Rheinische Post Krefeld Kempen
Staat darf Bürger zum Gassparen zwingen
Nach dem Lieferstopp betont die Netzagentur, dass sie Bürger anweisen kann, Energie zu sparen, Saunen und Pools abzuklemmen. Eine „Wärme-Polizei“soll es laut Habeck aber nicht geben. Uniper gerät wegen des Preises unter Druck.
DÜSSELDORF Der russische Lieferstopp alarmiert Politik und Märkte. Die Bundesnetzagentur bereitet die Bürger darauf vor, dass auch sie zum Einsparen von Gas gezwungen werden können. „Die Bundesregierung könnte im Laufe des Winters gezwungen sein, wegen einer unmittelbar drohenden Gasmangellage die Notfallstufe im Rahmen des Notfallplans Gas auszurufen“, erklärte die Behörde am Montag. Und das könne Folgen nicht nur für die Industrie, sondern auch für Haushalte haben: „Geschützte Kunden genießen keinen absoluten Schutz. Die Bundesnetzagentur kann nicht ausschließen, dass in einer Gasmangellage auch gegenüber geschützten Kunden Anweisungen ergehen, den Gasbezug zu reduzieren.“
Bislang galten Haushalte als „geschützte Kunden“. Doch nun stellt die Netzagentur klar, dass es auch bei geschützten Kunden einen nicht geschützten Verbrauch gebe. Das bedeute zwar nicht, dass die Bürger ihren Gasbezug einstellen müssten, so die Behörde. Kunden müssen die Heizung also im Winter nicht ausstellen. Aber sie müssen Verbrauche möglicherweise reduzieren: „Ein Beispiel für nicht lebenswichtigen Bedarf geschützter Kunden ist der Gasbezug, um private Pools oder eine Sauna zu heizen“, heißt es im Papier der Netzagentur.
Womöglich senkt die Bundesregierung auch die Heizungsvorgaben. „Im Mietrecht gibt es Vorgaben, wonach der Vermieter die Heizungsanlage während der Heizperiode so einstellen muss, dass eine Mindesttemperatur zwischen 20 und 22 Grad Celsius erreicht wird. Der Staat könnte die Heizvorgaben für Vermieter zeitweise senken“, hatte Netzagentur-Chef Klaus Müller im Juni unserer Redaktion gesagt.
Doch wie will der Staat die Einsparung kontrollieren und Verstöße sanktionieren? Dazu hatte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) Mitte Juli auf den Vergleich mit harten Corona-Regeln verwiesen. So waren in der Pandemie
Zusammenkünfte von mehreren Personen verboten, ohne dass der Staat dies in Wohnungen kontrollierte. Eine „Wärme-Polizei“solle es nicht geben, hatte Habeck betont. Man setze wie in der Pandemie darauf, dass Bürger sich an Regeln hielten. Werden Verstoße offenkundig, könnte es aber Ordnungsgelder geben. Die drohen Industriekunden ohnehin, falls diese sich im Ernstfall nicht an eine Abschaltverfügung der Netzagentur halten.
Zu den geschützten Kunden gehören auch soziale Einrichtungen wie Schulen und Pflegeheime. Der Vorsitzende des Sozialverbands VdK NRW, Horst Vöge, mahnte: „Bei allen berechtigten Sparappellen muss der Staat aufpassen, dass er nicht überzieht. Die 3000 Pflegeheime in NRW müssen weiter Gas im vollem Umfang erhalten, den Menschen dürfen wir das Lebensende nicht erschweren.“Anja Weber, die NRW-Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds, pocht darauf, die reichen Haushalte zu fordern: „Damit wir gut durch den Winter kommen, muss mehr Energie eingespart werden – auch in privaten Haushalten.“Eine warme Wohnung dürfe aber kein Luxus sein, sondern müsse für jeden möglich bleiben: „Daher brauchen wir einerseits mehr Unterstützungsangebote. Andererseits müssen vor allem konsumstarke Privathaushalte mit einem hohen Energieverbrauch stärker in die Pflicht genommen werden.“
Nachdem Russland am Freitag den Lieferstopp durch die Pipeline Nord Stream 1 auf unbestimmte Zeit verlängert hat, stiegen die Gaspreise im Großhandel deutlich an. Eine auf Termin gekaufte Megawattstunde Gas kostete am Montag 284 Euro, so das Vergleichsportal Check 24. Am Freitag hatte der Preis noch bei 215 Euro gelegen. Im Vorjahr wurden nur 28 Euro fällig. Das setzt den Düsseldorfer Versorger Uniper noch stärker unter Druck. Denn nun muss er noch mehr zahlen für die Ersatzbeschaffung von Gas am Markt. „Bei Uniper sind null Prozent der bestellten Mengen angekommen. Es ist nicht klar, ob und wie lange der Zustand anhalten wird“, erklärte der Uniper-Sprecher: „Die vor einer Woche beantragte Ausweitung der KfWKreditlinie ist zwischenzeitlich vereinbart. Der Kredit wird nach Bedarf in Tranchen abgerufen.“Uniper hat die ersten neun Milliarden Staatshilfe, die über die KfW-Bank geflossen sind, bereits verbraucht und weitere vier Milliarden Euro beantragt. Leitartikel, Wirtschaft