Rheinische Post Krefeld Kempen
Tengelmann verlässt Mülheim und zieht nach München
Der offizielle Umzug der Holding nach Bayern ist der letzte Teil eines tiefgreifenden Einschnitts in der mehr als 100-jährigen Unternehmensgeschichte.
MÜLHEIM Es ist nur ein einziger Satz mit 19 Worten in einer zweiseitigen Pressemitteilung. Doch dessen Inhalt bedeutet eine Zäsur: „Außerdem haben die Gesellschafter beschlossen, den Sitz der Tengelmann Gruppe von Mülheim an der Ruhr nach München zu verlegen.“
Das ist der vorerst letzte Veränderungsschritt beim tiefgreifenden Umbau des alten Tengelmann-Konzerns. Und es ist einer, bei dem die Verantwortlichen – nun auch offiziell – nachhaltig Wurzeln kappen. Mehr als 100 Jahre lang hatte die Firmengruppe ihren Sitz im Mülheimer Stadtteil Speldorf. Dort, wo damals die Kakao- und Schokoladenfabrik Wissoll startete, von wo aus seit Ende der 60er-Jahre Erivan Haub und später seine Söhne ein Milliardenimperium schufen.
Aus Sicht des Unternehmens ist der Umzug nach München die logische Konsequenz der Entwicklung der vergangenen 16 Monate. Im Sommer 2020 hat Tengelmann den Campus in Mülheim vollständig geräumt, nachdem die Firmenzentrale an die österreichische Soravia-Gruppe verkauft worden war. „Seither haben die Mitarbeiter (die neue Tengelmann Twenty-One hat etwa 40 Beschäftigte, Anm. d. Red.) schon ausschließlich an den Standorten in Düsseldorf, München und
Greenwich (USA) gearbeitet“, sagte ein Sprecher des Unternehmens auf Anfrage. Die Verlegung des Sitzes nach Süddeutschland sei „eher ein formaler Akt“.
Mag der offizielle Umzug juristisch wie reiner Vollzug erscheinen – er ist einer von historischer Dimension. Was von Tengelmann am früheren Stammsitz in Mülheim bleibt, ist das alte Gästehaus mit der klangvollen Adresse „Auf dem Dudel“, wo einst die Weichen für die Unternehmensentwicklung gestellt wurden. Und hier trafen sich zuletzt auch die Familienstämme, um die Zukunft des Unternehmens zu regeln, nachdem Ex-Chef Karl-Erivan Haub, der drei Jahre als verschollen galt, für tot erklärt worden war. Nach der Einigung mit Haubs Witwe und deren Kindern verfügt Christian Haub über rund zwei Drittel, sein älterer Bruder Georg über rund ein Drittel der Anteile an Tengelmann. Die Firmenzentrale liegt künftig in einem Münchner Hochhaus als Teil der „Highlight Towers“im Stadtteil Schwabing am Münchner Tor zwischen dem Mittlerem Ring der Stadt und der Autobahn 9.
Die Verlegung nach Bayern ist, wenn man so will, sogar ein kleiner Schritt zurück in die Vergangenheit: Als Tengelmann nach dem Zweiten Weltkrieg den Neustart wagte, wurde 1953 in der bayerischen Landeshauptstadt das erste TengelmannSelbstbedienungsgeschäft
eröffnet. Der alte Konzern ist in großen Teilen aber nur noch Geschichte. Plus wurde schon vor zwei Jahrzehnten verkauft, die Supermarktkette Kaiser's hat Tengelmann auch schon vor Jahren abgegeben. Aus der alten Welt gehören der Baumarktbetreiber Obi (Wermelskirchen, zu 74 Prozent) und die Textilhandelskette Kik (Bönen) zur Gruppe. Dazu kommen Tengelmann Ventures, in der viele Beteiligungen gebündelt sind, und die Immobiliengruppe Trei.
Im Beirat der Holding gibt es derweil einen Wechsel: Carl-Thomas Epping, seit Jahresbeginn Mitglied, wird durch Pier Paolo Righi ersetzt, den Chef der Lagerfeld-Gruppe.