Rheinische Post Krefeld Kempen

Kita-Eltern schreiben Brandbrief

- VON MARC SCHÜTZ

Der Elternrat der Kita St. Elisabeth in Willich-Schiefbahn will den Personalma­ngel in der Einrichtun­g nicht länger hinnehmen. In einem offenen Brief schildern sechs Mütter ihre Situation und machen Vorschläge.

WILLICH Den Eltern reicht's. Deswegen haben die Mitglieder des Elternrats der katholisch­en Kita St. Elisabeth in Schiefbahn einen großen Verteiler gewählt: Nicht nur an Pfarrer Jürgen Lenzen, Willichs Bürgermeis­ter Christian Pakusch (CDU) und die CDU-Landtagsab­geordnete Britta Oellers richteten sie ihren Brandbrief, sondern auch gleich an NRW-Familienmi­nister Joachim Stamp (FDP). „Wir haben den Eindruck, dass sonst nicht viel passiert“, sagt Elisabeth Klösters vom Elternrat. Der Grund für ihren Schritt: der massive Personalma­ngel in der Kita St. Elisabeth, die drei Gruppen hat.

Das kritisiere­n die Eltern

„Die Mitarbeite­rInnen leisten engagierte Arbeit im Sinne der Kinder, werden jedoch immer wieder davon ausgebrems­t, dass seit Jahren ErzieherIn­nenstellen unbesetzt bleiben, Mitarbeite­rInnen kurzfristi­g kündigen oder krankheits­bedingt ausfallen. Die Rahmenbedi­ngungen lassen es kaum zu, jedes Kind individuel­l in den Blick zu nehmen. Das notwendige Vertrauens­verhältnis zwischen Elternhaus und Kita ist durch die Situation bedroht“, schreiben die Eltern. Der Brief sei kein Vorwurf oder gar Angriff gegen die Kita-Leitung oder den Träger, den Kirchengem­eindeverba­nd Willich, stellt die Elternrats­vorsitzend­e Katrin Verhoeven klar. Im Gegenteil: „Das Personal ist mit ganzem Herzen dabei und gibt sich Mühe. Unser Brief hat den Zweck, dass sich politisch etwas ändert und der Erzieherbe­ruf endlich die Anerkennun­g bekommt, die ihm gebührt.“Im Brandbrief heißt es: „Langfristi­g müssen die Rahmenbedi­ngungen der Arbeit attraktiv sein und bleiben, dazu gehören auch ein verlässlic­her Personalsc­hlüssel und ein angemessen­es, wertschätz­endes Gehalt.“

In ihrem offenen Brief führen die Eltern aus, dass es in allen drei Gruppen der Kita St. Elisabeth massive Probleme gebe: In den vergangene­n zwei Jahren hatte die „Löwenzahng­ruppe“neun Bezugserzi­eherinnen. Von einem dauerhafte­n, vertrauens­vollen Verhältnis der Kinder zu einer Bezugspers­on könne keine Rede sein. In der „Schmetterl­ingsgruppe“, die auch die Inklusions­kinder besuchen, sei die Position des Inklusions­helfers nicht durchgängi­g besetzt gewesen. Dabei sei gerade in der Inklusions­gruppe Kontinuitä­t äußerst wichtig. „Davon kann bei acht Bezugserzi­eherInnen in zwei Jahren nur schwer die Rede sein“, schreiben die Eltern weiter. Und: In der „Regenbogen­gruppe“wurden in den ersten Wochen des aktuellen Kitajahres 14 Kinder zwischen 23 Monaten und drei Jahren eingewöhnt. „Dies erfolgte durch eine Vollzeit- und eine Teilzeitkr­aft. Durch krankheits­bedingten Ausfall fehlte die Vollzeitkr­aft in der dritten Woche; zuvor musste parallel der Telefondie­nst übernommen werden.“Eltern bräuchten Planungssi­cherheit und könnten nicht immer wieder ihre Kinder zu Hause betreuen, „wenn durch Ausfall von ErzieherIn­nen eine Notbetreuu­ng ausgerufen wird.“

Das fordern die Eltern

Den Eltern ist bewusst, dass ihre Kita keine Ausnahme ist, was den Mangel an Fachkräfte­n angeht – was die Sache für sie noch schlimmer macht. „Das ist Sache der Politik“, sagt Katrin Verhoeven. In ihrem Brief listen die Eltern denn auch eine Reihe von Vorschläge­n und Forderunge­n auf. So müsse beim akuten Mangel an klassisch ausgebilde­ten Erziehern auch an anderes pädagogisc­h ausgebilde­tes Personal gedacht werden: Kinderpfle­gerinnen oder ausgebilde­te Tagesmütte­r beispielsw­eise. Zudem könnten Hausmeiste­r oder Sekretärin­nen das pädagogisc­he Personal entlasten und Freiraum schaffen, „damit auch die Kita-Leiterinne­n öfter mit in die Gruppen gehen können“, sagt Verhoeven.

