Rheinische Post Krefeld Kempen
Eine Nagelprobe fürs Gladbacher Gemüt
Für Borussia gab es am Sonntagabend ein lange nicht erlebtes Gefühl: eine Niederlage. Vielleicht hat Mainz mit seinem 1:0-Sieg den Gladbachern aber sogar einen Gefallen getan, meint unser Autor.
In den ersten Monaten der Zeit mit Trainer Daniel Farke hat Borussia gelernt, nicht zu verlieren. Ihre Meisterprüfung im NichtVerlieren legten die Gladbacher in München ab, als sie ein Spiel, das eigentlich verloren gehen muss, bei den Bayern mit einem 1:1 beendeten. Der „goldene Punkt“(Trainer Daniel Farke) wurde aber nicht veredelt. Denn im Spiel danach lehrte Mainz 05 die Farke-Borussen, wie es sich anfühlt, doch zu verlieren.
141 Tage hatte Gladbach das nicht mehr erlebt, nun gilt es zu lernen, damit zu leben. Denn gewissermaßen kam dieses 0:1 aus dem Nichts. Es war gerade eine so schöne heile Welt in Gladbach: Sportlich waren die Borussen im Flow, Torwart Yann Sommer wirkte unüberwindbar, es gab richtig gute Zugänge zum Schluss der Transferzeit. Da passt das extrem unglücklich verlaufene Spiel gegen Mainz überhaupt nicht rein.
Eher scheint es wie ein Déjà-vu der vergangenen Saison, als öfter Mal alles Unglück zusammenkam, man erinnere sich nur an das Spiel in Leverkusen: seltsame Gegentore, vier an der Zahl, viele Ausfälle. Der erste Unterschied war jedoch die Reaktion der Mannschaft und der zweite die Reaktion der Fans. Am Sonntag blieben die Borussen standhaft und im Spiel trotz allen Ungemachs – und wurden am Ende trotz der Niederlage regelrecht gefeiert von den Fans.
Die Kurve sang „Die Elf vom Niederrhein“und dem Team damit Mut zu. Für die Neulinge Julian Weigl und Nathan Ngoumou, die mit einer Niederlage in ihre BorussenZeit starteten, war das der Beleg, dass die Erzählungen von den „tollen Fans“( Weigl) in Gladbach keine Mär sind. Und für alle im Team war es ein Mutmacher und Ansporn, wie Jonas Hofmann zugab. Fast schon hatten die Borussen ein schlechtes Gewissen, diesen Fans in so einem Spiel keinen Sieg beschert zu haben.
Farke sprach vom „Schmerz der Niederlage“und war froh, dass die Seinen diesen spüren, denn nur wer den spürt, will etwas dagegen tun, und zwar gewinnen. Der Trainer ist ein ausgemachter Positivist, Negatives ist für ihn der Ansatz, es beim nächsten Mal besser zu machen.
Damit stärkt er die Spieler, fordert sie zugleich aber. „Eine Reaktion zeigen“, das ist das passende Idiom im Fußball, und genau das erwartet Farke von den Spielern. Und die Spieler von sich selbst.
Die Fans haben ihnen aber auch gezeigt, dass es nicht nur um Ergebnisse geht, sondern darum, wie die Mannschaft auftritt. „Und geht das Spiel auch mal verloren, dann macht uns das gar nichts aus“, heißt es in Borussias Hymne. Klare Botschaft: Das, was angeboten wurde gegen Mainz, passte. Es war nicht gut genug, um die Niederlage zu verhindern, aber ehrlich genug, um die Fans zu überzeugen, dass die Borussen alles getan haben, sie zu verhindern. Die Botschaft kam an auf der Tribüne, darum gab es Applaus am Sonntag. Er habe eine Einheit gespürt, sagte Farke. Dieses Gefühl gab es vergangene Saison zu selten und ist ein großer Gewinn der bisherigen Zeit mit dem Trainer.
Wichtig ist aber, auch die Gefahr der Mainz-Geschichte zu erkennen. Borussia hat etwas verpasst, das ist ein bekanntes Laster am Niederrhein. Borussia hätte sich ein Polster „anfressen“können, sie hat stattdessen ihren Heimnimbus und den der Unbesiegbarkeit verloren und gehört somit statt zur Spitzengruppe nun zum Mittelfeld der Liga.
In Verbindung mit den höchst komplizierten Spielen in Freiburg und gegen Leipzig ist ganz sicher Vorsicht geboten, das Mainz-Erlebnis sollte diesbezüglich die Sinne der Gladbacher geschärft haben und sollte ein Stolperer sein und keine Stolperfalle. Die Niederlage wird zur Nagelprobe fürs Gemüt der Borussen. Wie gefestigt und stabil sie mental und sportlich wirklich sind unter Farke, wie groß der Glaube an das eigene Spiel und das Selbstvertrauen sind, das wird sich nun zeigen.
Vielleicht hat Mainz Borussia aber sogar einen Gefallen getan, so früh eine emotionale Bremse reinzuhauen in Gladbach. Und zwar, bevor aus dem Gefühl, unbesiegbar zu sein, sogar eine gewisse und problematische Sorglosigkeit entsteht, vor der Borussia in guten Zeiten nicht immer gefeit war zuletzt.