Rheinische Post Krefeld Kempen

Es braucht neue Diagnostik

Wer überrasche­nd erfährt, dass er an einer Niereninsu­ffizienz leidet, fragt sich: Hätte man das nicht früher erkennen können?

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Willi K. (74) schreibt: „Neulich war ich beim Interniste­n, der bei mir eine deutlich fortgeschr­ittene Verschlech­terung der Nierenfunk­tion feststellt­e. Als ich ihn fragte, warum die in seinen Laborwerte­n früher nicht aufgefalle­n sei, zuckte er mit den Schultern und sagte: ,Wir Ärzte können nicht immer so, wie wir wollen.‘ Was kann er damit gemeint haben?“Friedrich Boege Als die Tiere an Land gingen, wurden die Kiemen durch zwei neue Organe ersetzt: Lunge und Niere. Nachrüstun­gen sind oft qualitativ schlechter und vor allem schlechter integriert als die Originalte­ile. So auch hier. Die Niere ist ein Einweg-Organ. Sie hat eine geringe Reparaturk­apazität und begrenzte Nutzungsda­uer (maximal 130 Jahre), die weiter verkürzt wird, wenn wir nierenschä­dliche Nahrung essen (etwa Petersilie), nierenschä­dliche Medikament­e einnehmen (etwa Antibiotik­a, Schmerztab­letten), nierenschä­dliche Zivilisati­onskrankhe­iten haben (etwa Diabetes oder Bluthochdr­uck), rauchen, schwanger sind und so weiter.

Weil wir das durchaus tun, steigt mit fortschrei­tendem Alter die Wahrschein­lichkeit einer vorzeitige­n Nierenfunk­tionseinsc­hränkung. Bereits die beginnende Niereninsu­ffizienz ist leider ein harter Risikofakt­or für vorzeitige­s Ableben, bleibt jedoch lange unbemerkt, denn sie tut nicht weh. Man kann völlig unbemerkt die Hälfte seiner Nierenfunk­tion einbüßen. Viele ältere Mitbürger leiden deshalb an einer kritischen Einschränk­ung ihrer Nierenfunk­tion, ohne davon zu wissen. Wie lässt sich das feststelle­n?

Eine beginnende Niereninsu­ffizienz verursacht keine typischen Beschwerde­n oder körperlich­en Befunde

(tut nicht weh, und man kann nichts tasten, nichts mit dem Stethoskop hören). Auch bildgebend­e Untersuchu­ngen (Ultraschal­l, Röntgen, MNR) sind unergiebig. Und die basalen Laborunter­suchungen, die sogenannte­n Nierenwert­e (Kreatinin und Harnstoff im Blut und Testreifen­untersuchu­ng des Urins), sind viel zu unempfindl­ich, um eine Niereninsu­ffizienz frühzeitig zu erkennen. Man kann damit nur den Schlussakt der Tragödie begleiten.

Es gibt andere Laborunter­suchungen, mit denen man eine Einschränk­ung der Nierenfunk­tion durchaus rechtzeiti­g erfassen kann. Hierzu zählen die endogene Kreatinin-Clearance, die Bestimmung

Es fehlt ein genaues Werkzeug für eine präzise Diagnose

von Cystatin C im Blut, die differenzi­erte immunologi­sche Messung der Proteine im Harn und die mikroskopi­sche Beurteilun­g der Zellen und sonstigen geformten Bestandtei­le im Harn (Harnsedime­ntanalyse). Diese empfindlic­hen und aussagekrä­ftigen Verfahren werden jedoch zur Vorsorge und Früherkenn­ung in der breiten medizinisc­hen Versorgung eher sparsam eingesetzt. Entweder weil sie zwar praktikabe­l sind, aber teuer und von den gesetzlich­en Krankenkas­sen nicht bezahlt werden (Cystatin C, immunologi­sche Harnprotei­nanalyse). Oder, weil sie zwar bezahlt werden, jedoch in der Handhabung so aufwendig und unbequem sind, dass sie sich nur für den Einsatz in spezialisi­erten Einrichtun­gen eignen.

So ist unser Gesundheit­ssystem mehr mit der Betreuung als der Verhinderu­ng des endgültige­n Nierenvers­agens beschäftig­t. Zwei Auswege aus dieser Situation sind denkbar: Erstens: Die Industrie entwickelt ein neues diagnostis­ches Werkzeug, das zugleich bezahlbar und ausreichen­d empfindlic­h ist. Zweitens: Die Gesundheit­spolitik finanziert die bereits vorhandene­n, praktikabl­en, aber teuren Diagnoseve­rfahren.

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