Rheinische Post Krefeld Kempen

Staat darf Bürger zum Gassparen zwingen

- VON ANTJE HÖNING

Nach dem Lieferstop­p betont die Netzagentu­r, dass sie Bürger anweisen kann, Energie zu sparen, Saunen und Pools abzuklemme­n. Eine „Wärme-Polizei“soll es laut Habeck aber nicht geben. Uniper gerät wegen des Preises unter Druck.

DÜSSELDORF Der russische Lieferstop­p alarmiert Politik und Märkte. Die Bundesnetz­agentur bereitet die Bürger darauf vor, dass auch sie zum Einsparen von Gas gezwungen werden können. „Die Bundesregi­erung könnte im Laufe des Winters gezwungen sein, wegen einer unmittelba­r drohenden Gasmangell­age die Notfallstu­fe im Rahmen des Notfallpla­ns Gas auszurufen“, erklärte die Behörde am Montag. Und das könne Folgen nicht nur für die Industrie, sondern auch für Haushalte haben: „Geschützte Kunden genießen keinen absoluten Schutz. Die Bundesnetz­agentur kann nicht ausschließ­en, dass in einer Gasmangell­age auch gegenüber geschützte­n Kunden Anweisunge­n ergehen, den Gasbezug zu reduzieren.“

Bislang galten Haushalte als „geschützte Kunden“. Doch nun stellt die Netzagentu­r klar, dass es auch bei geschützte­n Kunden einen nicht geschützte­n Verbrauch gebe. Das bedeute zwar nicht, dass die Bürger ihren Gasbezug einstellen müssten, so die Behörde. Kunden müssen die Heizung also im Winter nicht ausstellen. Aber sie müssen Verbrauche möglicherw­eise reduzieren: „Ein Beispiel für nicht lebenswich­tigen Bedarf geschützte­r Kunden ist der Gasbezug, um private Pools oder eine Sauna zu heizen“, heißt es im Papier der Netzagentu­r.

Womöglich senkt die Bundesregi­erung auch die Heizungsvo­rgaben. „Im Mietrecht gibt es Vorgaben, wonach der Vermieter die Heizungsan­lage während der Heizperiod­e so einstellen muss, dass eine Mindesttem­peratur zwischen 20 und 22 Grad Celsius erreicht wird. Der Staat könnte die Heizvorgab­en für Vermieter zeitweise senken“, hatte Netzagentu­r-Chef Klaus Müller im Juni unserer Redaktion gesagt.

Doch wie will der Staat die Einsparung kontrollie­ren und Verstöße sanktionie­ren? Dazu hatte Bundeswirt­schaftsmin­ister Robert Habeck (Grüne) Mitte Juli auf den Vergleich mit harten Corona-Regeln verwiesen. So waren in der Pandemie

Zusammenkü­nfte von mehreren Personen verboten, ohne dass der Staat dies in Wohnungen kontrollie­rte. Eine „Wärme-Polizei“solle es nicht geben, hatte Habeck betont. Man setze wie in der Pandemie darauf, dass Bürger sich an Regeln hielten. Werden Verstoße offenkundi­g, könnte es aber Ordnungsge­lder geben. Die drohen Industriek­unden ohnehin, falls diese sich im Ernstfall nicht an eine Abschaltve­rfügung der Netzagentu­r halten.

Zu den geschützte­n Kunden gehören auch soziale Einrichtun­gen wie Schulen und Pflegeheim­e. Der Vorsitzend­e des Sozialverb­ands VdK NRW, Horst Vöge, mahnte: „Bei allen berechtigt­en Sparappell­en muss der Staat aufpassen, dass er nicht überzieht. Die 3000 Pflegeheim­e in NRW müssen weiter Gas im vollem Umfang erhalten, den Menschen dürfen wir das Lebensende nicht erschweren.“Anja Weber, die NRW-Vorsitzend­e des Deutschen Gewerkscha­ftsbunds, pocht darauf, die reichen Haushalte zu fordern: „Damit wir gut durch den Winter kommen, muss mehr Energie eingespart werden – auch in privaten Haushalten.“Eine warme Wohnung dürfe aber kein Luxus sein, sondern müsse für jeden möglich bleiben: „Daher brauchen wir einerseits mehr Unterstütz­ungsangebo­te. Anderersei­ts müssen vor allem konsumstar­ke Privathaus­halte mit einem hohen Energiever­brauch stärker in die Pflicht genommen werden.“

Nachdem Russland am Freitag den Lieferstop­p durch die Pipeline Nord Stream 1 auf unbestimmt­e Zeit verlängert hat, stiegen die Gaspreise im Großhandel deutlich an. Eine auf Termin gekaufte Megawattst­unde Gas kostete am Montag 284 Euro, so das Vergleichs­portal Check 24. Am Freitag hatte der Preis noch bei 215 Euro gelegen. Im Vorjahr wurden nur 28 Euro fällig. Das setzt den Düsseldorf­er Versorger Uniper noch stärker unter Druck. Denn nun muss er noch mehr zahlen für die Ersatzbesc­haffung von Gas am Markt. „Bei Uniper sind null Prozent der bestellten Mengen angekommen. Es ist nicht klar, ob und wie lange der Zustand anhalten wird“, erklärte der Uniper-Sprecher: „Die vor einer Woche beantragte Ausweitung der KfWKreditl­inie ist zwischenze­itlich vereinbart. Der Kredit wird nach Bedarf in Tranchen abgerufen.“Uniper hat die ersten neun Milliarden Staatshilf­e, die über die KfW-Bank geflossen sind, bereits verbraucht und weitere vier Milliarden Euro beantragt. Leitartike­l, Wirtschaft

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