Rheinische Post Krefeld Kempen
Maaßens Kandidatur ist heikel für die CDU
Der frühere Verfassungsschutzchef ist jetzt Wahlkreiskandidat seiner Partei in Thüringen. Einerseits mag er vielen Enttäuschten eine neue Heimat im alten christdemokratischen Haus bieten. Der Union insgesamt aber dürfte die Nominierung schaden.
SUHL Es ist eine bizarre Doppelwahrnehmung, die den früheren Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen auf seinem Weg in den Bundestag begleitet. Schon im Thüringer Landtagswahlkampf wurde er bei Bürgerversammlungen umjubelt. Aus seiner Sicht eilt er von Erfolg zu Erfolg und erfüllt die Mission, seiner CDU das verloren gegangene Profil zurückzugeben. 86 Prozent nach nur vier Wochen mit Erstkontakten in einem ihm fremden Wahlkreis im Süden Thüringens bei der Aufstellung zum Bundestagskandidaten gegen gestandene, seriöse und tief verwurzelte regionale Mitbewerber einzufahren – das kann ihn in dieser Überzeugung nur stärken.
Zugleich raufen sich Unionsanhänger mit einem „Das kann doch nicht wahr sein“-Gefühl die Haare, erklären manche bereits ihren Austritt aus einer Partei, in der einer wie Maaßen für die CDU stehen könne. „Schande“, schreien seine Gegner.
Das Phänomen Maaßen erklärt sich unter anderem dadurch, dass er mit seinem exponierten Lebensweg und in treffsicherer Rhetorik das Gefühl von Millionen zu repräsentieren vermag, wonach nicht sie ihre Überzeugungen aufgegeben haben, sondern die CDU. Als Maaßen in die Partei eintrat, hieß der Chef der Unionsfraktion im Bundestag Alfred Dregger. Der scharf argumentierende Konservative war die fleischgewordene Garantie der Vorgabe von Franz Josef Strauß, wonach es rechts von der Union keine demokratisch legitimierte Partei geben dürfe.
Die CDU war seinerzeit genauso stammtischkompatibel wie die CSU. Lieber einmal zu viel gegen Fremdes austeilen als einmal zu wenig. Was daran christlich war, wurde genauso wenig hinterfragt wie das, was die Männer und Frauen vor und nach dem Kirchgang machten. Einer wie
Maaßen galt damals in der CDU als suspekt. Hätte er unter Dregger erklärt, den Zuzug von Ausländern gesetzlich steuern und begrenzen zu wollen, wie er es später als Referent im Innenministerium definierte, er wäre auf dem fraktionsinternen Index gelandet – als Linker.
Seinen Eintritt in die Junge Union erklärte er mit einer Protesthaltung gegen die „zunehmende linke Dominanz in der Lehrerschaft“. Das war 1978. Es war das neunte Jahr der sozialliberalen Regierung, die von der Hälfte der Bevölkerung getragen wurde, die dringend nötige Reformen bei den Rechten von Frauen, Jugendlichen und Minderheiten durchsetzte und sie zu allgemein akzeptierten Grundregeln des Zusammenlebens machte. Grundregeln, zu denen sich zu bekennen nun auch von Maaßen-Unterstützern allen Migranten abverlangt wird. „Deutsche Werte“heißt das Stichwort.
Die CDU nutzte die Zeit in der Opposition, um sich zwischen 1969 und 1982 und noch einmal von 1998 bis 2005 neu zu erfinden, den Anschluss an eine sich wandelnde, aber breit aufgestellte Gesellschaft zu suchen. Das brachte ihr als Volkspartei mit breitem Meinungsspektrum
Wahlerfolge über Jahrzehnte. Doch es gibt 2021 einen Unterschied zu den Erneuerungsnotwendigkeiten nach 20 Jahren Adenauer/Erhard/ Kiesinger 1969 und 16 Jahren Kohl 1998. Nach 16 Jahren Merkel wird der CDU die Mitte der Gesellschaft nicht von einer von Bürgerlichen akzeptierten, wirtschaftsliberal-sozialstaatlichen SPD-Alternative streitig gemacht. Nach 16 Jahren Merkel ist eine linkere CDU selbst eine andere Partei geworden.
