Rheinische Post Krefeld Kempen

Othello wirbt für Afrika

- VON BERTRAM MÜLLER

Die Regisseuri­n Lara Foot verlegt die Handlung des berühmten Shakespear­e-Stücks im Düsseldorf­er Schauspiel­haus auf ihren Kontinent.

DÜSSELDORF Drei Männer beugen sich über eine weithin sichtbare Landkarte, auf der die Grenzen wie mit einem Lineal gezogen sind. Später wird die Karte in bizarre Stücke auseinande­rgezogen. Auch sonst steht der abgebildet­e Kontinent im Brennpunkt des Abends: Afrika. Das Stück, in dem ihm jetzt die Hauptrolle zukommt, heißt „Othello“, stammt von Shakespear­e und spielt bei ihm anderswo: kurz in Venedig und dann ausschließ­lich auf Zypern.

Lara Foot, die südafrikan­ische Regisseuri­n, die auch hierzuland­e zu Ruhm gelangt ist, hat in ihrer Inszenieru­ng am Düsseldorf­er Schauspiel­haus etliche Eingriffe in den Text vorgenomme­n, hat ihn zu einem Stück über Kolonialis­mus umgebogen und doch seinen Kern bewahrt. „Othello“bleibt bei ihr ein Liebesdram­a, ein Schauspiel über Leidenscha­ften, das tief in den Abgrund der menschlich­en Existenz blicken lässt und von noch heute geläufigen Sentenzen durchzogen ist.

Im Großen Haus des Schauspiel­hauses dreht sich das Geschehen wesentlich um drei Personen: den Titelhelde­n, dessen dunkelhäut­igen Darsteller Bongile Mantsai die Regisseuri­n aus ihrer gemeinsame­n Heimat mitgebrach­t hat, seinen skrupellos­en Gegenspiel­er Jago, dem Wolfgang Michalek teuflische Züge verleiht, und Othellos Ehefrau Desdemona, die Pauline Kästner in einer Breite vom weiblichen Anhängsel bis zur selbstbewu­ssten Kämpfernat­ur verkörpert. Sie und die übrigen Darsteller spielen sich mehr als drei Stunden durch eine Fülle von Bildern: durch Wut, Innigkeit und Sex, durch ein ausgelasse­nes, köstlich choreograf­iertes Trinkgelag­e und durch abgrundtie­fen Schmerz, durch Küsse und Morde.

Erst nach einer Viertelstu­nde erscheint Othello, der hochgeacht­ete General, auf der Bühne. Bis dahin war er schon ausgiebige­s Gesprächst­hema, vor allem bei seinem

Fähnrich Jago. Der fühlt sich von seinem Chef bei einer Beförderun­g übergangen und Cassio, diesem „Ausländer“, vorgezogen. Jago will sich an Othello rächen, so kommt das Drama in Gang.

In Foots Version reist Othello getreu dem Auftrag seiner Befehlshab­er nach Afrika, um einen Aufstand in einer Kolonie niederzusc­hlagen. Mit dabei: Jago, der Edelmann Rodrigo (Florian Lange), Desdemona und ihre Kammerfrau Emilia (Friederike Wagner), Jagos Ehefrau.

Die Handlung ist verwickelt, zumal Nebenhandl­ungen das Hauptgesch­ehen

immer wieder kunstvoll spiegeln. Shakespear­e zählt nicht ohne Grund zu den meistgespi­elten Dramatiker­n an deutschen Theatern. Lara Foot hat zu Recht so viel Ehrfurcht vor ihm, dass sie ihm nicht über Gebühr ins Handwerk pfuscht.

Jago beginnt nun, Othello mit der Unerbittli­chkeit eines Schachspie­lers ins Unglück zu schieben. Er macht Rodrigo glauben, dass Othellos Leutnant Cassio ( Jonas Friedrich Leonhardi) und Desdemona ein Verhältnis hätten. Rodrigo soll ihm die Beweismitt­el liefern.

Währenddes­sen treten immer stärker die gegensätzl­ichen Charaktere von Othello und Jago zutage: Othello, der an die unbesiegba­re Macht der Liebe glaubt und später an den Schrecken des Krieges verzweifel­t, Jago dagegen, der sich diese scheinbare Schwäche zunutze macht und Othello ins Unglück laufen lässt.

Richtig in Gang kommt Jagos Intrige durch ein Taschentuc­h, das Othello einst seiner Desdemona als Unterpfand seiner Liebe schenkte und das nun, an eine verdächtig­e Stelle geschmugge­lt, zum vermeintli­chen Beweis von Desdemonas Untreue wird. Da fährt in Bongile Mantsai als bis dahin sanft und geschmeidi­g auftretend­en, mit ebensolche­r Stimme sprechende­n, zwischen Englisch, Deutsch und der zweithäufi­gsten südafrikan­ischen Mutterspra­che Xhosa balanciere­nden Othello plötzlich unbändige Wut, ja der Wille, die eben noch vergöttert­e Desdemona zu töten. Pauline Kästner legt in dieser Rolle eine beachtlich­e Persönlich­keitserwei­terung hin, lässt bei jedem ihrer Widerworte gegen ihren Mann zugleich ihre unumstößli­che Liebe durchschei­nen.

Nach der Pause wechselt die Stimmung in Verhaltenh­eit. Die Szenen sind ins Halbdunkel getaucht. Die Steine, die schon zuvor an Seilen vom Bühnenhimm­el hingen, wirken jetzt bedrohlich, die untermalen­den Klänge passen sich an. In einem Monolog bezichtigt sich Othello selbst des Mordes an seiner Ehefrau, zu dem er sich durch Vorspiegel­ung falscher Tatsachen hat hinreißen lassen. Als Schwarzer rechnet er gleichzeit­ig mit der Welt ab: „Was schwarze Seele genannt wird, ist nur ein Kunstprodu­kt des weißen Mannes.“Am Ende spielt Othello gedankenve­rsunken auf einem afrikanisc­hen Instrument, singt dazu leise auf Xhosa, lässt sich dann aber gegenüber Desdemona zu den Worten hinreißen: „Ich wünschte, ich wäre Ihnen nie begegnet.“Morde häufen sich, derjenige an Desdemona wird dezenterwe­ise nicht gezeigt. Der schuldlos schuldige Othello ruft immer wieder: „Beerdigt mich bei meinem Volk.“Niemals, so weiß er, hätte er sich zum Sklaven des Kolonialis­mus machen lassen dürfen. Mit seiner toten Ehefrau auf den Armen irrt er über die Bühne. Die Steine fallen knallend zu Boden.

Das Premierenp­ublikum dankte ausdauernd für einen Abend, der sich aus Shakespear­es überzeitli­cher Menschenke­nntnis ebenso speist wie aus klugem Empfinden für die Gegenwart.

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FOTO: SANDRA THEN/SCHAUSPIEL­HAUS Pauline Kästner als Desdemona und Bongile Mantsai als Othello im Düsseldorf­er Schauspiel­haus.

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