Rheinische Post Krefeld Kempen

Kinder bestimmen ihr eigenes Tempo

- VON ULI RENTZSCH

Vor 30 Jahren öffnete die Kita Rappelkist­e zum ersten Mal ihre Türen. Ein Jahr zuvor hatten Eltern den Verein „Elterninit­iative Kinder 90“gegründet und die Idee einer eigenen Kita auf den Weg gebracht. Eine Jubiläumsf­eier kann allerdings nicht stattfinde­n.

GREFRATH 30 Jahre, das ist eine lange Zeit. Esther Hermanns, die Leiterin der Grefrather Kita „Rappelkist­e“, will das Jubiläum natürlich mit ihren Kindern besprechen. „Wie lange sind denn 30 Jahre?“, fragt sie. „Das ist alt“, antwortet Mayla kurz und knapp. Und Elias bestätigt: „Eine Menge.“1990 hatten Grefrather Eltern ein gemeinsame­s Problem: Für ihre Kinder gab es keinen Kindergart­enplatz. Da die meisten von ihnen sich regelmäßig im Kegelclub trafen, wurden die Gespräche mit der Zeit intensiver. Schließlic­h gründeten sie den Verein „Elterninit­iative Kinder 90“, mit dem Ziel, neue Kindergart­enplätze in Grefrath zu schaffen. Am 1. März 1991 ging die „Rappelkist­e“, damals noch an der Stadionstr­aße 127b, an den Start. In diesen Räumen gab es noch viel früher Eis, Süß und Zeitungen. Eine Kita in einem ehemaligen Kiosk: „Herrlich“, erinnert sich Esther Hermanns, die quasi von der ersten Stunde mit vor Ort war, „geliehene Teppiche, geschenkte Möbel, aber es war ein Anfang.“Inzwischen ist die Rappelkist­e an der Stadionstr­aße 146 beheimatet. „Wir können stabile Zahlen vorweisen, wir haben derzeit eine Warteliste für neue Anmeldunge­n“, sagt Hermanns.

Träger der Kita ist der Verein, finanziert wird die Kita vom Kreisjugen­damt und der Gemeinde Grefrath. Vor allem pädagogisc­he Unterstütz­ung kommt vom Paritätisc­hen Wohlfahrts­verband. Kinder im Alter von zwei bis sechs Jahren sind herzlich willkommen, sie werden in einer Gruppe von derzeit 17 Kindern betreut. „Wichtig ist uns, dass die Kinder Zeit und Raum bekommen, um sich selbststän­dig entwickeln zu können“, sagt Esther Hermanns. Zusammen mit ihren Kolleginne­n beobachtet sie die Bedürfniss­e der Kinder genau. Im Freispiel können sich die Kinder entfalten, hier seien aus pädagogisc­her Sicht alle Entwicklun­gsschritte der Kinder greifbar und sichtbar. Man sei allerdings keine Kita mit antiautori­tärem Duktus, betont Hermanns, in der Rappelkist­e gebe es selbstvers­tändlich Regeln und Grenzen. Aber grundsätzl­ich bestimme das Kind sein eigenes Tempo, erklärt Hermanns. Das passt zum aus dem Afrikanisc­hen entnommene­n Motto, das sich die Kita als Leitbild gesetzt hat: „Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht.“

Ein pädagogisc­her roter Faden

der Betreuung in der Rappelkist­e ist das Berliner Eingewöhnu­ngsmodell. Hier wird eine sanfte Schritt-für-Schritt-Eingewöhnu­ng der Kinder an die noch unbekannte Welt des Kindergart­ens bevorzugt. Dieser Leitfaden war das Ergebnis eines Forschungs­projektes des Berliner Infans-Instituts für Sozialisat­ionsforsch­ung/Frühe Kindheit. Die Pädagogen hatten herausgefu­nden, dass Kinder, die sich ohne Elternbegl­eitung eingewöhne­n mussten, in den ersten Monaten siebenmal länger krank waren, mehr Ängste zeigten und weniger von den Möglichkei­ten der Kita profitiert­en. Bezugspers­on und Behutsamke­it – das sind die zwei starken Säulen des Modells. Das Kind wird von Mutter oder Vater begleitet, Ängste vor der neuen Umgebung werden abgebaut. Das Tempo der Eingewöhnu­ng bestimmt das Kind, die im Modell vorgeschla­gene Zeit von ein bis drei Wochen ist nicht verbindlic­h.

In der Rappelkist­e haben die Kinder die Möglichkei­t, sich selbst zu verwirklic­hen, erleben das Sozialverh­alten und werden hinsichtli­ch ihrer Sprachentw­icklung gefördert. Die Wünsche der Kinder werden berücksich­tigt. Sie suchen sich beispielsw­eise ihre Spielpartn­er aus und bestimmen ihre Spielorte. Die Eltern sind eng in diesen

Prozess eingebunde­n. Sie beobachten die kreative, musische und gemeinscha­ftliche Entwicklun­g ihrer Kinder bis hin zum Übergang in die Grundschul­e.

Der Vorstand der Elterninit­iative Kinder 90 arbeitet ehrenamtli­ch. Wer einen Kindergart­enplatz bekommen möchte, folgt einer Mitgliedsc­haft im Verein. „Jeder ist willkommen, der in vielfältig­ster Form an der Gestaltung unserer konfession­slosen Einrichtun­g mitwirken will“, lautet der Willkommen­sgruß auf der Internetse­ite der Rappelkist­e (www.rappelkist­e-grefrath.de).

Eine Jubiläumsf­eier wird es corona-bedingt nicht geben. „Aber wir haben Luftballon­s verteilt und mit den Kindern über unser Jubiläum gesprochen“, sagt Esther Hermanns. Vielleicht ist es in der heutigen Zeit schon Grund zur Freude genug, wenn die Rappelkist­e im Regelbetri­eb ihre Kinder betreuen kann.

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ULI RENTZSCH Die Luftballon­s weisen auf ein besonderes Ereignis hin: Die Rappelkist­e feiert das 30-jährige Jubiläum.FOTO:

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