Nicht von ungefähr löste Maaßen bei seiner Bewerbungsrede in Suhl viel Kopfnicken aus, als er die Selbstbetrachtung des populären Konservativen Wolfgang Bosbach zitierte: Früher habe man ihn nachts wecken können, und er hätte sofort zehn prägnante Unterschiede zwischen CDU und SPD nennen können. Wenn man ihn das heute frage, könne er nur mit der Gegenfrage antworten, wie viele Tage Bedenkzeit er habe. Nachdem die CDU bei der Aussetzung der Wehrpflicht, beim Atomausstieg, bei der Ehe für alle und der Massenmigration vorangegangen ist, hat sie sich erstmals in der Regierung erneuert und eine breite Kompatibilität in der Mitte erreicht. Sie hat aber auch viele konservative Mitglieder und Anhänger heimatlos gemacht.
Ihnen bietet Maaßen eine neue Heimat im alten Haus. Theoretisch ist es für die Union als Volkspartei deshalb ein gutes Zeichen, dass neben ihrer christlichen und sozialen auch ihre konservative Wurzel mit Maaßen kräftigen Dünger erhält. So ist die Verteidigungsposition der Thüringer Partei- und Fraktionsführung zu verstehen: Wenn der rechte Flügel sich rege, sei das ein Zeichen einer breit aufgestellten Volkspartei.
Zudem markiert Maaßen viele fragwürdige Entwicklungen, die vielen auch jenseits des konservativen Spektrums auf den Keks gehen. Dazu gehört die Anmaßung der Linken, darüber wachen zu wollen, über was eine Gesellschaft diskutieren dürfe, was aus diesem Diskurs auszuschließen und mit der Verdächtigung des Rechtsextremismus niederzuknüppeln sei – und dass dies in einer durchgegenderten Sprache zu geschehen habe.
Aber jenseits der Theorie haben sich das Parteiengefüge und die Wählerorientierung weit von den Verhältnissen von 1969 und 1998 entfernt. Das musste Markus Söder 2018 schmerzlich erfahren, als er wenige Wochen vor der Landtagswahl in Bayern Stil und Botschaften um 180 Grad drehte: Das forcierte Ansprechen von AfD-Wählern ließ die Wähler in Scharen davonlaufen. Söder lernte beim Umfragen-Absturz: Unter den neuen Verhältnissen führt jeder Versuch, in AfD-Radikalität der AfD das Wasser abzugraben, zu einer Verbreiterung des Reservoirs der AfD.
Diese Gefahr ist auch mit Maaßen verbunden. Sie lauert etwa in seiner Distanzierung von der AfD, wenn er sie mit dem Hinweis versieht, dass er als Verfassungsschutzchef die Beschäftigung seiner Behörde mit der AfD initiiert, aber mit Recht und Gesetz und nicht mit „Opportunität“verbunden habe. Punkt. Das könnte als belanglose Selbstverständlichkeit abgetan werden – gäbe es da nicht den Subtext, dass es also nach Maaßen ein opportunistisches Vorgehen des Verfassungsschutzes gegeben haben könnte. Wie es die AfD immer behauptet. Als AfD-Kandidat würde Maaßen seine Partei mit solchen Sätzen stärken. Aber tut er es auch als CDU-Wahlkämpfer?
Das Maaßen-Phänomen ist somit zwar eine Wohltat für viele Konservative und mag Südthüringen einen Wahlkreis sichern, der nach der Maskenaffäre verloren schien. Doch für die Union insgesamt ist es wahrscheinlicher, dass sich mehr Wähler von ihr ab- als ihr zuwenden. Eine Wahl hatte die Laschet-CDU nach der Modernisierung früherer Jahrzehnte nicht: Auch der Vorrang der Basis gehört inzwischen in der Partei zu den gelebten Werten. Ihre Kollision mit diesen Werten leitete den Abstieg von Annegret Kramp-Karrenbauer als Parteichefin ein. Es war ebenfalls in Thüringen.
Maaßen spießt Entwicklungen auf, die auch vielen Nichtkonservativen auf den Keks gehen