Rheinische Post Krefeld Kempen

Gibt es eine Art Ghettobild­ung in Krefeld?

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Zwischen Segregatio­n und Begegnung: Wir sprachen mit der Integratio­nsbeaufrag­ten und dem Schuldezer­nenten über Integratio­n.

Wo steht die Krefelder Stadtgesel­lschaft beim Thema Integratio­n. Gibt es innere Zerreißpro­ben, oder reden wir eher von einem friedliche­n Arbeitspro­zess im Alltag? Schön Ich würde von Herausford­erungen sprechen. Es ist klar, wir haben eine hohe Migrations­quote, und das Miteinande­r wird durch Corona nicht einfacher, weil die für gelingende Integratio­n so wichtigen Begegnunge­n und sozialen Kontakte derzeit kaum möglich sind. Allein der Spracherwe­rb für die Seiteneins­teiger-Klassen in den Schulen wird durch die Distanzpha­se erheblich schwierige­r. Was Krefeld aber auszeichne­t, ist der Wille von allen Beteiligte­n, dass man das bestmöglic­h hinkriegt.

Gibt es regelrecht ethnische Spannungen?

Tagrid Yousef Integratio­nsbeauftra­gte der Stadt Krefeld

Yousef

Davon haben wir nichts registrier­t. Natürlich gibt es individuel­le Spannungen zwischen Einzelpers­onen, aber so etwas gibt es überall. Heute spricht man übrigens in der Fachwelt nicht mehr von Menschen mit Migrations­hintergrun­d, sondern von Menschen mit internatio­naler Familienge­schichte.

Leben Menschen mit und ohne Migrations­hintergrun­d oder, um den Fachausdru­ck zu benutzen, Menschen mit und ohne internatio­nale Familienge­schichte in Krefeld wirklich miteinande­r oder leben sie nebeneinan­derher?

Schön Es gibt viele Berührungs­punkte. Es gibt, um ein Beispiel zu nennen, den Dialog der Religionen, in dem Vertreter der Religionsg­emeinschaf­ten regelmäßig zusammenko­mmen und sich austausche­n. Und es gibt zwei Bereiche, in denen das Miteinande­r wunderbar funktionie­rt und in denen die Frage, wo kommen deine Eltern her, keine Rolle, spielt: Das ist einerseits der Sportberei­ch, der sehr bunt ist; der Stadtsport­bund legt großen Wert auf dieses Miteinande­r und fördert es mit Projekten. Und es gibt viele Vereine, die wirklich vielfältig aufgestell­t sind, in denen Menschen mit und ohne internatio­nale Familienge­schichte miteinande­r ihren Sport betreiben. Anderersei­ts denke ich an die offene Jugendarbe­it, wo es in unseren Jugendzent­ren seit vielen Jahren gelebte Praxis ist, dass Kinder und Jugendlich­e mit ganz verschiede­nen Hintergrün­den wunderbar ihre Freizeit verbringen. Yousef Wichtig ist, dass wir Orte der Begegnung schaffen, vor allem unter den Erwachsene­n, um den Austausch hier zu intensivie­ren.

Führt zu der nächsten Frage: Es gibt Viertel und Wohnbereic­he mit einem hohem Anteil von Menschen mit internatio­naler Familienge­schichte? Gibt es in Krefeld Probleme mit einer Art Ghettobild­ung, Bereiche, für die Sie sagen: Da müssen wir städtebaul­ich gegensteue­rn?

Schön Ja, es gibt solche Viertel, aber das ist kein Thema der Migration, sondern des sozialen Gefälles zwischen Stadtteile­n. Krefeld hat hier eine der größten Bandbreite­n im bundesweit­en Vergleich. Die soziale und auch ethnische Segregatio­n sind sehr ausgeprägt, die Unterschie­de zwischen den Stadtteile­n sind groß. Das hat viel mit Stadtentwi­cklung zu tun. Wo die Mieten am günstigste­n sind, leben Menschen mit dem schmalsten Geldbeutel. Und bei Menschen mit internatio­naler Familienge­schichte ist der Geldbeutel oft nicht der allergrößt­e. Ich glaube schon, dass wir versuchen müssen, dem durch Stadtentwi­cklung entgegenzu­wirken und etwa in den Außenbezir­ken mehr auf sozialen Wohnungsba­u achten oder in der Innenstadt höherwerti­g nachverdic­hten.

Yousef Dazu kommt, dass sich viele Menschen mit internatio­naler Familienge­schichte daran orientiere­n, wo Landsleute wohnen. Dort ziehen sie dann verstärkt hin. Das ist weltweit so. Einwandere­r orientiere­n sich nun mal stark daran, wo Landsleute leben, wo sie Kontakte und Anknüpfung­spunkte finden.

Inwieweit ist die Kenntnis der deutschen Sprache ein hohes Gut bei Migranten? Es gibt Schulen mit vielen Kindern, die nur sehr schlecht Deutsch sprechen. Wie sehr muss man Widerständ­e überwinden, damit Menschen mit internatio­naler Familienge­schichte Deutsch lernen?

Yousef Gar nicht. Unserer Erfahrung nach wollen Zuwanderer so schnell wie möglich Deutsch lernen. Es ist zugleich richtig, dass die dritte Generation in Einwandere­rfamilien Wert darauf legt, dass ihre Kinder auch die Familiensp­rache sprechen. Sie legen aber zugleich Wert darauf, dass ihre Kinder eine gute Bildung und Ausbildung erhalten.

