Rheinische Post Krefeld Kempen
Der Streit um die Obdachlosen
Es ist mitnichten nur ein lokal begrenzter Streit, wenn Anwohner der Feldstraße und Bezirkspolitiker gegen die Pläne, die Don-Bosco-Schule zu einer großen Obdachlosenunterkunft auszubauen, Sturm laufen. Es ist ausgerechnet ein Satz der Polizei, der verdeutlicht, wie Stadt und Staat versagen und am Ende die Lasten dieses Versagens Bürgern aufhalsen.
Man muss sich den Satz auf der Zunge zergehen lassen: Die Polizei schreibt zu den jetzt schon im Umfeld der Notschlafstelle herrschenden Zuständen: „Nach Einschätzung unseres Bezirksdienstes geht die momentane Situation dort nicht über das Maß hinaus, welches im Umfeld einer solchen Unterkunft üblich oder zu erwarten wäre.“Gemeint sind Müll, Urin, Lärm, Besetzung der Bushaltestelle und von öffentlichem Raum, der dann für die, die dort leben, zum Angstraum wird und unbenutzbar. Mit dieser Formulierung legt die Polizei offen, was Stadt und Staat ihren Bürgern zuzumuten bereit sind. Diese neue Schlafstelle wird in sich Maßstäbe setzen; die Qualität der Unterkünfte wird menschenwürdiger. Gut. Aber die Verwahrlosung des Umfeldes hinzunehmen wie die Schwerkraft ist ein Unding, und es wird auch nicht dadurch besser, dass eine Institution wie die Polizei solche Zustände als „erwartbar“zu Protokoll gibt.
So muss man in der Konsequenz leider sagen: Anwohner und Bezirkspolitiker haben Recht, wenn sie sich mit Händen und Füßen gegen die Standort-Entscheidung wehren. Denn so sicher, wie die
Schwerkraft auch morgen noch gilt, ist absehbar, dass das Umfeld der künftigen Groß-Unterkunft mehr und mehr verwahrlosen wird; Stadt und Staat werden auch diesen Raum preisgeben, so wie es die Polizei notiert: Das Urteil lautet „erwartbar“.
Warum sollte es dort anders sein als im Umfeld des Theaterplatzes? Oder des Rathausplatzes? Auch dort haben sich in den vergangenen Jahren verzweifelte Anwohner zu Wort gemeldet, weil sie unzumutbare Zustände vor ihrer Haustüre vorfanden. Passiert ist nichts, sieht man davon ab, dass der Rathausvorplatz nun saniert wurde. Ob die Tiefgarage endlich gesichert wird vor Drogenabhängigen, die dort dealen, spritzen und ihre Notdurft verrichten? Mal sehen. Die Zustände auf dem Theaterplatz sind bekannt.
Der Südbezirk ist nicht gesegnet mit Reichtum. Wenn man dort wirklich eine solche Notschlafstelle installieren will, dann nur mit erheblichem Mehraufwand an Sozialarbeitern, täglicher Reinigung und Dauerpräsenz von Ordnungskräften, um die Umgebung zu schützen. Doch Krefeld hatte bisher an keiner Problemstelle die Kraft dazu. Es blieb stets die Notiz der Polizei gültig: Müll, Urin, Dreck, Verwahrlosung – erwartbar.
Jens Voss