Rheinische Post Krefeld Kempen
Krefeld stellt Regeln für vierte Welle auf
Inzidenz 19,8: Ab Freitag werden in Krefeld Lockerungen aufgehoben. Sorgen macht Experten der kommende Herbst: „Kaum ein Nicht-Geimpfter wird einer Ansteckung entgehen“, sagt Dr. Andre Wiegratz. Aber Krefeld hat einen Plan für die vierte Welle.
Die Corona-Kurve steigt - auch in Krefeld. 19,8 ist der Inzidenzwert, den das Robert-Kochinstitut für Dienstag veröffentlicht. Das bedeutet, dass die Stadt in die Stufe eins rückt: Ab Freitag werden einige Lockerungen zurückgenommen, die Maskenpflicht wieder verstärkt.
Noch ist die Lage entspannt, kein Patient wird wegen einer Covid-Erkrankung im Krankenhaus behandelt. Die Verhältnisse entsprechen denen des vergangenen Sommers. Doch da schossen die Kurven in den kühleren Monaten in die Höhe. Aus den Erfahrungen in anderthalb Jahren mit der Pandemie haben die Experten im städtischen Krisenstab Lehren gezogen. Mit großer Sorge blicken sie auf Herbst und Winter: Die vierte Corona-Welle sei unausweichlich - vor allem mit der Delta-Variante sieht die Prognose dramatisch aus: „Es wird kaum jemand, der nicht geimpft ist, der Ansteckung entkommen“, sagte Dr. Andre Wiegratz, Ärztlicher Leiter des Rettungsdienstes am Dienstag nach der Sitzung des Krisenstabs. Gefährdet sind jetzt vor allem die jüngeren, die 20- bis 29-Jährigen, die sozial aktivste, aber bisher am wenigsten geimpfte Gruppe.
Die Delta-Variante ist viermal so ansteckend und gefährlich wie das Alpha-Virus: „Virusvarianten mit derart erhöhter Infektiosität können wir nicht eindämmen“, sagt Wiegratz. Der Verlauf der Delta-Infektionen sei „so anders alle andere“. Gerade zu Beginn sei sie extrem ansteckend. Die Prognose geht davon aus, dass die Rate der Krankenhausaufenhalte wegen einer „Delta“-Infektion um 241 Prozent steigt, die der Intensivbettenbelegung um 211 Prozent. In Großbritannien gebe es einen Inzidenzwert von 1000 bei jungen Leuten. Deshalb hat der Krisenstab der Stadt ein Maßnahmenpaket geschnürt, um sich für die vierte Welle zu wappnen. „Wir werden alles tun, um die Herausforderung zu meiitern. Denn Schulen und Kitas können wir nicht wieder in den Lockdown schicken. Die psychosozialen Belastungen für die Kinder und Familien sind zu groß und jetzt noch nicht absehbar“, so
Stadtdirektor Markus Schön.
Impfen Das ist weiter das A und O. Wiegratz rechnet das Beispiel vor: Herdenimmunität sei gegeben, wenn 80 Prozent der Bevölkerung geimpft sei. „In Deutschland gibt es 14 Millionen Kinder, das entspricht 20 Prozent. Das bedeutet aber: 100 Prozent der Erwachsenen müsste geimpft sein.“Die Marke sei unerreichbar, aber es müssten so viele wie möglich sein - auch jüngere.
Bisher sind in Krefeld knapp sechs Prozent der unter 18-Jährigen geimpft, 2,1 Prozent haben die Zweitimpfung. Bei den 18- bis 50-Jährigen sei es ähnlich. Das Impftempo verlangsame sich zunehmen. Mit erheblichen Nachwirkungen: Denn Nicht-Geimpfte könnten bei einem so aktiven Virus den Schutz der Geimpften aufheben. Deshalb will die Stadt mit neuen Angebote reagieren.
Mobile Impfteams an weiterführenden Schulen und an Kitas: „Alle ab 16 Jahren dürfen wir mit dem Personal unseres Impfzentrums impfen“, so Wiegratz. Mobile Impfteams werden in den ersten Wochen nach den Ferien die weiterführenden Schulen ansteuern. Kinder unter zwölf Jahren dürfen Laut Stiko (Ständiger Impfkommission) noch nicht geimpft werden. Aber an allen großen sechs- bis sieben-gruppigen Kitas vor allem in der Innenstadt wird es das Angebot des mobilen Impfteams für die Eltern geben zum Beispiel an den Kitas Hubertusstraße, Christian-Roos-Str., Ispelsstraße und Appellweg. Flugblätter in mehreren Sprachen sollen darauf vorbereiten.
Die zweite Impfung bringt den Schutz. Eine Impfung sei keine Garantie, nicht zu erkranken, räumte Wiegratz ein, aber eine Infektion trete sehr viel seltener auf und verlaufe in der Regel milder. Außerdem stelle jeder Nicht-Geimpfte auch ein Risiko für alle anderen dar, das gelte insbesondere auch für alle, die sich den zweiten Pieks ersparten. „Es gibt einen sehr hohen Selektionsdruck. Die stärksten Viren setzen sich durch. Die Gefahr einer Impfstoff-Resistenz ist sehr hoch. Dann haben wir ein Supervirus“, warnt der Arzt.