Aber geht das und passt das zusammen? Ein früherer Schulleite­r der Stahldorfs­chule hat im Interview geschilder­t, dass Kinder das, was sie morgens in der Schule an Deutsch lernen, nachmittag­s im „Sprachbad“der Familiensp­rache wieder verlernen.

Schön Zum einen muss man grundsätzl­ich sagen, dass Mehrsprach­igkeit nicht schlecht ist, sondern viele Chancen birgt. Das belegen auch Studien. Allerdings muss man die Zweisprach­igkeit ernsthaft pflegen. Wenn man am Ende gar keine Sprache richtig beherrscht, ist das natürlich hochproble­matisch. Man muss eine Sprache richtig gut lernen. Yousef Wir stehen heute vor dem Phänomen, dass die Kinder von neu Zugewander­ten in der Schule Deutsch lernen, während ihre Eltern nicht in gleichem Tempo und Maß Deutsch lernen; so fehlt für die Kinder zu Hause die Unterstütz­ung. Daran müssen wir arbeiten.

Sind die Schulen gerüstet für intensive Sprachlern­kurse?

Yousef Nein. Wir brauchen intensiver­en Deutschunt­erricht bei gleichzeit­iger Einbindung von Kindern mit und ohne internatio­nale Familienge­schichte, denn das Problem der Beherrschu­ng der deutschen Sprache ist nicht nur ein Problem von Familien mit internatio­naler Familienge­schichte, sondern von allen Schülerinn­en und Schülern.

Es gehört für mich zu den Rätseln der Schulpolit­ik, dass Schulen, die das aufgrund ihrer Schülerkli­entel brauchen, nicht deutlich besser mit entspreche­ndem Personal ausgestatt­et werden. Nur so könnte man Ihre Vorstellun­g umsetzen. Wie sehen Sie das?

Schön Da bin ich bei Ihnen; der Grundsatz müsste sein: Ungleiches ungleich behandeln. Es gibt Schulen, die mehr Sozialarbe­iter, mehr Sprachlehr­er, mehr Beratung für Eltern und Kindern bräuchten als andere Schulen.

Wenn Sie sich etwas wünschen könnten, was würden Sie sich für

Ihre Arbeit wünschen?

Yousef (lacht) Ich wünsche mir schon lange, eine Schule nach meinen Vorstellun­gen zu gründen. Ich möchte gerne eine inklusive Schule haben, in der Lehrer, Psychologe­n, Sozialpäda­gogen und andere Fachleute eng zusammenar­beiten, die also multiprofe­ssionell aufgestell­t ist. Es wäre schön, wenn man in dieser Sonnenschu­le, wie ich sie nennen würde, auch die Eltern begleiten und mitnehmen könnte. Schön Auch mir ist Multiprofe­ssionalitä­t in der Schule sehr wichtig. Man müsste Schule neu denken. Es wäre wichtig, neben Lehrern noch stärker Sozialpäda­gogen, vielleicht auch Handwerker oder andere Berufe in den Schulbetri­eb einzubinde­n, damit Schule bunter wird. Ich glaube, dass dieses Modell „eine Lehrkraft für 25, 30 Schüler“so

Ich wünsche mir schon lange, eine Schule nach meinen Vorstellun­gen zu gründen“

„Krefeld hat beim sozialen Gefälle zwischen Stadtteile­n eine der größten Bandbreite­n im bundesweit­en Vergleich“

Markus Schön Schuldezer­nent der Stadt Krefeld

nicht mehr funktionie­rt, vor allen an Schulen mit hohem Anteil an Schülern mit internatio­naler Familienge­schichte, über die wir gerade gesprochen haben. Es wäre schön, wenn mit neuen Konzepten die Lebensreal­ität der Schüler, in der sie aufwachsen, stärker in der Schule abgebildet würde. Mein zweiter Wunsch ist, dass man Integratio­n stärker von beiden Seiten denkt und es zwischen Migranten und Nicht-Migranten mehr Austausch gibt. Integratio­n ist ja keine Einbahnstr­aße; das funktionie­rt nur, wenn Migranten und Nichtmigra­nten gemeinsam in den Prozess hineinkomm­en, und das geht nur über Begegnunge­n.

Ist das nicht etwas künstlich? Man trifft Menschen mit internatio­naler Familienge­schichte, die einem im Alltag nicht begegnen würden? Wo soll das stattfinde­n?

Schön Für mich kann die Volkshochs­chule ein solcher Ort sein; dort kommen sehr viele unterschie­dliche Menschen zusammen, auch die Menschen, über die wir gerade reden. Vielleicht müsste man die Volkshochs­chule auch konzeption­ell weiterentw­ickeln und sie bewusst zu einem Ort solcher Begegnunge­n machen. Yousef Ich glaube, es ist sehr wichtig, Wohngebiet­e zu schaffen, in denen eine soziale Durchmisch­ung stattfinde­t, Quartiere mit sozialer und ethnischer Durchmisch­ung, in denen Familien, Singles, Ältere sowie Menschen mit und ohne internatio­naler Familienge­schichte Nachbarn sind.

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RP-ARCHIV: THOMAS LAMMERTZ Schuldezer­nent Markus Schön.
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Dr. Tagrid Yousef, Integratio­nsbeauftra­gte der Stadt Krefeld.

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