Rheinische Post Krefeld Kempen
„Für uns ist fast kein Fund belanglos“
Corona hat dazu geführt, dass mehr Menschen mit Sonden nach Gegenständen im Boden suchen. Der Landesarchäologe über die Folgen.
Herr Claßen, hat die Zahl der privaten Funde zugenommen, spüren Sie einen Pandemie-Effekt? CLASSEN Den spüren wir tatsächlich. Mehr Zufallsfunde bei Gartenarbeiten haben wir zwar nicht. Aber dafür gibt es deutlich mehr Sondengänger. Im Jahr 2020 verzeichneten wir bei denjenigen Personen, die eine Erlaubnis fürs Sondeln beantragt haben, eine Steigerung um fast 100 Prozent. Es sind also fast doppelt so viele Sondengänger unterwegs wie 2019. Der Zuwachs geht auch – das zeigen die ersten drei Monate – in diesem Jahr weiter. So wie sich viele Leute einen Hund gekauft haben während der Pandemie, haben sich auch viele Menschen eine Sonde angeschafft, um die Zeit, die sie draußen verbringen, sinnvoll zu nutzen. Die Fundmeldungen aber derjenigen, die im vergangenen Jahr eine Genehmigung beantragt haben, kommen jetzt erst rein. Aktuell legen wir die Termine für die Fundabgaben fest, weil wir das wegen der Pandemie bündeln.
Was wird denn überhaupt gefunden? Ist das aus archäologischer Sicht oft eher belanglos?
CLASSEN Belanglos ist fast kein Fund, mal abgesehen von Kronkorken und Euromünzen. Wir fordern die Finder auf, lieber auch vermeintlichen Schrott abzuliefern, bevor uns etwas durch die Lappen geht, was von wissenschaftlicher Bedeutung wäre. Das Spektrum ist vielfältig, maßgeblich sind es Metallfunde aus der Zeit, in der Menschen Metall verwendet haben. Das geht zurück bis zur Bronzezeit vor 3000 bis 3500 Jahren, aus dem Zeitraum bis dahin stammen auch die Funde. Aus Mittelalter und Neuzeit gibt es aber natürlich mehr Funde als aus den länger zurückliegenden Zeitabschnitten. Einige Funde stammen aus bekannten Fundstellen, helfen uns aber weiter, diese einzuordnen, die Datierung exakter festzulegen. Es kommen aber auch neue Fundstellen hinzu.
Museumsstücke sind aber eher selten dabei, oder?
CLASSEN Die Regelung ist so, dass Funde von besonderer wissenschaftlicher Bedeutung ins Eigentum des Landes übergehen. Das sind im Rheinland vielleicht zehn bis 20 pro Jahr, bei mehreren Tausend Funden pro Jahr, das liegt also im Promille-Bereich. Alle anderen Funde bekommen die Finder zurück.
Mehrere Tausend Funde pro Jahr von Sondengängern, das bedeutet viel Mehrarbeit für Sie und Ihre Archäologie-Kollegen.
CLASSEN Allerdings. Wir sind jetzt schon an der Belastungsgrenze, weil das Sondeln in den vergangenen zehn Jahren stark zugenommen hat. Vor zehn Jahren waren das 50 Menschen, die im Rheinland mit einer Sonde unterwegs waren, jetzt sind es zehn- bis zwölfmal so viele.
Wahrscheinlich sind auch die technischen Gerätschaften besser, sprich sensibler geworden.
CLASSEN Die Technik der Geräte hat sich sicher verbessert, ist aber grundsätzlich gleich. Wir haben das getestet, weil manche Hersteller damit werben, dass ihre Sonden besonders tief anschlagen. Wir konnten das aber nicht nachvollziehen. Was üblicherweise im Einsatz ist, detektiert Funde bis zu einer Tiefe von 30 Zentimetern und kann auch zwischen Metallarten differenzieren. Viele Sondengänger gehen sehr professionell damit um, begehen die Flächen systematisch in Bahnen und messen ihre Funde ein. Ein exakt lokalisierter Fundort ist für uns wichtig, weil wir wissen wollen, wo Plätze von Interesse sind und was dahinterstecken mag.
Wo wird das meiste gefunden? CLASSEN Der Schwerpunkt der Sondengänger liegt im Rheinland auf der linksrheinischen Seite, und zwar in den Regionen, die eine intensive Besiedlung der römischen Kaiserzeit aufweisen, sprich in der Lössbörde. In der Eifel und im Bergischen Land gibt es auch Sondengänger, aber weniger Ackerflächen, dafür mehr Wiesen und Waldflächen. Da möchten wir keine Genehmigungen erteilt wissen. Dort ist der Oberboden nicht durch den Pflug zerstört, und die Funde liegen meistens noch relativ geschützt. Und das sollte auch so bleiben. In allererster Linie stammen die Funde also von
Ackerflächen.