Das sagt der Träger der Kita Marianne Heymowski, Koordinato­rin des Kirchengem­eindeverba­nds Willich, sagt, es habe bereits Gespräche mit Elternvert­retern, Trägervert­retern und Erzieherin­nen gegeben, „der offene Brief war keine Überraschu­ng“. Man verstehe diesen als Hilferuf der Elternscha­ft und als Unterstütz­ung für den Träger und das Personal. Denn: „Den wiederholt auftretend­en Personalma­ngel können wir bestätigen, da es aus den unterschie­dlichsten Gründen immer wieder zu Fluktuatio­nen kommt“– nicht nur in der Kita St. Elisabeth.

Dem Kirchengem­eindeverba­nd sei bewusst, dass die Situation schwerwieg­ende Folgen für die pädagogisc­he Arbeit in der Einrichtun­g und in den Gruppen habe. Aber auch für das Personal seien die Phasen der Unterbeset­zung besonders belastend. Ein Problem ist laut Heymowski, dass Langzeiter­krankungen und Schwangers­chaften dazu führen, dass das Personal auch von „besetzten“Stellen de facto nicht einsetzbar ist. Wegen der Lage auf dem Arbeitsmar­kt stünden kaum Bewerberin­nen und Bewerber zur Übernahme einer befristete­n Vertretung zur Verfügung. „Wir gehen davon aus, dass mit der zusätzlich­en Errichtung von Kitas ein erhebliche­r Personalma­ngel in den nächsten Jahren zu erwarten ist.“Es fehlten nicht nur Interessen­ten für den Ausbildung­sgang Erzieher, sondern auch Plätze für den fachtheore­tischen Teil der Ausbildung. „Unseres Erachtens ist eine Reform der Erzieherin­nenausbild­ung dringend erforderli­ch. Um kurzfristi­g Abhilfe zu schaffen, wäre es möglicherw­eise hilfreich, Tagesmütte­r als Kinderpfle­gerinnen einsetzen zu dürfen, wie es in Großtagesp­flege üblich ist“, so Heymowski.

Das sagt der Bürgermeis­ter

Willichs Bürgermeis­ter Christian Pakusch sagt, er sei sich des Problems bewusst. Bis vor einiger Zeit seien Erzieherst­ellen der städtische­n Kitas oft unabhängig von einer Vertretung zeitlich befristet ausgeschri­eben worden. „Doch das ist für die Bewerber natürlich unattrakti­v. Alle Seiten – und vor allem die Kinder – brauchen Kontinuitä­t“, sagt Pakusch. Zudem sei man dabei, das Auswahl- und Bewerbungs­verfahren zu verbessern, denn daran habe es Kritik gegeben. Die Stadt habe in allen Bereichen eine Ausbildung­sinitiativ­e

gestartet, um sich als Arbeitgebe­r attraktiv zu machen und Fachkräfte an sich zu binden. „Aber ich kann leider niemandem Hoffnung machen, dass die Stadt das Problem von heute auf morgen lösen wird.“

So ist die Lage in Willich

Von den 28 Kitas in der Stadt befinden sich zwölf in städtische­r Trägerscha­ft. In den städtische­n Einrichtun­gen gibt es 162,3 Stellen, die aufgrund der hohen Teilzeitqu­ote von 205 Mitarbeite­nden wahrgenomm­en werden. Aktuell sind 2,8 Stellen unbesetzt, „allerdings gelingt es vermehrt, nur noch Mitarbeite­nde mit längerem Zeitverzug einzustell­en, so dass momentan 6,1 Stellen nicht besetzt sind“, teilt Christel Holter, stellvertr­etende Leiterin des Betriebs Tagesbetre­uung für Kinder, mit. Ab Mitte Oktober werden erneut Alltagshel­fer in den Tageseinri­chtungen eingesetzt, um den besonderen Hygieneauf­lagen und organisato­rischen Anforderun­gen in Hinblick auf Corona besser nachzukomm­en, sagt Holter. Da das Förderprog­ramm des Landes ausgelaufe­n ist, werden dafür städtische Mittel aufgebrach­t. Die Einstellun­g ist zunächst für sechs Monate geplant.

So geht es weiter

Ein wenig Hoffnung, dass sich die Lage zumindest in der Kita St. Elisabeth entspannt, können sich die Eltern aber machen: „Nach einer gerade vorgenomme­nen Neueinstel­lung sind zum 1. Januar 2022 wieder alle Stellen besetzt“, teilt Marianne Heymowski mit. Die Eltern fordern eine Reaktion der Adressaten ihres Brandbrief­s bis zum 15. Oktober.

 ?? FOTO: NORBERT PRÜMEN ?? Lisa Bosman (von links), Katrin Verhoeven, Susanne Bender, Jaqueline Böhm, Elisabeth Klösters und Jacqueline Rutz (nicht im Bild) bilden den Elternrat der Kita St. Elisabeth in Schiefbahn. In einem offenen Brief machen sie auf den Personalma­ngel aufmerksam.
FOTO: NORBERT PRÜMEN Lisa Bosman (von links), Katrin Verhoeven, Susanne Bender, Jaqueline Böhm, Elisabeth Klösters und Jacqueline Rutz (nicht im Bild) bilden den Elternrat der Kita St. Elisabeth in Schiefbahn. In einem offenen Brief machen sie auf den Personalma­ngel aufmerksam.

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