Rheinische Post Krefeld Kempen
Er ist wieder da
Erneut kommt es zum Aufeinandertreffen von Ermittler Borowski und Frauenmörder Korthals.
Eigentlich ist er ein guter Mensch. Eigentlich will er nur Normalität, will geliebt werden, eine Frau, vielleicht einen Hund, teilhaben am ganz normalen Leben. So wenigstens sieht sich Kai Korthals (Lars Eidinger). Die meisten anderen sehen in ihm den Killer, den Entführer, den kranken Sadisten, der weggesperrt gehört, vor dem man die Menschen schützen muss. Was ist gut, was ist schlecht, gibt es Gutes im bösen Menschen, ist das Böse im Wortsinne entschuldbar, weil es erklärbar ist? „Borowski und der gute Mensch“, der neue „Tatort“aus Kiel, widmet sich diesen Fragen. Es ist nach „Borowski und der stille Gast“und „Borowski und die Rückkehr des stillen Gastes“das dritte Aufeinandertreffen des Kieler Ermittlers (Axel Milberg) und Kai Korthals (Lars Eidinger).
Für Klaus Borowski wird ein Alptraum wahr, als Korthals nach einem Aufstand samt Brand in einer forensischen Klinik in Kiel entkommen kann. Korthals ist Borowskis Nemesis. Er ist ein schuldunfähiger Frauenmörder, bedrohte einst seine Assistentin Sarah Brandt (Sibel Kekilli), viel schlimmer aber noch: Korthals entführte und quälte Borowskis Verlobte Frieda Jung. Und zerstörte damit diese Liebe: Jung überlebte, konnte aber nicht mehr mit Borowskis Beruf leben, verließ den Kommissar, der keinen natürlichen Hang zum Glücklichsein hat, dem das aber mit Jung leichter fiel.
Korthals entkommt aus der KliAnik, indem er tut, was er am besten kann: sich scheinbar unsichtbar machen. Er wird zum Feuerwehrmann, zurFraumitBlumenkleidundlangen
Haaren, er wird eins mit seiner Umgebung. In Korthals Zelle finden Borowski und seine Kollegin Mila Sahin (Almila Bagriacik) unzählige Briefe von Verehrerinnen: Offenbar haben sich zahlreiche Frauen von dem Mörder angezogen gefühlt und ihm Versprechungen gemacht. Jede einzelne dieser Frauen ist jetzt in Gefahr. Bei jeder einzelnen von ihnen könnte er, der Flüchtige, jetzt unterkommen.
Der erste „Tatort“dieser Reihe, ausgestrahlt 2012, kam einer kleinen Revolution gleich, weil der Mörder Korthals an seinem Ende entkommen konnte – eigentlich ein No-Go in der Krimireihe. Die „Bild“-Zeitung zitierte Gunther Witte, Erfinder der Fernsehreihe Tatort: „Ein
Mörder darf nicht entkommen.“Weil die Zuschauerresonanz auf den ersten Teil aber derart groß war, setzte der NDR die filmische Beziehung zwischen Borowski und Korthals drei Jahre später mit „Die Rückkehr des stillen Gastes“fort – und legt jetzt Teil drei nach.
Milbergs Borowski wirkt zunächst, als ließe das Thema Korthals ihn fast ein bisschen kalt, er lächelt, ist ungewöhnlich zurückgenommen und fast lakonisch – erst später gelangt die Zuschauerin zur Überzeugung, dass das schlicht Notwehr ist, dass er sich dem Grauen seiner Vergangenheit, das plötzlich zum Grauen seiner Gegenwart wird, nicht unmittelbar stellen kann. Eidingers Korthals wiederum wechselt furios zwischen Verletzlichkeit, Menschlichkeit, Zerbrechlichkeit und verzweifelter, nicht nachlassender Brutalität. Beide Facetten nimmt man ihm eins zu eins ab, fühlt mit, wenn er elend ist, wenn er sich einer Frau nahe fühlt, wenn er damit hadert, dass die Menschen ihn für böse halten; genauso kriegt man es mit der Angst zu tun, wenn man die Wut in Korthals Augen aufsteigen sieht. Beide zusammen, Milberg und Eidinger, füllen diese kranke Beziehung mit so viel Spannung, dass es eine irrsinnige Freude ist, ihnen zuzuschauen. Einschalten. Unbedingt.
„Tatort: Borowski und der gute Mensch“, Das Erste, 3. Oktober, 20.15