Rheinische Post Krefeld Kempen
Ein Wettstreit zwischen den Künsten
Das Festival Tanz NRW findet in diesem Jahr ausschließlich online statt. Die Fabrik Heeder streamte die jüngste Produktion der Kölner Companie Emanuele Soavi in Company. „Blu Blu Blu“ist spannend und sinnlich.
„Atlas 3 – Blu Blu Blu“ist der dritte Teil der Atlas-Serie von Emanuele Soavi in Company. Atlas, so Soavi, ist als „choreographische Spurensuche angelegt“– konkret geht es um den Körper in Ausnahmesituationen. Ein Zustand, der gerade kollektiv erlebt wird. Doch Soavis Blick auf den Körper in Ausnahmesituationen zielt auf den Menschen und seine individuelle Geschichte. Wie reagieren wir in Ausnahmesituationen und welche Rolle spielt die eigene Biographie dabei?
Das Setting von „Blu Blu Blu“erinnert an einen Ringkampf – großflächig sind dünne Matten auf der Bühne ausgelegt. Zwei große Leinwände, die übers Eck verlaufen, rahmen die Szenerie ein. Unterteilt wird die Leinwand von einem schwarzen Streifen, der den Blick von hinten auf die Bühne ermöglicht.
Zu Beginn betritt Federico Casadei die Bühne – er steht vor der weißen Leinwand, tastet sich ab,
Was zu Beginn des Stücks wie ein bloßer Wettstreit zwischen den Künsten aussah, führt Emanuele Soavi zu einer spannungsvollen Einheit aus Musik, Tanz und Judo
während am dunklen Bühnenhintergrund die Tänzerin Lisa Kirsch erscheint. Sie spiegelt Casadeis Bewegungen und sucht den Kontakt zu ihm. Als sie zu zweit auf der Bühne stehen, entfaltet sich rasch ein impulsives und leidenschaftliches Spiel aus Nähe und Distanz, ihre Körper berühren sich unzählige Male – jede Zelle ihres Körpers scheint in Bewegung zu sein.
Begleitet von den Musikern Nadja Zwiener und Johannes Malfatti entfaltet die Anfangsszene eine Dynamik, die im zweiten Teil noch gesteigert wird. Die Musiker stehen gut sichtbar am Bühnenrand und sind von Anfang an Teil der Performance. Zwiener spielt Barockvioline, Malfatti ist Soundkünstler und webt einen spannungsvollen Klangteppich, der selbst in der Online-Übertragung für Gänsehaut sorgt.
Als musikalische Grundlage dient die berühmte „Ciaconna“, ein Solo für Violine von Johann Sebastian Bach. Das große Virtuosenstück wird teilweise in freier Assoziation für Barockvioline und Elektronik gespielt – ein wunderbares Hörerlebnis aus spannungsvollen bis schmerzlichen Sätzen, die sich immer wieder in hellere und harmonische Läufe auflösen.
Dieses Spiel aus Konfrontation und Symbiose aus zeitgenössischem Tanz, Barockmusik und Elektronik wird im zweiten Teil von „Blu Blu Blu“noch um zwei weitere Spieler ergänzt: die Judoka Tobias Mathieu und Aaron Schneider rollen, werfen und heben sich in mal rasend schnellen, mal zeitlupenähnlich langsamen Schritten über die Bühne.
Sie sind Judomeister, was ihre schwarzen Gürtel verraten, und tragen ihre Anzüge in einem dunklen Blau. Schnell greifen sie nach Armen und Beinen ihres Gegenübers, werfen den anderen gekonnt zu Boden, nicht selten halten sie sich am festen Baumwollstoff des anderen fest, manchmal bleiben sie eng umschlungen am Boden liegen – ein wunderbarer Moment, der aus Kampf Berührung werden lässt und auch für die Judoka ungewohnt sein dürfte.
Während sich einer der Männer aus dem Ring entfernt, betritt Lisa Kirsch erneut die Bühne. Sie nimmt den freigewordenen Platz ein – beide halten die Position für einige Sekunden, ein schönes Bild, das den Zuschauern sicher im Kopf bleiben wird.
Im Verlaufe des Stücks entstehen viele eindrucksvolle Bilder, sowohl auf der Bühne, als auch auf der Videoleinwand. Sie speisen sich aus dieser unmittelbaren und ausweglosen Konfrontation mit dem anderen. Die Tänzer nehmen Bewegungen der Judoka auf und umgekehrt, finden sich Posen der Tänzer bei den Kampfkünstlern.
Was zu Beginn des Stücks wie ein bloßer Wettstreit zwischen den Künsten aussah, führt Emanuele Soavi mithilfe seiner Co-Choreographen Federico Casadei und Lisa Kirsch am Ende des Abends zu einer spannungsvollen Einheit aus Musik, Tanz und Judo. Ein großes Lob geht außerdem an die Technik, denn die Qualität der Online-Übertragung war sehr gut. Und die unterschiedlichen Kameraeinstellungen haben den Abend für den Betrachter auch in den eigenen vier Wänden zu einem Erlebnis gemacht.