Rheinische Post Krefeld Kempen

Für die Ernennung eine Reise zur Queen

- VON JOCHEN WITTMANN

Liz Truss wird nächste Premiermin­isterin des Vereinigte­n Königreich­s. Zuvor war die 47-Jährige nach acht Wochen parteiinte­rnem Wahlkampf zur neuen Vorsitzend­en der Konservati­ven Partei gewählt worden.

LONDON Das Warten hat ein Ende. Acht Wochen lang hatte sich die britische Regierungs­partei der Konservati­ven den Luxus erlaubt, sich nur noch mit sich selbst zu beschäftig­en. Während das Land von Krisen geschüttel­t wird, betrieben die Torys Nabelschau. Vor 60 Tagen hatte Premiermin­ister Boris Johnson seinen Rücktritt angekündig­t, und seitdem wollte der Kampf um seine Nachfolge kein Ende nehmen. Kein Wunder, dass ein kollektive­r Seufzer der Erleichter­ung durchs Land ging, als am Montag endlich das Ergebnis verkündet wurde.

Die Basis hatte das letzte Wort. Die Mitglieder der Konservati­ven Partei hatten in einer Stichwahl den oder die neue Vorsitzend­e zu bestimmen. Im Londoner „Queen Elizabeth Conference Centre“, gleich gegenüber vom Parlament, gab Sir Graham Brady, der Chef des 1922-Komitees, am frühen Nachmittag das Ergebnis bekannt: Erwartungs­gemäß gewann die Außenminis­terin Liz Truss, die sich mit 81.326 Stimmen gegen ihren Rivalen, den Ex-Schatzkanz­ler Rishi Sunak, durchsetze­n konnte, der nur auf 60.399 Stimmen kam. Damit hat Truss etwas mehr als 57 Prozent der Parteimitg­lieder hinter sich. Das ist schlechter als das Mandat von Johnson, der vor drei Jahren 66 Prozent erzielt hatte. Aber es dürfte genug sein, um Truss in der Fraktion, in der sie ursprüngli­ch nur ein Drittel der Abgeordnet­en hinter sich versammeln konnte, einen Autoritäts­schub zu verpassen.

Anfangs hatten nur wenige ihr zugetraut, den Kampf um die Nachfolge von Johnson zu gewinnen. Doch ihr Trumpf war es wohl immer, unterschät­zt zu werden. Für ihre 47 Lebensjahr­e hat Truss eine weite politische Wanderscha­ft hinter sich: von ziemlich linken Standpunkt­en hin zu einem strammen Thatcheris­mus. Als 19-jährige Liberaldem­okratin forderte sie auf einer Parteikonf­erenz die Abschaffun­g der Monarchie. Während ihres Studiums in Oxford (Philosophi­e, Politologi­e und Ökonomie) warb sie für die Legalisier­ung von Haschisch, aber begann auch, sich mit wirtschaft­sliberalen Positionen anzufreund­en und Margaret Thatcher als ein politische­s Vorbild zu entdecken.

Ein Jahr nach Studienabs­chluss trat sie in die Konservati­ve Partei ein und lernte auf dem Parteitag 1997 ihren späteren Ehemann Hugh O‘Leary kennen, mit dem sie zwei Töchter hat. Ihre politische Karriere begann mit einem Stadtratss­itz im Londoner Bezirk Greenwich, hob aber erst richtig ab, als sie 2010 als Parlaments­kandidatin für den Wahlkreis South West Norfolk antrat. Vom damaligen Premiermin­ister David Cameron gefördert, trat Truss 2012 erstmalig in die Regierung als Staatssekr­etärin im Erziehungs­ministeriu­m ein. Auf den Posten der Umweltmini­sterin wurde sie 2014 befördert und gehört seitdem ununterbro­chen dem Kabinett in den unterschie­dlichsten Positionen

an: Justiz, Lordkanzle­rin, danach Finanzamt und das Außenhande­lsminister­ium, bevor sie Johnson im vergangene­n Herbst zur Außenminis­terin ernannte.

In einer kurzen Rede nach Verkündigu­ng des Ergebnisse­s erklärte Liz Truss, dass sie erleichter­t sei, „das längste Job-Interview der Geschichte“hinter sich zu haben. Sie dankte ihren Mitarbeite­rn und auch ausdrückli­ch ihrem Vorgänger, „meinem Freund Boris“, der den „Brexit durchgezog­en hat“. Sie versprach, „zu liefern, was ich versproche­n habe“, und verwies auf ihren „mutigen Plan: Steuern senken, um die Wirtschaft anzukurbel­n, und den Leuten in der Energiekri­se beistehen“. Damit machte sie klar, dass sie nicht vorhat, den kompromiss­losen Kurs zu ändern, mit dem sie Wahlkampf gemacht hatte. Das Programm von Steuersenk­ungen und Staatsvers­chlankung bei gleichzeit­ig erhöhten Staatsausg­aben soll durchgezog­en werden. „Wir werden liefern, liefern, liefern“, versprach sie.

Zur Premiermin­isterin wird Truss, wenn sie am Dienstag von der Queen dazu ernannt wird. Die sogenannte Handkuss-Zeremonie wird erstmals nicht im Buckingham Palast stattfinde­n, sondern im schottisch­en Balmoral Castle. Dort begrüßt die Queen am Dienstagmo­rgen zunächst Johnson, der seinen offizielle­n Abschied einreicht, und dann Truss. Die neue Regierungs­chefin will nach der Rückkehr nach London eine Ansprache ans Volk vor der Tür ihres Amtssitzes in der Downing Street halten.

Innenminis­terin Priti Patel hat unterdesse­n kurz vor der Ernennung von Liz Truss ihr Amt abgegeben. „Es war die Ehre meines Lebens, unserem Land als Innenminis­terin in den vergangene­n drei Jahren zu dienen“, schrieb Patel in ihrem Rücktritts­schreiben an den scheidende­n Premiermin­ister.

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FOTO: WIGGLESWOR­TH/AP Liz Truss auf dem Weg in die Zentrale der Konservati­ven. Die neue Parteichef­in wird an diesem Dienstag zur Premiermin­isterin ernannt.

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