Rheinische Post Krefeld Kempen
„Weil die Zeit dunkel ist“
Der Sänger der Broilers spricht über das neue Album, Alice Weidel, Corona-Leugner und seine Sammlung christlicher Ikonen.
DÜSSELDORF Viele Künstler verschieben neue Alben, nicht so die Broilers. Die Düsseldorfer Punkrock-Band veröffentlicht am Freitag „Puro Amor“, und wie die beiden Vorgänger dürfte auch diese Platte wieder Platz eins der Charts erreichen. Die Stücke treiben nach vorn, es brummt wie auf Bruce Springsteens „Born To Run“. Wir treffen Sammy Amara, den Sänger und Texter der Broilers, zum Spaziergang am Rhein. Der 41-Jährige wuchs in Düsseldorf-Hellerhof auf. Sein Vater verließ den Irak in den 50er-Jahren, studierte in Heidelberg Medizin und ließ sich als Augenarzt in Düsseldorf nieder. Amaras Mutter arbeitete als Assistentin in einer Firma für Praxisbedarf, so lernte der Vater sie kennen. Amara ist der freundlichste Popstar, den man sich denken kann. Natürlich soll er sofort etwas zum auffälligsten Song der Platte sagen.
Auf „Puro Amor“gibt es ein Lied über die AfD-Politikerin Alice Weidel. Der Refrain ist ein Appell an die Lebensgefährtin Weidels: „Hol deine Frau ab, Sarah! / Sie redet wieder Nazidreck. / Nimm sie fest in den Arm / Nimm ihr die Streichhölzer weg!“Wie kam es dazu? AMARA Ich habe mir die Frage gestellt: Wie sieht es bei denen zu Hause aus? Denn Alice Weidel ist voll von Widersprüchen. Das Land, in dem sie lebt. Die Frau, mit der sie lebt. Schlägt ihre Partnerin abends mit der Hand auf den Tisch und fragt: Sag mal, tickst du noch sauber? Ich kann nicht begreifen, dass man sich der Konsequenzen seines Handelns nicht bewusst ist. Stellt sich Alice Weidel nicht manchmal vor, wie es wäre, wenn tatsächlich eintreten würde, was sie sich wünscht? Sei vorsichtig mit dem, was du dir wünscht.
Hat es lange gedauert, das Lied zu schreiben?
AMARA Der Text ging sehr schnell: ein Abend. Der Sound dauerte länger. Der Anfang hat so klezmerartige Bläser, damit wollte ich zusätzlich einen draufsetzen. Damit sie noch mehr Zornesröte bekommt, wenn sie es hört.
Viele Popstars verschieben neue Platten. Ihr nicht.
AMARA Ich wollte sie so schnell wie möglich draußen haben. Weil die Zeit dunkel ist. Die Leute können etwas gebrauchen, was sie aufmuntert. Sie kann sie den Menschen helfen in dieser Scheißzeit.
Die Gesellschaft polarisiert sich durch Corona. Was denkst du darüber?
AMARA Die Pandemie und die Verordnungen werden nur als Vehikel genutzt, um generell Frust rauszulassen. In all diesen Schwurbler-Theorien im Internet sind ja unfassbar viele Widersprüche. Es geht einfach nur ums Dagegensein. Nicht die Regierung macht doch das Tempo. Das Virus macht das Tempo. Wir können nicht viel dagegen machen. Und von wegen, das ist nicht so gefährlich: Das können die gerne den beiden Freundinnen meiner Schwester sagen, die ihre Väter verloren haben. Oder dem befreundeten Wirt, der nach der Erkrankung in der Reha ist. Vielleicht müssen die Leugner mal mit denen sprechen.
Einige Menschen aus der Mitte des Bürgertums stellen sich auf Corona-Demos neben Neonazis.
AMARA Das ist gefährlich. Entweder wollen sie es nicht wahrhaben, dann sind sie dumm. Oder sie ignorieren das, und dann kann man den Begriff Steigbügelhalter ruhig verwenden. Eine Friedensfahne entkräftet nicht die Reichskriegsfahne daneben. Ich verstehe, dass Leute im Mittelstand mit eigenen Unternehmen besonders hart getroffen sind. Aber ich bin das auch. Ich bin in meiner Branche der Erste, der raus ist. Und der letzte, der wieder reinkommt. Und dennoch finde ich es richtig, dass es in erster Linie darum geht, andere zu schützen.
Gibt es in deiner Familie oder im Bekanntenkreis Impfgegner? AMARA Bei Facebook bin ich mit zwei alten Bekannten aus dem Stadtteil befreundet. Die schwurbeln sich da manchmal einen zurecht. Ich versuche, weil ich die ja doch mag, dagegenzuhalten und Sachen zu erklären. Das ist auch okay. Aber es wird der Tag kommen, wo ich einfach nicht mehr will. Dann werden die geblockt, denn so gut sind wir dann nicht befreundet. Ich verstehe allerdings, wenn meine Eltern sagen, dass sie verunsichert sind, was die Impfung betrifft. Mir ist ja selbst nicht mehr klar: Wo stehen wir? Was ist richtig? Wer darf noch mit welchem Impfstoff geimpft werden? Die Situation ist auch für die Regierung neu, aber die Art der Kommunikation hätte an vielen Stellen besser sein können.
