Rheinische Post Krefeld Kempen
Auftakt ohne Finanzminister
Wegen eines Trauerfalls fehlte Christian Lindner bei der Einbringung des Etats.
BERLIN Der Mann, um den sich bei diesem Auftakt der Haushaltswoche im Bundestag eigentlich alles drehen sollte, war gar nicht da: Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) war am Dienstag nach einem Trauerfall bei seiner Familie und hatte sich entschuldigen lassen. Die Auseinandersetzung mit der Opposition über Lindners ersten Bundeshaushalt, den Etat für 2023, wird am Donnerstag nachgeholt.
Die Debatte am Dienstag nach der Einbringung des 445-Milliarden-Euro-Etats durch seinen Stellvertreter, den Parlamentarischen Staatssekretär Florian Toncar (FDP), gibt einen Vorgeschmack darauf. Die Union wirft Lindner eine „Mogelpackung“vor, weil die Neuverschuldung in Wahrheit viel höher sei als die ausgewiesenen 17,2 Milliarden Euro. Das „echte“Defizit liege bei 78 Milliarden Euro, sagt CSU-Finanzpolitiker Sebastian Brehm unter Verweis auf einen Bericht des Bundesrechnungshofs.
Lindner will 2023 nach drei Jahren unbedingt zurück zur Schuldenbremse. Die gibt ihm die Verfassung für normale Zeiten vor. Doch die ersehnte Rückkehr zu normalen Zeiten fällt diesmal aus, die Zeiten bleiben außergewöhnlich: Ukraine, Gas, Corona, Klima – es gibt viele Krisen. Und genau dann, wenn der Bundeshaushalt Ende November vom Bundestag verabschiedet werden soll, droht Deutschland wohl eine Rezession. Lindners Etatplan dürfte bald schon Makulatur sein.
Doch vorerst beharrt sein Stellvertreter Toncar auf der Linie, die der Chef vorgegeben hat: Die Schuldenbremse werde 2023 wieder eingehalten, trotz des dritten Entlastungspakets im Umfang von 65 Milliarden Euro. Das sei wegen gut laufender Steuereinnahmen möglich. Die Linie sei richtig, „weil wir nach der Corona-Pandemie keine expansive Finanzpolitik mehr brauchen“, sagt Toncar – alle anderen Krisen lässt er unerwähnt. Inflationsbekämpfung stehe für die Finanzpolitik an oberster Stelle. Weitere Entlastungen nach dem dritten Paket seien dann aber nicht mehr drin. Jetzt müssten die Länder ihren Teil der Finanzierung zum Entlastungspaket beisteuern.
Die Union könnte das sture Festhalten an der Schuldenbremse angesichts der jüngsten Zuspitzungen bei der Energieversorgung anprangern, tut es aber nicht. Stattdessen wirft Unionsfraktionsvize Mathias Middelberg dem Bundeskanzler vor, nicht richtig rechnen zu können. „Erst hat er Erinnerungslücken (im Cum-ex-Skandal, die Red.), jetzt hat er auch noch Probleme, zu rechnen“, so Middelberg. Denn Olaf Scholz (SPD) verspreche hohe Entlastungen, dabei nehme der Staat inflationsbedingt viel mehr ein, als er an die Bürger zurückgebe. Beispiel: Die Gasrechnung werde sich für viele vervierfachen, doch das werde durch die Senkung der Mehrwertsteuer auf sieben Prozent nicht ansatzweise ausgeglichen. Zudem reagiere die Regierung mit ihren Entlastungen viel zu spät.
Die Ampel-Vertreter arbeiten sich an diesen Vorwürfen gar nicht lange ab, sondern nutzen ihre Redezeit lieber für Appelle an die Länder. Auch Ministerpräsidenten wie Hendrik Wüst (CDU) in NordrheinWestfalen hätten eine Verantwortung, müssten ihren Teil vom Entlastungspaket schultern, sagt Dennis Rohde von der SPD. FDP-Haushälter Fricke zeigt auf die zu diesem Zeitpunkt leere Bundesratsbank im Reichstag. Diese Abwesenheit der Ministerpräsidenten sei „typisch“, klagt Fricke. „Die Verhandlungen über das Entlastungspaket werden ja nicht nur hier, sie werden auch noch mit den Ministerpräsidenten geführt“, sagt Fricke: „Ich fürchte, von dieser Bank werden keine guten Vorschläge kommen.“