Rheinische Post Krefeld Kempen
Lockdown im Labor
Praxisarbeit ist für viele Studiengänge essenziell. Doch was machen Chemiker, Ingenieure und Co., wenn der Campus verwaist ist?
KREFELD Unzählige Instrumente und Geräte, Stoffgemische und Mikroorganismen – sich in einem Chemielabor zurechtzufinden und Versuche durchzuführen, erfordert Übung. Diese erhalten die Studierenden normalerweise durch Praktika, bis sie im Labor – etwa für die Bachelorarbeit – selbstständig forschen können. Und nicht nur Chemiker verbringen einen großen Teil ihres Studiums im Labor. Auch für Ingenieure ist es unerlässlich, Fertigungsmesstechnik oder Werkzeugmaschinen praktisch zu nutzen.
An der Hochschule Niederrhein hat man sich deshalb entschlossen, Laborpraktika in kleinsten Gruppen auch in der Pandemie zuzulassen – während alle anderen Vorlesungen und Seminare digital abgehalten werden. „Wir stehen als Hochschule für angewandte Wissenschaft dafür, eine sehr praxisorientierte Ausbildung zu bieten“, sagt Berthold Stegemerten, Vizepräsident für Studium und Lehre an der Hochschule Niederrhein, „und es war und ist unsere Prämisse, dieses praktische Wissen auch in der Pandemie nicht einfach wegfallen zu lassen. Auch sollte durch den Corona-Lockdown niemandem der Studienfortschritt verlorengehen.“
Betroffen sind an der Hochschule vor allem Fächer wie Chemie und Oecothrophologie, aber auch Elektrotechnik und Maschinenbau, in denen Laborpraktika zum Studium gehören. „Mit bestimmten Apparaturen umzugehen, bestimmte Handgriffe im Labor zu üben, das kann man eben nicht zu Hause simulieren, und das lernt man auch nicht über Bücher oder per Video“, sagt Stegemerten. Unter strengen Hygienebedingungen durften diejenigen in die Labore, deren Praktikum essenziell ist, um im Studium voranzukommen.
Im Labor für Biotechnologie des Fachbereichs Chemie an der Hochschule Niederrhein beispielsweise forschen Wissenschaftler und Studierende mit Enzymen, Proteinen und Mikroorganismen. Derzeit ist Brita Gäbel, Wissenschaftliche Mitarbeiterin des Labors, im Wechsel mit Kollegen zwei bis drei Tage vor Ort und betreut studentische Projekte und Praktika. „In unserem Labor gab es – im Vergleich zu anderen – schon immer die Besonderheit, dass die Studierenden Termine machen müssen. Sie können nicht einfach spontan kommen, denn die Mikroorganismen müssen ja in einem Zustand sein, in dem man mit ihnen arbeiten kann. Dieser Umstand kommt uns nun zugute: Die Studierenden melden sich wie gewohnt an – in kleineren Gruppen.“
Statt acht Studierende seien maximal vier gleichzeitig im Labor, natürlich mit Schutzmasken. „Und sie bleiben an ihren Plätzen, laufen also nicht durch den Raum, beispielsweise zur Waage“, so Gäbel. Die Arbeitsplätze dafür vorzubereiten, sei eine zusätzliche Aufgabe der Wissenschaftlichen Mitarbeiter. Und: Nicht nur um die Studierenden müssen sich die Wissenschaftler kümmern. Die Mikroorganismen müssen herangezogen und am Leben gehalten werden. Schon im ersten Lockdown musste deshalb eine Lösung her. „Es gibt Kulturen, die kann man nicht wochenlang im Kühlschrank sich selbst überlassen“, erläutert Gäbel. „Und es hängen Projekte von Bachelorund Masterarbeiten von dem Überleben dieser Organismen ab.“Da die Mitarbeiter die Organismen nicht im heimischen Kühlschrank züchten konnten, musste die Versorgung sichergestellt werden.
Die Betreuung der Studierenden hat sich auch im Labor für Instrumentelle Analytik des Fachbereichs Oecotrophologie stark verändert. „Vor allem die Erstsemester sind froh, Ansprechpartner vor Ort zu haben. Da Gruppenarbeiten vor Ort nicht möglich sind, betreue ich derzeit meist 1:1, natürlich mit Abstand und Maske“, sagt Victoria Hornecker, Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Instrumentelle Analytik. „Natürlich ist so auch der Betreuungsschlüssel besser. Die Studierenden sind sehr diszipliniert. Sie sind froh, dass sie zumindest hin und wieder an die Hochschule kommen dürfen.“
Hornecker erklärt, dass in dem Labor der Glucosegehalt in Honig, den Glucose-, Fructose-, und Saccharose-Gehalt in Fruchtsaft sowie Fettsäuren in Lebensmitteln und Chlorophyll in pflanzlichen Proben untersucht werden. Zusätzlich gibt sie den Studierenden virtuell Einblicke in die Laborarbeit: „Ich habe online Messergebnisse in digitaler Form geteilt und einzelne Schritte für bestimmte Versuche erklärt.“
Ähnlich gingen die Professoren am Fachbereich Elektrotechnik und Informatik der Hochschule Niederrhein vor. Auch dort sind Praktika im Labor ein essenzieller Bestandteil der Studiengänge. Die technischen Studierenden sind darauf angewiesen, mit Messgeräten zu arbeiten. Via Online-Vorlesung gab es deshalb die nötigen theoretischen Grundlagen, die Versuchsaufbauten und die einzelnen Schritte der Versuche wurden online durchgespielt, bis die Studierenden schließlich ins Labor durften und ihr gelerntes Wissen praktisch, in verschiedenen Einzelversuchen und unter strengen Hygieneauflagen, anwenden können.
Übrigens: Einige Laborpraktika wurden tatsächlich nach Hause verlegt. In der Elektrotechnik bekamen einige Studierende ein Paket mit einem Raspberry Pi nach Hause geschickt – ein Mini-Computer, mit dem verschiedene Experimente programmiert werden konnten.