Rheinische Post Krefeld Kempen
Warnung vor Morden durch „Querdenker“
Der Verfassungsschutz in NRW befürchtet, einzelne Anhänger der Szene könnten sich nach der Tat von Idar-Oberstein radikalisieren.
DÜSSELDORF Nach dem Mord an einem Tankstellen-Mitarbeiter in IdarOberstein warnt der Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen vor schweren Straftaten durch Personen aus der radikalen „Querdenker“-Szene. „Es besteht die Gefahr, dass sie sich und andere mit ihrer Hetze weiter radikalisieren und schwere Straftaten begehen“, teilte der Verfassungsschutz mit. Wahlweise werde die Tat von Idar-Oberstein in sozialen Medien als Notwehr, logischer Schritt oder Beginn eines Befreiungskampfs gegen die angebliche „Merkel-Diktatur“gefeiert. „Diese Reaktionen machen deutlich, dass einige Personen nicht davor zurückschrecken, Mord und Totschlag als legitimes Mittel im Kampf für ihr krudes Weltbild zu akzeptieren oder sogar zu verherrlichen“, so der Verfassungsschutz weiter.
Am 18. September war ein 20-jähriger Tankstellen-Mitarbeiter im Streit um eine Corona-Maske von einem Kunden mit einem Schuss in den Kopf getötet worden, nachdem der Mitarbeiter den Mann mehrfach auf die Maskenpflicht hingewiesen hatte. Nach seiner Festnahme sagte der zuvor nicht polizeibekannte Täter den Ermittlern zufolge, dass er die Corona-Maßnahmen ablehne.
Die Sicherheitsbehörden haben keine gesammelten Erkenntnisse, inwieweit Corona-Leugner bewaffnet sind – sei es legal oder illegal. Dem NRW-Verfassungsschutz liegen aber vereinzelt Hinweise vor, dass auch hierzulande einzelne Personen der Bewegung geschult im Umgang mit Waffen sein könnten – etwa durch eine ehemalige Zugehörigkeit zur Bundeswehr. Wenige Tage vor der Tat in Idar-Oberstein hat es laut Nachrichtendienst bei einem Mitglied der „Corona-Rebellen Düsseldorf“eine Hausdurchsuchung wegen des Verdachts auf Waffenbesitz gegeben. „Dabei wurden eine Schreckschusswaffe und eine Armbrust sichergestellt. Dabei handelte es sich um legalen Waffenbesitz“, heißt es beim Verfassungsschutz dazu.
Nach dem Mord in Idar-Oberstein haben die Sicherheitsbehörden entsprechendes „Grundrauschen“in der Szene ausgemacht – insbesondere in den sozialen Medien. Demnach hat es in Messenger-Diensten wie Telegram unterschiedliche verfassungsfeindliche Reaktionen aus der „Querdenker“-Szene gegeben. Es würden dort auch Verschwörungsmythen geteilt, beispielsweise, dass es sich bei dem Mord von IdarOberstein um eine Täuschungsaktion („False Flag“) handele, „damit gezielt Stimmung gegen die Szene gemacht werden könne“, heißt es beim Verfassungsschutz.
In NRW spielen zwei große Gruppen eine Rolle: die „Querdenker“und die „Corona-Rebellen“. Die „Querdenker“verfügen nach eigenen Angaben bundesweit über mehr als 60 regionale Initiativen. Sie gehen in ihrem Ursprung auf die Untergruppe „Querdenken – 711“aus Stuttgart zurück. In NRW gibt es 25 solcher Ableger. Die „Corona-Rebellen“haben ihren Schwerpunkt in Düsseldorf.
Die NRW-Sicherheitsbehörden beobachten gerade, dass die „Querdenker“-Szene wegen der sich entspannenden Corona-Lage an Zulauf in der Bevölkerung verliert. „Das macht sich auch im rückläufigen Versammlungsgeschehen bemerkbar“, so der Verfassungsschutz. Demnach werde sich die Szene möglicherweise neue Themenfelder suchen, mit denen sie staatliches Handeln kritisieren kann. „Ansätze dazu gab es bereits während der Flutkatastrophe, als sich „Querdenker“und Rechtsextremisten als Kümmerer inszeniert haben“, so der Nachrichtendienst. „Es besteht weiterhin die Gefahr einer Radikalisierung. Insbesondere besteht die Sorge, dass das Freund-FeindDenken einzelne Akteure auch zu Gewaltstraftaten motivieren kann.“