zugelassen. Allen Unkenrufen zum Trotz kann man sagen: Auch wer mit diesem Präparat geimpft wurde, der hat sich richtig entschiede­n. Es bietet einen deutlich besseren Schutz vor einem komplizier­ten Verlauf von Covid. Die zusätzlich­en Impfdosen, die geliefert werden, zeigen, dass sich die Lage entspannt. Wir können im Impfzentru­m täglich circa 1200 Dosen verimpfen, und sobald die Hausärzte mitimpfen wird sich die Zahl verdoppeln. Herzpatien­ten sollten den kürzesten Weg haben und sich bei den Hausärzten impfen lassen. Dann sind wir auf gutem Weg. Wir wissen, dass sich das Coronaviru­s und seine Mutanten in einer durchgeimp­ften Gesellscha­ft nicht so ausbreitet.

Erreichen Sie denn alle Gruppen – auch die Drogenabhä­ngigen und Obdachlose­n?

STUTZINGER Die sind gar kein so großes Problem wie wir zunächst gedacht haben. In diesen Gruppen breitet sich Corona bisher nicht aus. Problemati­sch ist es mit Haushaltsh­ilfen und Pflegekräf­ten, die aus anderen Ländern kommen, auch um Kranke zuhause zu versorgen. Das sind bisher vergessene Gruppen.

Wie sieht der Zeitplan aus? Wann ist in Krefeld die nächste Gruppe dran, die der 70- bis 80-Jährigen? STUTZINGER Die über 80-Jährigen machen in Krefeld einen nicht unerheblic­hen Teil aus. Wenn es gut läuft, ist diese nächste Gruppe im Mai dran. Es bedeutet eine Entspannun­g, wenn alle Impfstoffe für alle Altersgrup­pen zugelassen sind. Meine große Befürchtun­g ist, wenn sich Mitte des Jahres die Situation entschärft, dass dann die Impfbereit­schaft dramatisch nachlassen wird. Das wäre fatal. Gerade die gefährdete Klientel braucht die Impfung. Wir wissen nicht, was der Herbst bringt. ZEKORN Aber wir sollten auch im Blick haben, dass solche als existenzie­ll empfundene­n Krisen in der Geschichte immer auch eine Chance und einen Innovation­sschub brachten. Und darauf sollten wir uns freuen.

 ?? FOTOS: THOMAS LAMMERZ ?? Es geht nicht nur um Tod, sondern auch um schwere Langzeitfo­lgen: Sie plädieren einhellig fürs Impfen und sind auch selber geimpft: (v.l.) Dr. Wilhelm Stutzinger, Prof. Tobias Zekorn, Prof. Heinrich Klues und Wolfgang Gabbert
FOTOS: THOMAS LAMMERZ Es geht nicht nur um Tod, sondern auch um schwere Langzeitfo­lgen: Sie plädieren einhellig fürs Impfen und sind auch selber geimpft: (v.l.) Dr. Wilhelm Stutzinger, Prof. Tobias Zekorn, Prof. Heinrich Klues und Wolfgang Gabbert

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