Testen bleibt wichtig. In den Kitas soll ab einer Inzidenz von 35 der Lolli-PCR-Test zweimal wöchentlich Pflicht sein. An den Grundund Förderschulen ebenfalls - zunächst mindestens bis zum Herbst. Schön fordert, dass die bisher unterschiedlichen Verfahren und Finanzierungen für diese Bereiche landeseinheitlich gehandhabt würden. An weiterführenden Schulen gibt es weiterhin die vom Land beschafften Selbsttest, jeweils zweimal pro Woche.
Lüften und AHA-Regeln gelten weiterhin. Auch an Grundschulen herrscht nach den Ferien Maskenpflicht. Die Stadt will in den kommenden Wochen mobile Luftfilteranlagen anschaffen. Der 200-Millionen-Euro-Topf des Bundes wurde gerade mit 90,4 Millionen Euro vom Land NRW aufgestockt. Das will auch Krefeld nutzen. „Aber das bedeutet nicht, dass jeder Raum ausgestattet wird. Das macht keinen Sinn“, betont Schön. Die Anlagen sind gedacht für Räume, die nicht ohne Hilfsmittel zu belüften sind - etwa weil die Fenster nur gekippt und nicht weit geöffnet werden können. Zuerst werden die ersten bis sechsten Klassen und die Kitas ausgestattet. „Und dann geht es peu à peu“, sagt Schön. Neu- und Erweiterungsbauten werden künftig im Rahmen des Healthy-Building-Programms mit festen Anlagen geplant. Ohnehin seien fest installierte Luftfilter ab sofort Bestandteil des Standardsanierungs- und Neubauprogramms des Zentrale Gebäude-Managements.
Keine strikte Quarantäne in großem Umfang an den Schulen, heißt eine weitere Forderung von Schön an die Politik. Geregelter Unterricht müsse sichergestellt sein, es dürften nicht wegen einzelner Infektionsfälle
ganze Klassen lahmgelegt werden und wieder Unterricht ausfallen, meint der Stadtdirektor: „Es ist im Gegenteil die Fortführung des Unterrichts auch bei Infektionsfällen in der Klasse zwingend erforderlich. Die Kranken sollen natürlich zuhause bleiben. Da muss das RKI entsprechend nachdenken.“
Mitspracherecht für junge Menschen ist dem städtischen Krisenstab wichtig. Wenn über Schule geredet werde, seien sie direkt betroffen von den Maßnahmen. Deshalb wird ab sofort ein Mitglied aus dem Jugendbeiratsvorstand am regelmäßigen Schulgipfel teilnehmen, „um die Perspektive junger Menschen stärker in das städtische Krisenmanagement einbringen zu können und sich an den relevanten Entscheidungen zu beteiligen“, erklärt Stadtdirektor Schön.
Schön kritisiert, dass die Entscheidungslast „vor der Lage“immer noch auf die Kommunen abgewälzt wer. Er findet es befremdlich, „dass sich die Bundesländer auf einheitliche Öffnungsschritte wie die Zulassung von maximal 25.000 Zuschauern in Fußballstadien einigen können, für den Betrieb von Schulen und Kitas im Herbst trotz der besonderen Herausforderungen für den Betrieb dieser Einrichtungen bislang abgestimmte Strategien und Konzepte fehlen. Von der in den letzten Wochen so oft beschworenen Forderung, dass „jetzt mal verstärkt an Kinder und Jugendliche zu denken sei, da sie besonders unter den Pandemiefolgen leiden würden“, bleibt da nicht viel übrig.“
Nicht nur vom Einhalten der Regeln, auch vom Verhalten der Menschen hänge es ab, wie gut Krefeld durch den nächsten Winter komme, betonte der Arzt. Sechs neue Corona-Infektionen gibt es zum Stand Dienstag, 20. Juli, 0 Uhr. Damit steigt die Gesamtzahl aller bestätigten Fälle auf 11.728. Als infiziert gelten derzeit 50 Personen, fünf mehr als am Vortag.
11.501 Personen haben eine Erkrankung bisher überstanden. Es gibt keinen weiteren Todesfall. Die Statistik des Gesundheitsamtes verbucht außerdem 32.671 Quarantänen und 53.183 Erstabstriche, 43 Ergebnisse davon sind noch offen. In den vergangenen Wochen hat der Kommunale Ordnungsdienst vermehrt Verstöße gegen die Quarantäneauflagen registriert. Deshalb wird verstärkt weiter geprüft, ob die angeordneten häuslichen Quarantänen eingehalten werden. In der vergangenen Woche seit Dienstag von 42 Personen elf nicht angetroffen worden: „Es lag zu dieser Zeit auch kein triftiger Grund für eine Abwesenheit vor. Die Betroffenen erwartet ein Bußgeld von jeweils mindestens 250 Euro“, meldet die Stadt.