Rheinische Post Krefeld Kempen
Offene Fragen beim Entlastungspaket
Vor allem zur Finanzierung und zur geplanten Abschöpfung von „Zufallsgewinnen“am Strommarkt kann die Regierung am Tag nach der Präsentation des 65-Milliarden-Euro-Pakets noch nicht viel Konkretes sagen.
m Tag nach der Präsentation des dritten Entlastungspakets der Bundesregierung herrscht
Berlin Katerstimmung: Von der anfänglichen Begeisterung über das wuchtige Volumen von 65 Milliarden Euro, mit dem die Ampelkoalition die Bürger von hohen Energiepreisen entlasten will, ist am Montag nicht mehr viel zu spüren. Zu viele Fragen lässt die Regierung unbeantwortet, vor allem die nach der Finanzierung. Auch über den Mechanismus, mit dem die Ampel „Zufallsgewinne“bei bestimmten Stromproduzenten abschöpfen will, um sie im zweiten Schritt an Verbraucherinnen und Verbraucher umzuverteilen, wusste die Regierung noch nichts zu berichten.
Wie will die Koalition das Entlastungspaket finanzieren? Das Paket enthält zwar auch Einmalzahlungen wie die Zuschüsse für Rentner (300 Euro) und Studierende (200 Euro) zum 1. Dezember. Für große Teile des Pakets braucht die Ampel aber eine dauerhafte jährliche Finanzierung. Wie Finanzminister Christian Lindner (FDP) erklärte, gebe es aktuell im Bundeshaushalt noch einen Spielraum von 32 Milliarden Euro. Die zweite Hälfte der 65 Milliarden Euro soll aus der Abschöpfung von „Zufallsgewinnen“bei Stromproduzenten kommen. Konkrete Finanztableaus konnten Finanz- und Wirtschaftsministerium am Montag noch nicht präsentieren.
Wie realistisch sind die Finanzierungspläne? Dass der Bund am Jahresende trotz der drei Entlastungspakete und der nahenden Rezession noch über Spielraum in der genannten Höhe verfügt, könnte gut sein. Denn die Steuereinnahmen laufen dank der hohen Inflation sehr gut. Zudem kann Lindner am Jahresende hohe Ausgabereste erwarten, weil Gelder oft nicht abgerufen werden. Unsicherer ist dagegen die zweite Hälfte der Finanzierung: Ob es gelingt, die „Zufallsgewinne“bei Produzenten von Wind-, Solar-, Kohle- und Atomstrom wie geplant abzuschöpfen und wie viel Geld dabei erwirtschaftet wird, ist völlig offen. Das soll nun eine Expertenkommission klären.
Ist die Schuldenbremse 2023 noch zu halten? Lindner will die verfassungsrechtlich vorgeschriebene Schuldenbremse 2023 unbedingt einhalten und die Neuverschuldung auch 2022 nicht durch einen Nachtragshaushalt weiter erhöhen. „Mir fehlt die Fantasie, wie das gelingen soll, wenn man wirklich alle Entlastungen umsetzen will“, sagte die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer dem „Handelsblatt“. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hält allerdings schon die Entlastungssumme von 65 Milliarden Euro für einen „Bluff“: „Mindestens 25 Milliarden Euro davon beziehen sich auf Vorhaben, die auch ohne Energiepreiskrise auf der Tagesordnung gestanden hätten“, so IWExperte Tobias Hentze.
Wie soll die Strompreisbremse funktionieren? Die Ampelkoalition will Privathaushalten eine gewisse Basismenge an Strom zu einem vergünstigten Preis anbieten. Doch bisher ist völlig unklar, bei welcher Menge dieser Basisverbrauch angesetzt wird, wie hoch der vergünstigte Preis sein und wie viel der Strom kosten wird, der darüber hinausgeht.
Was hat es mit dem Eingriff in den Strommarkt auf sich? Lange hatte die Ampel über eine Übergewinnsteuer für Energiekonzerne gestritten, die von der FDP abgelehnt wird. Geeinigt hat sie sich nun darauf, „Zufallsgewinne“auf dem Strommarkt abzuschöpfen und mit den Einnahmen den Verbraucher-Basisstrompreis
zu drücken. Hintergrund ist das europäische Strommarktdesign nach dem sogenannten Merit-Order-Prinzip. Es sieht vor, dass das Teuerste für die aktuelle Stromerzeugung benötigte Kraftwerk den Preis für Strom bestimmt. Aktuell sind das Gaskraftwerke. Die Produktionskosten aller anderen Stromproduzenten liegen deutlich unterhalb des sich ergebenden Marktpreises, sodass bei ihnen enorme Gewinne entstehen. Berlin will zunächst entsprechende EUPläne abwarten, ist notfalls aber auch zum Alleingang bereit.
