Rheinische Post Krefeld Kempen
Sorge vor Atomunfall in Saporischschja
Der Bericht der Experten der Internationalen Atomenergiebehörde nach ihrem Besuch ist alarmierend.
KIEW/MOSKAU (dpa/rtr) Die Lage rund um das ukrainische Atomkraftwerk Saporischschja sorgt weiter für große Unsicherheit: Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) äußert in ihrem Bericht über den Zustand des Kraftwerks Sorge vor einem drohenden nuklearen Unfall. Erforderlich seien sofortige Maßnahmen, um dies zu verhindern, inklusive einer Sicherheitszone um das Kraftwerk, heißt es in dem am Dienstag veröffentlichten Bericht der UNBehörde, der die Erkenntnisse des Besuchs von Experten in Europas größtem AKW vergangene Woche zusammenfasst.
Die IAEA stehe bereit, um umgehend eine solche Zone einzurichten. Die Situation an dem Kraftwerk sei sehr besorgniserregend. Es seien bei der Untersuchung auch Schäden nahe der sechs Reaktoren sowie der Lagerstätten von nuklearem Abfall festgestellt worden, heißt es weiter. Es seien zwar bereits einige Arbeiten ausgeführt worden, um die Schäden zu beheben, diese seien aber noch nicht abgeschlossen. Die IAEA-Inspektoren hätten bei ihrem Besuch in dem AKW die Präsenz russischen Militärpersonals sowie Fahrzeuge und Ausrüstung der Streitkräfte festgestellt. Die von russischen Soldaten überwachten ukrainischen Techniker
des Kraftwerks seien großem Stress ausgesetzt, der zu menschlichem Versagen führen könne.
Am Dienstag kam es zudem erneut zu Artilleriebeschuss an dem Atomkraftwerk und zu einem Stromausfall in der nahe gelegenen Stadt Enerhodar. Dem Besatzungsvertreter Wladimir Rogow zufolge soll es sieben Einschläge im Bereich des KraftwerkTrainingszentrums gegeben haben. Russlands Verteidigungsministerium warf der Ukraine vor, Saporischschja innerhalb der vergangenen 24 Stunden 15 Mal mit Artillerie beschossen zu haben. Im Gegenzug macht Kiew die russischen Truppen, die das AKW bereits seit Anfang März besetzen, immer wieder für Angriffe auf das Gelände verantwortlich. Die Angaben beider Seiten lassen sich in der Regel nicht unabhängig überprüfen.
Der russische Angriffskrieg dauert inzwischen seit 195 Tagen an. In dieser Zeit seien 50.150 russische Soldaten getötet worden, teilte der ukrainische Generalstab am Dienstag per Facebook mit. Russland selbst hat seit Langem keine Angaben mehr zu eigenen Gefallenen gemacht. Auch die Ukraine macht selten Angaben über eigene Verluste, zuletzt sprach Kiew von 9000 getöteten (Stand 22. August) und 7000 vermissten (Stand Juli) ukrainischen Soldaten.
In der Energiekrise weist der Kreml unterdessen dem Westen weiter die Schuld an gestoppten Gaslieferungen durch die Pipeline Nord Stream 1 zu. „Wir wissen nicht, wie die Reparaturarbeiten durchgeführt werden sollen, weil die Sanktionen dies verhindern“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Dienstag beim Wirtschaftsforum in Wladiwostok. Die Verantwortung dafür liege bei den europäischen Staaten und den Staaten, die Sanktionen gegen das Land eingeführt hätten.
Gazprom begründet den Lieferstopp nach einer Wartung mit austretendem Öl aus der Turbine und der daraus entstandenen Brandgefahr. Ursache für das Leck sei ein Konstruktionsfehler an der von Siemens Energy gelieferten Turbine. Das Unternehmen widersprach dem: „Solche Leckagen beeinträchtigen im Normalfall den Betrieb einer Turbine nicht und können vor Ort abgedichtet werden“, sagte ein Sprecher von Siemens Energy am Montag. Auch früher sei es wegen solcher Öllecks nicht zu einem Stillstand gekommen.