Rheinische Post Krefeld Kempen
Antisemitismus als Alltag
Der Bericht des Sängers Gil Ofarim über seine Davidstern-Erlebnisse beim Einchecken in einem Leipziger Hotel schlägt Wellen. Was steckt dahinter? Über einen schlimmen Trend und eine unfreiwillige Selbstentlarvung.
Die meisten haben es nicht mitbekommen, die anderen Zuschauer beim Conference-League-Spiel im Berliner Olympiastadion vergangenen Donnerstag und die anderen Hotelgäste im Leipziger Westin vergangenen Montag. Doch was von dort anschließend berichtet wird, schlägt hohe Wellen. Ausgerechnet beim ersten Spiel einer israelischen Mannschaft im (vorbelasteten) Berliner Olympiastadion werden die Kicker von Maccabi Haifa aus dem Fanblock von Union Berlin antisemitischen Schmähungen ausgesetzt. Und vier Tage später sitzt der Sänger Gil Ofarim fassungslos vor den Türen des Westin und schildert im Video für die sozialen Netzwerke von soeben erlebtem Antisemitismus.
Er habe zusammen mit etlichen anderen in einer langen Schlange warten müssen und sich gewundert, warum ihm beim Einchecken immer wieder andere vorgezogen worden seien. Als Erklärung hätten ihm zwei Personen erklärt, wenn er seinen Stern wegpacke, könne er einchecken. Der „Stern“ist ein Davidstern, den der in München geborene Sohn von Abi Ofarim „schon sein Leben lang“trägt. Das Zeichen des Judentums. Und deshalb tut sich ein Hotel in Leipzig schwer mit dem Einchecken? „Deutschland 2021“, sagt ein mit der Fassung ringender Rocksänger jüdischer Herkunft.
Was den vorgelassenen Hotelgästen nicht in den Sinn kam, erledigten viele Leipziger am Dienstagabend: Sie protestierten vor dem Hotel und unterstrichen die feste Überzeugung, dem Antisemitismus in Deutschland keinen Fußbreit Raum zu gewähren. Doch der steckt längst tief drin und nährt sich von jahrhundertealten Mythen, die auch in der Corona-Pandemie und unter Trump-Anhängern erschreckende Neubelebungen erfuhren. Angebliche jüdische Verschwörungen, garniert mit dem Blut entführter Kinder und adressiert an bekannte Juden – eine Mischung, die absurder kaum sein kann und die offenbar immer noch aus Vorbehalten und Ängsten gegenüber irgendetwas „Fremdem“ihre Verbreitung saugen kann.
Die schockierten Mitarbeiter des Westin hätten diese auf Vorurteilen oder Unwissen beruhende Gemengelage kaum besser bestätigen können als mit ihrer spontanen Reaktion. Zum Zeichen ihrer Solidarität mit Ofarim versammelten sie sich hinter einem Transparent, das einen Zusammenhang zwischen dem eigenen Hotel-Emblem, der muslimisch-arabischen Mondsichel und der israelischen Flagge herstellte. Der deutsche Jude Ofarim wurde so einem fremden Land und einer fremden Kultur zugeschrieben, die man zu „integrieren“sich vorgenommen habe. Die Vorstellung, dass im Jahr 2021 ein Deutscher in Deutschland „integriert“werden müsse, weil er einen Davidstern trägt, beschreibt den Nährboden für Antisemitismus ohne böse Absicht sehr genau.
Und er macht den Vorgang noch größer, als er ohnehin ist – jenseits der noch anstehenden polizeilichen Ermittlungen. Ofarim erstattete zunächst keine Anzeige, wohl aber der vom Hotel freigestellte Beschuldigte, der den Vorgang gänzlich anders schilderte und seinerseits gegen „Verleumdung“und „Bedrohung“vorgeht.
Eine Sprecherin der Marriott-Gruppe bestätigte am Mittwoch, dass zwei Mitarbeiter beurlaubt worden seien. Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband verurteilte „jede Form von Diskriminierung und Antisemitismus“. Die Branche stehe für „Gastfreundschaft, Toleranz und Weltoffenheit“, sagte Dehoga-Hauptgeschäftsführerin
„Wir von Makkabi Berlin erleben so etwas recht häufig“
Michael Koblenz Sportvorstand