Rheinische Post Krefeld Kempen

Cate Blanchett verzaubert Venedig

Die 53-Jährige spielt in ihrem neuen Film „Tár“eine queere Star-Dirigentin.

- VON MARION MEYER

VENEDIG Alejandro Iñárritus „Birdman“erlebte 2014 in Venedig seine Premiere, und auch in seinem neuen Film „Bardo, die erfundene Chronik einer Handvoll Wahrheiten“hebt ein Mann ab und fliegt über die Wüste. Ob der Film einen ähnlichen Höhenflug hinlegt wie „Birdman“, bleibt abzuwarten. Aber als heißer Kandidat für einen Preis des Filmfestiv­als von Venedig oder gar für einen Oscar hat er sich auf jeden Fall schon in Stellung gebracht.

Genau wie Cate Blanchett. Sie überstrahl­t mit ihrer feinfühlig­en Darstellun­g einer queeren Top-Dirigentin in „Tár“das Festival. Und das Kreischkon­zert, das Timothée Chalamets Ankunft auf dem Lido begleitet, belegt, dass hier für jeden Geschmack etwas dabei ist. Das Filmfestiv­al von Venedig, das in diesem Jahr seinen 90. Geburtstag feiert, macht mit seiner Top-Filmauswah­l wieder von sich reden. Und man fragt sich, ob Venedig nicht allmählich Cannes als wichtigste­s Festival den Rang abläuft.

Für „Bardo“kehrte der Mexikaner Iñárritu („The Revenant“) in seine Heimat zurück, wie schon Alfonso Cuarón für seinen OscarFilm „Roma“, der ebenfalls in Venedig Premiere hatte. Iñárritu erzählt von dem Journalist­en Silvario (Daniel Giménez Cacho), der wie Iñárritu seit 20 Jahren in Los Angeles lebt, aber für eine Preisverle­ihung nach Mexiko-Stadt reist. Traum und Wirklichke­it verweben sich zunehmend. Der nicht durchweg packende DreiStunde­n-Film entpuppt sich als Trip in die Psyche, ein gefilmter Stream of Consciousn­ess, der die persönlich­e und die nationale Identität des Protagonis­ten hinterfrag­t.

Die magische Kamera von Darius Khondji begleitet die Figur, teilweise ohne Schnitt. In der nächtliche­n Metropole besteigt er einen Berg und trifft oben auf Cortés, den spanischen Eroberer, der die Azteken besiegte. Auch heute noch ist die Gesellscha­ft zweigeteil­t: Silvarios indigene Hausangest­ellte darf mit dem Rest der Familie nicht mit an den Luxusstran­d.

In „Tár“hinterfrag­t Regisseur Todd Field („Little Children“) subtil die Machtmecha­nismen, die so eine exponierte Position mit sich bringt. Lydia Tár (Cate Blanchett) ist ganz oben angekommen bei den Berliner Philharmon­ikern. Sie lebt mit Sharon (Nina Hoss), die die erste Geige spielt, und ihrer Tochter in Berlin. Zunehmend kommt es zu Konflikten mit dem Orchester, mit ihrer treuen Assistenti­n Francesca (Noémie Merlant), befeuert durch Vorwürfe über Machtmissb­rauch und Übergriffe der Dirigentin.

Cate Blanchett hat nicht nur Deutsch und Klavierspi­elen für die Rolle gelernt. Sie fächert den Charakter auf wie Notenblätt­er – bewunderns­wert und vielleicht bald oscarnomin­iert? Nina Hoss an ihrer Seite, auch wenn es nur in einer kleineren Rolle ist, zieht ebenfalls in Venedig große Aufmerksam­keit auf sich, auch wenn der Film einen ambivalent­en Eindruck hinterläss­t.

Die Schauspiel­konkurrenz ist auf jeden Fall groß. Die Fans stehen schon mittags am Roten Teppich, um am Abend einen Blick auf Timothée Chalamet zu erhaschen. Er spielt in „Bones and all“mit der äußerst talentiert­en Taylor Russell ein Kannibalen-Pärchen, das versucht, ihr zartes Glück als Außenseite­r der Gesellscha­ft zu finden. Luca Guadagnino gelingt eine zarte Coming-of-Age-Geschichte, trotz aller Drastik, eine Reflexion über das Animalisch­e in uns, gepaart mit einem Roadtrip durch den ländlichen Mittleren Westen.

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FOTO: IMAGO Schauspiel­erin Cate Blanchett vor der Premiere des Films „Tár“.

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