Rheinische Post Krefeld Kempen
Biertrinken als Wahlprogramm
Bei der Testwahl steht die konservative Präsidentin Madrids, Isabel Díaz Ayuso, vor einem Triumph.
MADRID Auf den Wahlkampfplakaten von Madrids konservativer Landesfürstin Isabel Díaz Ayuso steht in großen blauen Buchstaben nur ein gewichtiges Wort: „Libertad“(Freiheit). Aber Ayuso geht es bei ihrem Ruf nach Freiheit nicht etwa um die Rettung der Demokratie. Oder um die Freilassung von politischen Gefangenen. Die Spitzenpolitikerin meint die Freiheit, auch während der Corona-Pandemie in Madrid etwas trinken gehen zu können.
In Zeiten wachsender Lockdown-Müdigkeit ist das Versprechen Ayusos, die Gastronomie trotz hoher Infektionszahlen offen zu halten, zur entscheidenden politischen Frage geworden. Die Strategie der eigenwilligen Regionalpräsidentin, das Ausgehen als eine Art Grundrecht einzuordnen, funktioniert erstaunlich gut. So gut, dass ihr vor der Regionalwahl an diesem Dienstag die Sympathien zufliegen und ihr ein triumphaler Wahlsieg mit mehr als 40 Prozent vorhergesagt wird – im letzten Urnengang hatte sie mit ihrer konservativen Volkspartei nur 22 Prozent geholt.
Seit Monaten erlaubt die regionale Ministerpräsidentin, dass im Großraum Madrid praktisch unbeschränkt gezapft und getafelt werden darf. Außenterrassen und Innenräume der Bars und Restaurants sind durchgehend bis 23 Uhr geöffnet. Dabei stört es Ayuso nicht, dass Madrid ein Corona-Hotspot ist und von den Virologen als Risikozone angesehen wird. Die Sieben-Tage-Inzidenz liegt bei 180 Fällen pro 100.000 Einwohner, die Intensivstationen sind voll, nirgendwo in Spanien werden mehr Corona-Tote gezählt. Aber die Party in der Millionenstadt
geht dank Ayuso weiter. „In Madrid können wir nach einem harten Tag ein Bier genießen“, rief die 42-Jährige im Wahlkampf ihren Anhängern zu. Das sei Leben, und das sei Freiheit, sagt sie. „Viva Madrid.“Die Gastronomen applaudieren ihrer bierseligen Landesmutter Ayuso begeistert. Endlich haben sie in der Politik jemanden, der ihnen in der Pandemie beisteht. Ayuso ist für sie zur Schutzherrin ihrer Zunft geworden. „Danke Ayuso“, steht auf Plakaten, die Wirte in ihren Gasthäusern aufgehängt haben. Einige bieten mittlerweile Bierflaschen an, auf denen das Foto ihrer „Königin der Kneipen“prangt. Andere haben ihr Gerichte auf der Speisekarte wie etwa ein „Kartoffelomelett à la Ayuso“gewidmet.
Bei so viel Ayuso-Kult gerät in den Hintergrund, dass die Ministerpräsidentin der Region Madrid keine großen politischen Erfolge vorzuweisen hat. Krankenhäuser und Gesundheitszentren, für die ihre Regierung zuständig ist, pfeifen aus dem letzten Loch. Es mangelt an Testmöglichkeiten, Kontakt-Nachverfolgern und Impfstationen. Keine zwei Jahre hielt ihre Minderheitskoalition,
die sie 2019 mit der bürgerlich-liberalen Partei Ciudadanos schloss, und die von der ultrarechten Partei Vox gestützt wurde. Seitdem gab es weder einen Landeshaushalt, noch wurden nennenswerte Gesetze beschlossen. Eine politische Sackgasse, aus der Ayuso mit der von ihr ausgerufenen Neuwahl am 4. Mai entkommen will.
Statt auf handfeste Argumente setzt Ayuso auf populistische Botschaften. Politologen sprechen von „Trumpismus“, weil ihre Parolen an jene des früheren US-Präsidenten Donald Trump erinnern. Etwa wenn sie behauptet, die Madrilenen müssten sich in dieser Regionalwahl zwischen „Kommunismus oder Freiheit“entscheiden. Die gelernte Journalistin lässt keine Gelegenheit aus, um sich persönlich mit Spaniens sozialistischem Regierungschef Pedro Sánchez anzulegen. Dank dieser Konfrontationsstrategie stieg sie mittlerweile zur heimlichen Chefin der spanischen Konservativen auf. Der emotional aufgeladene Urnengang ist zu einer nationalen Testwahl geworden, deren Ausgang auch Sánchez' Zukunft mitbestimmen könnte.