Rheinische Post Krefeld Kempen
Bund sagt Hunderte Millionen Euro zu
Die Kanzlerin besucht das Hochwassergebiet. Am Mittwoch soll ein Hilfsprogramm beschlossen werden. Während die Opferzahl noch steigt, beginnt die Debatte über Konsequenzen – die Städte etwa fordern einen besseren Zivilschutz.
DÜSSELDORF Auch eine halbe Woche nach der Hochwasserkatastrophe im Westen Deutschlands sind die Opferzahlen weiter gestiegen. Bis zum Sonntagnachmittag zählen Polizei und Einsatzkräfte mehr als 150 Todesopfer. Das Düsseldorfer Innenministerium gab die Zahl der Toten in Nordrhein-Westfalen mit 46 an. Allein aus dem Kreis Ahrweiler in Rheinland-Pfalz wurden am Sonntag 110 Tote gemeldet. Unter den Opfern sind mindestens vier Feuerwehrleute, die im Einsatz starben.
Zugleich ging die Suche nach Vermissten weiter. In der besonders betroffenen Ortschaft Erftstadt westlich von Köln, wo durch Unterspülungen ein riesiger Krater entstanden war, suchten am Wochenende noch zahlreiche Menschen nach ihren Angehörigen. Der Kreisverwaltung zufolge waren bei der am Samstag eröffneten „Personenauskunftsstelle“noch 34 Menschen gemeldet, deren Aufenthaltsort ungewiss ist.
Kanzlerin Angela Merkel besuchte am Sonntag die besonders betroffene Eifel, unter anderem den Ort Schuld an der Ahr. Sie sprach von „gespenstischen Bildern“, die sich böten. Den Betroffenen versprach sie: „Wir stehen an Ihrer Seite, Bund und Land.“Am Mittwoch werde die Bundesregierung ein Programm für schnelle Hilfen, mittelfristige Aufgaben und zur Wiederherstellung der Infrastruktur verabschieden.
Bundesfinanzminister Olaf Scholz stellte Soforthilfen in dreistelliger Millionenhöhe in Aussicht. Der Vizekanzler will im Kabinett zwei Dinge behandeln: „Erstens eine Soforthilfe; bei der letzten Flut waren dafür deutlich mehr als 300 Millionen Euro nötig. Da wird jetzt sicher wieder so viel gebraucht.“Zudem gehe es um die Grundlage für ein Aufbauprogramm, um Häuser, Straßen und Brücken zügig zu reparieren.
Am Samstag hatte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Erftstadt besucht und zu Solidarität und Spenden aufgerufen. Ministerpräsident Armin Laschet, der mit Steinmeier vor Ort war, stand hernach in der Kritik, weil er während Steinmeiers Rede im Hintergrund lachend zu sehen war. Später schrieb Laschet bei Twitter, er bedauere den Eindruck, der durch eine Gesprächssituation entstanden sei.
„Was ich in den letzten Tagen gesehen und gehört habe, übersteigt jede Vorstellungskraft“, sagte der Ministerpräsident am Sonntagabend in einer Fernsehansprache im WDR. In welcher Geschwindigkeit und mit welcher Wucht die Wassermassen Existenzen zerstört und Leben vernichtet hätten, sei unvorstellbar – und doch Realität. „Noch immer sind Zehntausende Menschen ohne Strom oder Trinkwasser, immer noch sind über 20.000 Helferinnen und Helfer im Einsatz, viele Menschen gelten noch als vermisst“, so Laschet. Der Wiederaufbau werde „Monate, ja Jahre dauern.“Der CDU-Politiker zeigte sich beeindruckt von der Hilfsbereitschaft, sprach aber auch von Plünderungen: In Eschweiler seien drei Verdächtige verhaftet worden. Sie säßen bereits in Untersuchungshaft. In seiner Rede berichtete er auch vom Telefonat mit der Witwe eines im Hochwasser ums Leben gekommenen Feuerwehrmannes. „Sie hat mir erzählt, dass ihr Mann jungen
Menschen Werte vermitteln wollte. Er wollte ein Vorbild sein. Er ist noch mehr. Er ist ein Held“, sagte Laschet. Der 46-Jährige stehe stellvertretend für Tausende Helfer, die jeden Tag und Leib und Leben riskierten.
Derweil begann die Debatte um Konsequenzen aus der Katastrophe. Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach sieht Parallelen zur Corona-Pandemie. „Beim Katastrophenschutz sind wir genauso schlecht vorbereitet wie beim Pandemie-Schutz“, sagte Lauterbach unserer Redaktion. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) stellte sich hinter den Katastrophenschutz: Vorbereitungen auf den Krisenfall wie das vorsorgliche Ablassen von Wasser aus Talsperren seien schon zum Zeitpunkt der Wettervorhersagen getroffen worden. Nach Auffassung des Deutschen Städte- und Gemeindebunds muss der Zivilschutz verbessert werden. „Dazu gehören eine Stärkung des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und der konsequente Ausbau von Notfallvorräten“, sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg. Auch die Alarmierungssysteme müssten verbessert werden: „Ein Problem der jüngsten Katastrophe war der schnelle Ausfall des Mobilfunknetzes.“Nun sei es wichtig, Sirenensysteme zu reaktivieren und zu digitalisieren.
Starke Überschwemmungen durch neue Regenfälle gab es auch im Süden Deutschlands, in der Sächsischen Schweiz und in Österreich. Zumindest in den nächsten Tagen dürfte sich die Wetterlage etwas entspannen. Das Hoch „Dana“über den Britischen Inseln bringe freundliches und vor allem trockeneres Sommerwetter, teilte der Deutsche Wetterdienst am Sonntag mit. Erst zum Wochenende steige die Gewitter- und Unwettergefahr wohl wieder deutlich.