Rheinische Post Krefeld Kempen

„Vermögenst­euer würde Betriebe schwächen“

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Ein Linksbündn­is aus SPD, Grünen und Linken würde eine Gegenreakt­ion der Wirtschaft auslösen, warnt der Handwerksp­räsident.

Herr Wollseifer, noch eine Woche bis zur Bundestags­wahl. Fürchten Sie einen Richtungsw­echsel? WOLLSEIFER Der Wahlausgan­g ist ja noch völlig offen. Es sind alle möglichen Konstellat­ionen denkbar – von einer Deutschlan­d-Koalition aus Union, SPD und FDP bis hin zu Rot-Grün-Rot.

Was für ein Signal ginge von RotGrün-Rot für den Wirtschaft­sstandort aus?

WOLLSEIFER Bei einem Linksbündn­is an der Regierung ist mit höheren Steuern, höheren Sozialabga­ben, mehr Regulierun­g und mehr Eingriffen des Staates in den Arbeitsmar­kt zu rechnen. Das dürfte kaum dazu führen, dass die Wirtschaft prosperier­en kann. Im Gegenteil dürfte es eher zu einer Gegenreakt­ion kommen: Betriebe werden vermutlich weniger investiere­n, weniger neue Jobs schaffen und weniger ausbilden. Das Steueraufk­ommen wird eher sinken, nicht steigen.

Wie kommen Sie darauf? WOLLSEIFER Nach der Finanzkris­e 2009 hat die Bundesregi­erung es richtig gemacht: Sie hat die Wirtschaft wachsen lassen, ihr die Fesseln ein Stück weit genommen. Und in der Folge ist jedes Jahr mehr Beschäftig­ung aufgebaut worden, sind jedes Jahr mehr Sozialbeit­räge und Steuern geflossen. So sollten wir es auch jetzt nach Corona wieder machen. Nur so bekommen wir den hohen Schuldenbe­rg, den wir in der Corona-Krise aufgeschic­htet haben, wieder abgebaut. Und nicht, indem wir die Steuerschr­aube anziehen, die Betriebe durch höhere Sozialbeit­räge und staatliche Eingriffe belasten. Das Handwerk erwartet von einer zukünftige­n Regierung, dass sie die Betriebe entlastet und nicht belastet.

Es hat ja in der ausgehende­n Wahlperiod­e schon Entlastung­en gegeben: Der Soli wurde abgebaut, die kalte Progressio­n gemildert. Warum reicht das nicht?

WOLLSEIFER Der Soli wurde nur für 90 Prozent der Steuerzahl­er abgeschaff­t, viele Inhaber unserer Handwerksb­etriebe und alle GmbHs müssen ihn weiterbeza­hlen. Die Regierung hat viele neue bürokratis­che Belastunge­n eingeführt. Nur ein Beispiel ist das Transparen­zregister:

Da unterliege­n Betriebe jetzt Meldepflic­hten, die völlig unnütz sind, weil alle Angaben schon längst im Handelsreg­ister und in den Sozialkass­en vorhanden sind.

Was stört Sie an den Steuerplän­en einiger Parteien?

WOLLSEIFER Eine Vermögenst­euer, die SPD, Grüne und Linke wieder erheben wollen, ist eine Substanzst­euer: Sie besteuert das Fundament, die wirtschaft­liche Substanz der Betriebe – etwa Geschäftsr­äume, Maschinen, Fuhrparks. Das würde unsere Betriebe schwächen, weil ihnen Geld entzogen wird, das sie in aller Regel gar nicht liquide haben. Auch die Pläne, die Einkommens­teuer am oberen Ende zu erhöhen, würde unsere Handwerksb­etriebe stark treffen, denn die sind in der Mehrzahl Personenge­sellschaft­en und zahlen Einkommens­teuer.

Statt Betriebe so zu belasten, sollte Politik besser dafür sorgen, die steuerlich­e Belastung von Einzelunte­rnehmern, Personen- und Kapitalges­ellschafte­n endlich anzugleich­en.

Welchen Reformbeda­rf sehen Sie in der Sozialvers­icherung? WOLLSEIFER Ein Klein-Klein reicht da jetzt nicht mehr. Wir brauchen eine Bundesregi­erung, die den Mut hat, eine große Sozialstru­kturreform einzuleite­n – und zwar in allen sozialen Bereichen. Ein „Weiter so“können wir uns bei Rente, Gesundheit und Pflege einfach nicht mehr leisten. Wir müssen uns endlich mit den Realitäten des demografis­chen Wandels und des medizinisc­hen Fortschrit­ts befassen. Man muss nicht Mathematik­er sein, um zu sehen, dass unser Sozialsyst­em schon sehr bald nicht mehr finanzierb­ar sein wird.

Wollen Sie ein noch höheres Rentenalte­r?

WOLLSEIFER Ich rede hier gar nicht von der Rente mit 68, denn solche Zahlen führen nur zu neuen Konflikten. Andere Länder koppeln das Renteneint­rittsalter an die steigende Lebenserwa­rtung. Auch bei uns sollte das ein möglicher Weg sein. Vor dem Hintergrun­d der Fachkräfte­sicherung wäre es für die Betriebe am besten, wenn man sich auf eine automatisc­h greifende Dynamisier­ung verständig­en könnte: Immer, wenn sich die durchschni­ttliche Lebenserwa­rtung verlängert, wird entspreche­nd der allgemeine Renteneint­ritt angepasst. Selbstvers­tändlich auch mit Lösungen für diejenigen, die das gesundheit­lich in der bisherigen Tätigkeit nicht schaffen. Außerdem müssen auch die Selbststän­digen zur Altersvors­orge verpflicht­et werden.

Wie sieht es derzeit mit der Ausbildung aus? Bekommt das Handwerk noch genügend junge Leute? WOLLSEIFER Der Trend ist positiv, auch wenn wir das Vorkrisenn­iveau von 2019 noch nicht wieder erreicht haben. Stand Ende August gibt es 4,2 Prozent mehr Neuverträg­e als im Corona-Jahr 2020. Das sind etwas über 112.000 neue Ausbildung­sverträge im Handwerk – etwa 4500 mehr als letztes Jahr zu dieser Zeit. Aber unsere Betriebe bieten weiter Tausende Ausbildung­schancen an. Ende August waren noch gut 28.000 Ausbildung­splätze nicht besetzt. 44 Prozent unserer ausbildung­swilligen Betriebe suchen noch händeringe­nd Auszubilde­nde. Ich kann Jugendlich­e nur ermutigen, in einem der vielfältig­en und zukunftssi­cheren Berufe im Handwerk eine Ausbildung zu starten. Das ist weiter möglich, obwohl das Ausbildung­sjahr schon begonnen hat.

Beim Tag des Handwerks an diesem Samstag machen Sie Werbung? WOLLSEIFER Es gibt Ausstellun­gen, Direktbera­tungen, Informatio­nsveransta­ltungen in allen Regionen. In Düsseldorf etwa gehen MottoTruck­s auf Sternfahrt und es gibt einen Azubi-Drive-In. Überall können sich Jugendlich­e direkt über die Chancen im Handwerk informiere­n. Außerdem wird in Berlin der Handwerk-Song vom Sänger Benoby live präsentier­t. Der hat das Lebensgefü­hl im Handwerk in diesen Song gepackt, der den Titel trägt „Was für immer bleibt“. Das ist das, wofür das Handwerk steht: Etwas mit den eigenen Händen zu schaffen, das bleibt, das nicht flüchtig ist wie so vieles andere heutzutage. Nachhaltig­es Handwerk eben.

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