Rheinische Post Krefeld Kempen
Fulminanter Auftakt im Schauspiel
Christoph Roos führte sich mit „Alles Weitere kennen Sie aus dem Kino“als neuer Schauspieldirektor des Theaters ein. Ein Abend mit Gänsehaut, Grusel und voller Spannung. Was vier Puppen mit der Eskalation in Krieg zu tun haben.
Antigone wäscht sich die Haare, als die Situation in Theben eskaliert. Sie hat die brenzlige Lage völlig unterschätzt. Jetzt soll sie als letzte moralische Instanz für Deeskalation sorgen. Es ist der letzte, völlig verzweifelte Versuch ihrer Mutter Iokaste, das Schlimmste - den Krieg - zu verhindern. Auch Antigone hat keinen Erfolg. Am Ende werden ihre Brüder einander umgebracht, die Mutter sich im Wahnsinnsschmerz selbst getötet haben. Eine Geschichte, die man aus dem Kino kennt und nicht nur von dort.
Mit Martin Crimps Stück „Alles Weitere kennen Sie aus dem Kino“hat Christoph Roos die neue Spielzeit des Krefelder Theaters eröffnet und sich als neuer Schauspieldirektor eingeführt. Es war ein fulminanter Einstieg, die Premiere vor gut besetztem Haus wurde mit ausgiebigem Beifall bedacht: ein raffiniert inszenierter, spannender Abend mit einem intensiv spielenden Ensemble - und ein klug gewähltes Stück, das einem Schauer die Wirbelsäule hinab treibt.
Der englische Dramatiker Crimp (*1956) verlegt die antike Tragödie „Die Phönizierinnen“von Euripides in eine unbestimmte Gegenwart.Thema ist der Bruderkrieg zwischen Polyneikes und Eteokles um die Herrschaft in Theben. Eteokles hat zunächst regiert, doch der turnusgemäßen Ablöse durch seinen Bruder widersetzt er sich. Polyneikes belagert daraufhin mit seinen Truppen den Stadtstaat. Krieg ist unausweichlich. Oder nicht? Die Frauen von Theben spielen in dieser Frage eine wesentliche Rolle.
Crimps Stück lässt immer zwei Ebenen sehen, die Welt vor 2400
Jahren und die Gegenwart. Obwohl Roos es wählte, um an die Schauspieltradition am Haus anzuknüpfen, in jeder Spielzeit einen antiken Stoff zu behandeln, und lange vor dem Krieg Russlands gegen die Ukraine mit der Planung begann, sieht man an diesem Abend noch eine dritte Ebene - etwas, das gar nicht sichtbar ist: den überlangen Konferenztisch, an dem Putin diejenigen empfing, die mit ihm über friedliche Lösungen reden wollten.
Krieg und Blutvergießen finden nicht auf der Bühne statt. Die Spannung schafft die unsichtbare Maschinerie, die aus der privaten Familientragödie eine politische Krise macht, die Eskalation von Machtgier, die keine Opfer scheut, Not und Elend billigt - und die Fragen, ob und wie Gewalt vermeidbar oder gerechtfertigt ist.
Das Bühnenbild von Peter Scior ist klar, aber symbolreiche Folie für viele Deutungsweisen. Statt einer verfallenen Villa hat er eine Art heruntergekommenen Bungalow gebaut (es gibt eine Treppe, doch die führt ins Leere), die großen Fenster sind stumpf, auf dem Boden liegen Sand und Bretter. Ein paar Lederstühle sind das ganze Mobiliar. Ein trostloser Ort.
„Warum würde man am Ende von Pasolinis Ödipus-Film am liebsten weinen“, fragt eines der phönizischen Mädchen ziemlich am Anfang. Es ist eine von zahllosen Fragen, die unbeantwortet im Theaterraum hängen bleiben - viele hallen nach. Es ist klar, dass man am Ende dieses Stücks nicht weinen wollen wird. Dazu ist es zu gruselig ernst. Bei aller Spannung und Intensität schaffen die Figuren immer auch eine Distanz, die kein Mitgefühl nährt, sondern nur die Erwartung, wie sie reagieren werden - egal, ob das Ende bekannt ist.
Eva Spott zuzusehen, wie sie als Iokaste vor Energie funkelt, um ihre Söhne zur Vernunft zu bringen, tapfer ihre Angst ausblendet („Ich hab