Einige Popstars reden den „Querdenkern“das Wort. Glaubst du, der Popstar bekommt durch Corona eine besondere Verantwortung? AMARA Ja. Ich will über die Musik in die Herzen und dann in die Köpfe des Publikums kommen. Nicht mit dem erhobenen Zeigefinger. Aber ich will versuchen, die Werte, die wir als Band gut und richtig finden, an die Menschen weiterzugeben: Humanität. Die Naidoos versuchen dasselbe mit ihren Werten. Ich wundere mich, dass Andreas Gabalier so ruhig bleibt. Und bei Nena kann ich mir es nur so erklären, dass sie sehr stark esoterisch angehaucht ist und sich vielleicht erhofft, dass sie das Virus weg-ommen kann. Künstler haben eine große Verantwortung. Ich finde es okay, wenn ein Künstler sagt: Ich möchte mich politisch nicht äußern. Das geht ja auch einher mit mehr Plattenverkäufen.
Ist das wirklich so?
AMARA Eine klare Positionierung macht die, die auf deiner Seite stehen, vielleicht noch treuer. Aber wenn wir vom reinen Popgeschäft reden, ist das so. Umso mehr hat mich gewundert, dass Helene Fischer irgendwann den Mund aufgemacht hat: Leute, ich bin Einwandererkind, und wenn ihr jetzt den rechten Dreck erzählt, dann bin ich raus. Das fand ich sehr anständig.
Als Einwandererkind bist du in der Rockmusik ja eine Ausnahmeerscheinung.
AMARA Ich fänd es gut, wenn ich keine besondere Rolle wegen meiner Herkunft spielen würde. Meiner Bandkollegin Ines geht das als Frau in der Rockmusik genauso. Aber wir thematisieren das jetzt bewusst. Weil wir das Gefühl haben, dass sich etwas bewegt in der Gesellschaft. Zum einen in Bezug auf Frauen: Gender-Endung und so weiter. Aber auch mit „Black Lives Matter“. Wir wollen Menschen, die etwas mit uns gemein haben, motivieren. Ines möchte Frauen und Mädchen sagen: Das ist unser Platz, Rockmusik ist auch für uns. Und ich möchte sagen, dass man mit unserer Herkunft nicht nur im Hip-Hop zu Hause sein kann.
Mancher hat mit dem Pathos in eurer Musik ein Problem. Was sagst du denen?
AMARA Ich verstehe, dass ein Erstkontakt mit uns nicht ganz ohne Hindernisse ist. Du hast diesen exotischen Namen, das Auftreten der Band: Mich kann man vielleicht erst mal gar nicht einsortieren. Dann hast du das Pathos in der Musik, was unter Umständen schmerzhaft ist für die Leute. Viele Leute bevorzugen Ironie, weil Ironie immer so eine Unverbindlichkeit hat, einen doppelten Boden. Und Pathos und die Gefühle, die es auslöst: Dabei lässt du die Hose runter, auch als Zuhörer. Wenn man aber in der Stimmung ist dafür, kann einen das total abholen. Mich kann man mit Kitsch ebenfalls nicht verschrecken. Ich meine, ich sammle christliche Ikonografie: viel kitschiger ist schwierig.
Du sammelst Christus-Statuen? AMARA Marien und Jesen, sozusagen. Kreuze. Kurioses. Ich mag das. Ich bin, was die Einrichtung betrifft, eher Maximalist als Minimalist. Die Platte ist ja auch so. Sie soll erst mal die Falten glatt machen, wenn du sie anmachst. Die Platte ist divers. Oder eklektisch, wie man ja sagt. Ich möchte kein Genre, das mich einengt. Es gibt so viel Musik, bei der ich eine Gänsehaut kriege. Dieser Jerusalema-Song, der neulich viral ging: Da krieg ich eine Gänsehaut.
Ihr seid eine Liveband, die neue Platte ist eine Liveplatte. Was hältst du von den Überlegungen, Geimpften oder Leuten mit Negativ-Test Konzerte zu ermöglichen?
AMARA Es gibt zwei Wege: Entweder du lässt dich impfen oder du erkrankst. Es ist richtig, dass Menschen, die raus sind aus der Gefahrenzone, einen Zucker bekommen. Warum nicht? Aber erst wenn alle die Möglichkeit haben, freiwillig und unabhängig von Alter und Geschlecht das Angebot der Impfung nutzen zu können, kann man darüber sprechen. Jetzt würde es nur gewisse Gruppen bevorzugen. Aber am Ende ist es der richtige Weg.