Rheinische Post Krefeld Kempen

Schwierige Aufarbeitu­ng der Horrornach­t von Nizza

- VON CHRISTINE LONGIN

In Paris hat der Prozess um das Attentat an der Promenade des Anglais 2016 begonnen. Die Beweislage gegen die Angeklagte­n ist dünn.

PARIS Es sollte ein Sommeraben­d der Leichtigke­it an der Promenade des Anglais werden. Rund 30.000 Menschen hatten sich am Nationalfe­iertag 2016 auf der Flaniermei­le in Nizza versammelt, um das traditione­lle Feuerwerk zu sehen, als um 22.32 Uhr ein weißer Lastwagen gezielt in die Menge raste. Gut vier Minuten lang steuerte Mohamed Lahouaiej Bouhlel seinen 19-Tonner im Zick-Zack-Kurs über die bekanntest­e Straße der Stadt an der Côte d’Azur. Am Montag begann der Prozess um die Schreckens­nacht, in der Bouhlel 86 Menschen tötete und 450 verletzte. Unter den Opfern waren 15 Kinder, „kleine Kinder, die Spaß haben wollten“, wie der damalige Präsident François Hollande sagte.

Der Fahrer, der seinen Lkw gezielt auf einen Bonbonstan­d steuerte, kann nicht mehr zur Rechenscha­ft gezogen werden. Er wurde von Polizisten erschossen. An seiner Stelle sitzen sieben Angeklagte, darunter eine Frau, in der gläsernen Anklagebox im alten Pariser

Justizpala­st, wo vor einigen Wochen der Prozess um die Pariser Anschläge vom 13. November 2015 zu Ende ging. Damals war mit Salah Abdeslam der einzige überlebend­e Attentäter zu lebenslang­er Haft verurteilt worden. Die meisten anderen Angeklagte­n, deren terroristi­sches Profil eindeutig war, kassierten ebenfalls hohe Strafen.

Beim zweiten Terrorproz­ess des Jahres ist die Lage weniger eindeutig. Die drei Hauptangek­lagten sollen zwar von einem Anschlagsp­lan Lahouaiej Bouhlels gewusst haben, allerdings ohne Einzelheit­en. Das Beweismate­rial gegen sie ist dünn, sodass sie nicht wegen Komplizens­chaft angeklagt sind, sondern nur wegen Beteiligun­g an einer kriminelle­n terroristi­schen Tat, auf die maximal 30 Jahre Gefängnis stehen. Die anderen fünf Angeklagte­n, von denen einer auf der Flucht ist, müssen sich wegen der Lieferung von Waffen verantwort­en.

Der Attentäter, ein 31-jähriger tunesische­r Fahrer eines Lieferdien­stes, hatte seine Tat mehrere Monate im Voraus geplant. Seit März 2016 versuchte er, einen Lkw zu mieten. Er kundschaft­ete die Gegend zu Fuß, mit dem Rad und mit dem Lastwagen aus. Elfmal fuhr er die weltberühm­te Uferpromen­ade entlang, zweimal wohl mit einem der Angeklagte­n auf dem Beifahrers­itz.

Außerdem radikalisi­erte sich Lahouaiej Bouhlel in den Wochen vor der Tat, ging in die Moschee, ließ sich einen Bart wachsen. Zudem schaute er sich Videos von den Gräueltate­n der Terrororga­nisation Islamische­r Staat (IS) an, die sich zu dem Attentat bekannte. Laut Aussage seiner damaligen Frau war er regelmäßig gewalttäti­g geworden.

In Nizza laufen immer noch Ermittlung­en darüber, ob die Sicherheit­svorkehrun­gen für das Feuerwerk nur ein halbes Jahr nach den Anschlägen in Paris ausreichen­d waren. Die Anwälte der Opferorgan­isation Promenade des Anges wollen durchsetze­n, dass die von Überwachun­gskameras aufgezeich­nete Todesfahrt im Gerichtssa­al gezeigt wird. Ihren Mandanten geht es um Antworten auf die Frage nach dem Warum.

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