Sondengänger brauchen aber auf jeden Fall eine Genehmigung. CLASSEN Wenn jemand mit einer Sonde geht, dann deshalb, weil er etwas finden will. Für das Bergen möglicher Funde muss ein Antrag bei der Oberen Denkmalbehörde gestellt werden, also beim Kreis oder der Bezirksregierung. Wobei wir diejenigen sind, die fachlich beraten müssen, und daher führt der Weg meist zuerst über uns. Wir haben Außenstellen in Xanten, in Nideggen und in Overath, dahin werden die Leute verwiesen, rechtlich und praktisch geschult und hinsichtlich der Gefahren informiert. So kann man etwa immer auf Kampfmittel stoßen, das darf man nicht vernachlässigen. Die Antragsteller müssen auch Karten mitbringen, wo sie mit ihrer Sonde gerne gehen möchten. Diese Karten gleichen wir mit unseren ab, um zu sehen, ob dort ein Bodendenkmal liegt. Dort kann dann nicht gesondelt werden. Im Wald geht es auch nicht. Auf Ackerflächen ist es möglich.
Der Landeigentümer muss aber auch zustimmen.
CLASSEN Richtig. Vor jeder Begehung müssen der Eigentümer und der Pächter informiert werden, weil einerseits die Funde zur Hälfte dem Finder und zur anderen Hälfte dem Grundstückseigentümer gehören und andererseits nur derjenige, der die Felder bestellt, entscheiden kann, ob die Begehungen und Bergungen gegebenenfalls seiner Aussaat schaden.
Aber das wird wohl nicht jeder tun. Gibt es viele illegale Sondengänger? CLASSEN Es gibt auch illegale. Die Zahl einzuschätzen, ist schwierig. Aber wir müssen davon ausgehen, dass es mindestens genauso viele Sondengänger gibt, die aus Unwissen oder Böswilligkeit ohne Erlaubnis losziehen, wie welche, die ehrlich sind und mit uns zusammenarbeiten. Es gibt aber in den vergangenen Jahren deutlich mehr, die gut mit uns zusammenarbeiten.
Es kann aber kaum kontrolliert werden, wer da unterwegs ist. CLASSEN Wie wollen Sie das kontrollieren? Die Ordnungsbehörden haben schon ein Auge darauf, aber alle Flächen zu überprüfen, ist schlicht und einfach nicht möglich.
Glauben Sie denn, dass durch illegale Sondengänger ein großer Schaden ansteht?
CLASSEN Davon ist auszugehen, sowohl für die Landesgeschichte als auch an Bodendenkmälern. Es gehen vermutlich auch bedeutende Funde oder die Kenntnis zu den Fundorten verloren. Wir hatten im vergangenen Jahr einen krassen Fall in Wesel, da hat jemand illegal – wohl mit einer Sonde – etwas aus einem Grab des siebten oder achten Jahrhunderts gefunden, eine Goldscheibenfibel. Der Finder hat die Funde immerhin anonym gemeldet und abgegeben. Wir können aber nicht genau sagen, ob der Fundort korrekt ist. Damit geht natürlich eine gewisse Unschärfe in der wissenschaftlichen Beurteilung des Platzes einher. Die Chance, das hieb- und stichfest zu klären, ist durch die undokumentierte Bergung und anonyme Abgabe genommen.
Beschädigen denn auch legale Sondengänger die Funde oder den Fundort?
CLASSEN In der Regel gehen die professionell damit um. Sie dürfen nur im Bereich des umgegrabenen Bodens
bergen. Wenn sie doch in tiefere Bodenschichten vorstoßen, dann sollen sie den Fund markieren, alles im Boden belassen und uns benachrichtigen. Wenn der Fund noch in seinem ursprünglichen Kontext liegt, ist es wichtig, dass das dokumentiert und richtig geborgen wird. Was dagegen aus der Ackerkrume oder dem Pflughorizont stammt, ist dem ursprünglichen Zusammenhang entrissen.
Wenn die Corona-Pandemie nun mehr Menschen mit Sonden auf die Äcker treibt – ist das eher hilfreich für Sie, oder erschwert es Ihre Arbeit?
CLASSEN Na ja, unser Job ist der Denkmalschutz. Den erleichtern die Finder, weil sie die Fundstellen bekannt machen und wir sie schützen können. Dass wir damit mehr Arbeit haben, ist unser Schicksal. Aber wir freuen uns auch, wenn wir mehr Erkenntnisse gewinnen können. Uns ist es wichtig, dass die Funde gemeldet werden. Die Erledigung der Arbeit, die das mit sich bringt, müssen wir organisatorisch lösen. Arbeit fällt an, die muss getan werden. Wir haben aber neben der Betreuung des bürgerschaftlichen Engagements andere gesetzliche Aufgaben. Da geht es um harte Eingriffe in Bodendenkmäler durch Baumaßnahmen. Diese zu betreuen und dafür zu sorgen, dass dabei Fundstellen nicht undokumentiert zerstört werden, hat für uns in der Regel eine höhere Priorität als die Bestimmung von Funden, die bei der Suche mit Metalldetektoren gemacht wurden.