Wie bewerten Experten den Eingriff am Strommarkt? Der Klimaökonom und Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, Ottmar Edenhofer, begrüßte zwar, dass es eine Obergrenze für die Gewinne der Stromanbieter geben soll. Doch die geplante Ausgestaltung der Preisbremse kritisierte er. Es sei problematisch, dass der Anreiz zum Stromsparen bei Verbrauchern verringert würde. „Das Entlastungspaket der Bundesregierung bereitet Deutschland nur unzureichend auf die kommende Gaspreiskrise im Winter vor. Dabei wäre es notwendig gewesen, jetzt schnell Anreize für das Gassparen zu schaffen und zugleich jene zu entlasten, die von der Gaspreisentwicklung besonders betroffen sind“, sagte Edenhofer. Andere Ökonomen kritisierten, dass durch den Eingriff in den Strommarkt der eigentlich erwünschte Investitionsanreiz in erneuerbare Energien konterkariert werde.
„Mir fehlt die Fantasie, wie das gelingen soll, wenn man wirklich alle Entlastungen umsetzen will“Monika Schnitzer
Wie verhält sich die Union? Beim 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Bundeswehr machte die größte Oppositionsfraktion noch mit. Doch beim Entlastungspaket geht sie nun auf Konfrontation zur Ampel. Aus Sicht des Parlamentsgeschäftsführers Thorsten Frei (CDU) sind die Entlastungspläne zu vage: „Wer mit so vielen Milliarden hantiert, sollte ein schlüssiges Konzept vorlegen und nicht ein Arbeitspapier, das trotz wochenlanger Diskussionen wesentliche Fragen offenlässt.“
oberhalb der Bedürftigkeit, wird im Entlastungspaket spürbar berücksichtigt: Durch die Ausweitung des Wohngelds auf Haushalte, die bisher keinen Anspruch auf die Unterstützung hatten, durch die Steuerentlastungen, die durch die Erhöhung des Grundfreibetrags entstehen, und natürlich auch durch die Erhöhung des Kindergelds.
Sozialverbände kritisieren, dass die Kindergeldanhebung um 18 Euro zu wenig sei. Kommt da noch mehr?
PAUS Vor Kurzem hatte der Finanzminister noch eine Erhöhung um acht Euro ins Spiel gebracht. Das war deutlich unter der Inflationsrate. Die nun beschlossenen 18 Euro stellen eine Erhöhung um rund acht Prozent dar. Das ist echter Inflationsausgleich, für den ich mich erfolgreich eingesetzt habe. Damit Kinder künftig besser abgesichert sind, arbeiten wir in der Bundesregierung derzeit an der Kindergrundsicherung.
Die Kindergrundsicherung ist Ihr größtes Projekt. Wann kommt sie? PAUS Wir brauchen die Kindergrundsicherung, um Kinder aus der Armut zu holen und alle Kinder unabhängig vom Lebensmodell ihrer Eltern gut zu unterstützen. Spätestens 2023 muss das Gesetz stehen und ab 2025 bei den Menschen ankommen.
Wie wollen Sie verhindern, dass nur noch eine Billig-Variante der Kindergrundsicherung kommt?
PAUS Ich setze darauf, dass alle in der Bundesregierung verstehen, wie dringend dieses Vorhaben ist. Es geht nicht um Almosen, es geht um staatliche Verantwortung. Das wird Milliarden kosten, aber jeder Euro davon ist gut angelegt. Dieses Land lebt davon, dass die Menschen zusammenhalten, auch und gerade in schwierigen Zeiten. Wenn wir die Kindergrundsicherung nicht vernünftig umsetzen, laufen wir Gefahr, dass die Kluft zwischen Arm und Reich noch weiter aufreißt. 20 Prozent unserer Kinder sind heute von Armut betroffen. Wir dürfen sie nicht abschreiben.
Bitte vervollständigen Sie diesen Satz: Vom Ehegattensplitting halte ich...
PAUS ...nichts, es sollte aus meiner Sicht abgeschafft werden. Familienförderung im 21. Jahrhundert sollte anders aussehen. Aber in einer Regierung aus drei Parteien müssen immer Kompromisse gefunden werden, und der Koalitionsvertrag sieht das nicht vor. Mit der verabredeten Abschaffung der Steuerklasse V wurde allerdings ein erster wichtiger Schritt im Koalitionsvertrag vereinbart.