Rheinische Post Krefeld Kempen
Entlastungen von 65 Milliarden Euro
Der Schwerpunkt des Maßnahmenpakets liegt bei Menschen mit geringen Einkünften. Die Schuldenbremse soll 2023 trotzdem gelten.
BERLIN Der Bundeskanzler hat für diesen Auftritt ernste Worte vorbereitet. „Unser Land steht vor einer schweren Zeit“, beginnt Olaf Scholz sein Eingangsstatement bei der Vorstellung des dritten Entlastungspakets seiner Bundesregierung. Der russische Überfall auf die Ukraine sei eine „furchtbare Katastrophe“, sagt der SPD-Politiker am Sonntagmorgen im Kanzleramt: „Wir alle spüren die Folgen auch bei uns.“Russland sei kein zuverlässiger Energielieferant mehr, gerade hat Kreml-Chef Wladimir Putin auch die Gaslieferungen durch die Pipeline Nord Stream 1 komplett gestoppt. Doch die Bundesregierung lasse die Menschen nicht allein.
„You‘ll never walk alone“, wiederholt Scholz seinen Krisenspruch – und kommt zur Botschaft des Tages: Die Ampel entlaste die Bürger wegen der hohen Energiepreise nochmals um 65 Milliarden Euro. Zusammen mit den ersten beiden Paketen greife der Staat den Menschen mit insgesamt 95 Milliarden Euro unter die Arme.
Die Beratungen von SPD, Grünen und FDP waren „lang, und sie waren zeitweilig aufreibend“, gesteht Grünen-Chef Omid Nouripour nach den 22-stündigen Gesprächen. Von den Entscheidungen gehe das Signal aus, dass die Ampel liefere und sich nicht spalten lasse. „Wir sind erschöpft, aber stolz und sehr froh“, sagt Nouripour. Für die Grünen sei vor allem wichtig gewesen, die Maßnahmen gezielt auf untere Einkommen auszurichten und auch auf Klimaschutz-Aspekte zu achten.
Scholz und Nouripour überlassen es dem FDP-Vorsitzenden Christian Lindner, die geplante starke Anhebung der Hartz-IV-Regelsätze zu begründen. „Paradoxerweise“sei es im Hartz-IV-System so, dass die bisherige Inflationsentwicklung und nicht die künftige die Regelsätze bestimme, so Lindner. Das sei gerade jetzt in Zeiten hoher Inflation unsozial und werde geändert. Zuvor hatte der FDP-Chef die Berechnungsmethode allerdings verteidigt.
Wichtig sei aber auch, die „breite arbeitende Mitte unseres Landes“nicht zu vergessen, sagt Lindner.
Deshalb werde die Ampel die negativen Effekte der kalten Steuerprogression abbauen und Sonderzahlungen der Arbeitgeber an Beschäftigte bis 3000 Euro steuerfrei stellen. Auch werde es eine Anschlusslösung
für das Neun-Euro-Ticket geben. Alles will Lindner innerhalb der bisherigen Haushaltsplanung finanzieren, die Schuldenbremse solle deshalb 2023 nicht wieder ausgesetzt werden. Auch ein Nachtragshaushalt 2022 werde nicht nötig. Möglich werde dies, weil er Vorsorge getroffen habe.
Dies sind die Maßnahmen im Einzelnen:
Rentner und Studierende Rentnerinnen und Rentner sollen zum 1. Dezember eine einmalige Energiepreispauschale von 300 Euro aus dem Bundeshaushalt erhalten. Studierende und Auszubildende sollen einmalig 200 Euro bekommen.
Strompreisdeckel Hohe „Zufallsgewinne“will die Ampel am Strommarkt abschöpfen. Gelingen soll dies mit einer Preisobergrenze für Strom von Erzeugern, die nicht mit teurem Gas produzieren. Die Einnahmen sollen dafür sorgen, dass Privathaushalte den „Basisverbrauch“an Strom zum vergünstigten Preis bekommen. Um den Strompreis niedrig zu halten, wird zudem die zum 1. Januar 2023 geplante Erhöhung des CO2-Preises um ein Jahr verschoben.
Deutschland-Ticket Die Ampel-Koalition will ein neues bundesweit gültiges Nahverkehrsticket als Nachfolge des Neun-Euro-Tickets schaffen. Ziel sei eine Preisspanne zwischen 49 und 69 Euro im Monat. Die Länder müssen noch zustimmen.
Bürgergeld Mit der Einführung des Hartz-IV-Nachfolgers Anfang 2023 will die Ampel die Regelsätze für Bedürftige auf rund 500 Euro erhöhen. Heute erhalten Alleinstehende 449 Euro pro Monat.
Kindergeld Es soll von derzeit 219 Euro zum Jahresbeginn 2023 um 18 Euro monatlich für das erste und zweite Kind steigen.
Wohngeld Empfänger sollen für die anstehende Heizperiode einen einmaligen Zuschuss erhalten. EinPersonen-Haushalte bekommen 415 Euro, Zwei-Personen-Haushalte 540 Euro.
Midi-Jobs Geringverdiener sollen durch eine Entlastung bei Sozialversicherungsbeiträgen unterstützt werden. Die entsprechende Einkommensgrenze soll bei sogenannten Midi-Jobs auf 2000 Euro angehoben werden. Sie liegt derzeit bei 1300 Euro, ab Oktober bei 1600 Euro.
Steuern Die sogenannte kalte Steuerprogression wird abgebaut: Der Staat verhindert so Mehrbelastungen, die allein durch inflationsbedingte Lohnzuwächse entstehen. Zudem wird die sogenannte Doppelbesteuerung bei der Rente bereits 2023 – zwei Jahre früher als geplant – abgeschafft.