Rheinische Post Krefeld Kempen

Ein Wettstreit zwischen den Künsten

- VON ISABEL MANKAS-FUEST

Das Festival Tanz NRW findet in diesem Jahr ausschließ­lich online statt. Die Fabrik Heeder streamte die jüngste Produktion der Kölner Companie Emanuele Soavi in Company. „Blu Blu Blu“ist spannend und sinnlich.

„Atlas 3 – Blu Blu Blu“ist der dritte Teil der Atlas-Serie von Emanuele Soavi in Company. Atlas, so Soavi, ist als „choreograp­hische Spurensuch­e angelegt“– konkret geht es um den Körper in Ausnahmesi­tuationen. Ein Zustand, der gerade kollektiv erlebt wird. Doch Soavis Blick auf den Körper in Ausnahmesi­tuationen zielt auf den Menschen und seine individuel­le Geschichte. Wie reagieren wir in Ausnahmesi­tuationen und welche Rolle spielt die eigene Biographie dabei?

Das Setting von „Blu Blu Blu“erinnert an einen Ringkampf – großflächi­g sind dünne Matten auf der Bühne ausgelegt. Zwei große Leinwände, die übers Eck verlaufen, rahmen die Szenerie ein. Unterteilt wird die Leinwand von einem schwarzen Streifen, der den Blick von hinten auf die Bühne ermöglicht.

Zu Beginn betritt Federico Casadei die Bühne – er steht vor der weißen Leinwand, tastet sich ab,

Was zu Beginn des Stücks wie ein bloßer Wettstreit zwischen den Künsten aussah, führt Emanuele Soavi zu einer spannungsv­ollen Einheit aus Musik, Tanz und Judo

während am dunklen Bühnenhint­ergrund die Tänzerin Lisa Kirsch erscheint. Sie spiegelt Casadeis Bewegungen und sucht den Kontakt zu ihm. Als sie zu zweit auf der Bühne stehen, entfaltet sich rasch ein impulsives und leidenscha­ftliches Spiel aus Nähe und Distanz, ihre Körper berühren sich unzählige Male – jede Zelle ihres Körpers scheint in Bewegung zu sein.

Begleitet von den Musikern Nadja Zwiener und Johannes Malfatti entfaltet die Anfangssze­ne eine Dynamik, die im zweiten Teil noch gesteigert wird. Die Musiker stehen gut sichtbar am Bühnenrand und sind von Anfang an Teil der Performanc­e. Zwiener spielt Barockviol­ine, Malfatti ist Soundkünst­ler und webt einen spannungsv­ollen Klangteppi­ch, der selbst in der Online-Übertragun­g für Gänsehaut sorgt.

Als musikalisc­he Grundlage dient die berühmte „Ciaconna“, ein Solo für Violine von Johann Sebastian Bach. Das große Virtuosens­tück wird teilweise in freier Assoziatio­n für Barockviol­ine und Elektronik gespielt – ein wunderbare­s Hörerlebni­s aus spannungsv­ollen bis schmerzlic­hen Sätzen, die sich immer wieder in hellere und harmonisch­e Läufe auflösen.

Dieses Spiel aus Konfrontat­ion und Symbiose aus zeitgenöss­ischem Tanz, Barockmusi­k und Elektronik wird im zweiten Teil von „Blu Blu Blu“noch um zwei weitere Spieler ergänzt: die Judoka Tobias Mathieu und Aaron Schneider rollen, werfen und heben sich in mal rasend schnellen, mal zeitlupenä­hnlich langsamen Schritten über die Bühne.

Sie sind Judomeiste­r, was ihre schwarzen Gürtel verraten, und tragen ihre Anzüge in einem dunklen Blau. Schnell greifen sie nach Armen und Beinen ihres Gegenübers, werfen den anderen gekonnt zu Boden, nicht selten halten sie sich am festen Baumwollst­off des anderen fest, manchmal bleiben sie eng umschlunge­n am Boden liegen – ein wunderbare­r Moment, der aus Kampf Berührung werden lässt und auch für die Judoka ungewohnt sein dürfte.

Während sich einer der Männer aus dem Ring entfernt, betritt Lisa Kirsch erneut die Bühne. Sie nimmt den freigeword­enen Platz ein – beide halten die Position für einige Sekunden, ein schönes Bild, das den Zuschauern sicher im Kopf bleiben wird.

Im Verlaufe des Stücks entstehen viele eindrucksv­olle Bilder, sowohl auf der Bühne, als auch auf der Videoleinw­and. Sie speisen sich aus dieser unmittelba­ren und ausweglose­n Konfrontat­ion mit dem anderen. Die Tänzer nehmen Bewegungen der Judoka auf und umgekehrt, finden sich Posen der Tänzer bei den Kampfkünst­lern.

Was zu Beginn des Stücks wie ein bloßer Wettstreit zwischen den Künsten aussah, führt Emanuele Soavi mithilfe seiner Co-Choreograp­hen Federico Casadei und Lisa Kirsch am Ende des Abends zu einer spannungsv­ollen Einheit aus Musik, Tanz und Judo. Ein großes Lob geht außerdem an die Technik, denn die Qualität der Online-Übertragun­g war sehr gut. Und die unterschie­dlichen Kameraeins­tellungen haben den Abend für den Betrachter auch in den eigenen vier Wänden zu einem Erlebnis gemacht.

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FOTO: JORIS-JAN BOS Alles Blau: Szene aus „Blu Blu Blu“, mit dem die Emanuele Soavi Company den Krefelder Teil des Tanzfestiv­als eröffnete.

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