Rheinische Post Krefeld Kempen
Kühe-Kuscheln auf Rezept
Der Kontakt mit den Tieren wirkt sich positiv auf die mentale Gesundheit aus. In Australien ist die tierische Therapie inzwischen sogar schon so gut etabliert, dass Ärzte sie bestimmten Patientengruppen verschreiben können.
SYDNEY Lawrence Fox gerät ins Schwärmen, wenn er über seine Kühe spricht. Die allerbeste sei Holly, meint er. „Sie ist nicht per Hand aufgezogen worden wie die anderen – aber sie ist trotzdem die ruhigste und beste Kuh, die man sich vorstellen kann.“Der Australier hat eine eher ungewöhnliche Geschäftsidee auf die Beine gestellt: Mit seinem Sozialunternehmen Cow Cuddling Co. bietet er in Goldsborough, eine halbe Stunde südlich von Cairns, Kuschel-Sessions mit Kühen an.
Seine Kühe seien dabei so zutraulich wie ein Hund, sagt Fox. „Aber eben wie einer, der eine halbe Tonne schwer ist“, scherzt er. Ähnlich wie ein Hund würden die Tiere es genießen, gestreichelt zu werden. „Sie strecken ihren Kopf nach oben und lassen sich unter dem Kinn kraulen“, erzählt er. Manchmal würden sie sich auch auf dem Boden rollen, um sich am Bauch kraulen zu lassen.
Der 34-Jährige war nicht immer professioneller Kuh-Streichler. Lange Jahre war Lawrence Fox als Unternehmensstratege tätig, ein stressiger Job, bei dem er sich irgendwann ausgebrannt und leer fühlte. Die tierische Geschäftsidee kam ihm dann während eines Pandemie-Lockdowns. 2020 steckte er auf der einsam gelegenen Farm von Freunden fest. Seine einzige Gesellschaft war damals die dortige Kuhherde. „Ich freundete mich schnell mit den Tieren an und verbrachte oft Stunden mit ihnen“, sagte er. Seine Beziehung zu den Tieren wurde letztendlich so eng, dass er nicht untätig zuschauen konnte, als seine Freunde irgendwann beschlossen, die Tiere zu verkaufen. Denn die Kühe wären dabei mit Sicherheit beim Schlachter gelandet.
„Meine Freunde brauchten Hilfe“, sagt Fox und meint damit nicht die menschlichen, sondern die tierischen Freunde: „Ich konnte also gar nicht anders.“Der Australier entschied sich, die Tiere zu kaufen. Als Wirtschaftsexperte ließ Fox sich einen besonderen Deal einfallen. Er knüpfte den Preis der Tiere an den Ethereum-Token, die zweitwichtigste Kryptowährung nach dem Bitcoin. Damit wies er den Tieren ein persönliches Vermögen zu: Plötzlich waren sie lebendig mehr wert als tot. Während dieses Prozesses entschied sich Fox, seinen Job zu kündigen und aus den Kühen eine Geschäftsidee
zu entwickeln. „Ich hatte während meiner Zeit auf der Farm an Depressionen gelitten“, sagt er. Die Kühe hätten ihm damals geholfen, und so war er davon überzeugt, dass auch andere Menschen von dem Modell profitieren konnten. Die Idee eines Kuhtherapie-Unternehmens war geboren.
Dabei stützte er sich nicht nur auf seine persönliche Erfahrung auf der Farm. Es gebe sogar offizielle Studien dazu, sagt er, die bestätigten, dass die Nähe zu Kühen beim Menschen einen unmittelbaren physiologischen Effekt auslöst. In der Nähe eines großen Tieres mit einem großen Herzen, einem langsamen Herzschlag und einer warmen Körpertemperatur verlangsamt sich auch der menschliche Herzschlag.
Bei der Pferdetherapie ist dies ähnlich.
„Man fühlt sich sofort ruhiger“, sagt auch Fox. Zudem setzt der menschliche Körper bei dem Prozess das Hormon Oxytocin frei: „Dadurch haben wir das Gefühl sozialer Verbundenheit.“Oft würden schon 15 Minuten mit den Kühen reichen, damit die Menschen sich entspannter und voller Energie fühlen würden, berichtet der Unternehmensgründer. Auch wenn einige Besucher das Kuh-Kuscheln als eine Art Touristenattraktion betrachten, so kommen inzwischen viele regelmäßig im Rahmen einer Therapie. Denn in Australien kann ein Arzt das Angebot bestimmten Patientengruppen verschreiben, sodass die Krankenversicherung die Kosten abdeckt.
Anerkannt ist die Therapie beispielsweise für Kinder oder Jugendliche, die mit einer AutismusSpektrum-Störung leben. „Meist sprechen diese Kinder nicht viel mit mir, wenn sie ankommen“, sagt Fox. Doch nach der Interaktion mit den Kühen würden sich die Kinder innerhalb kürzester Zeit öffnen, Fragen an ihn richten und das Verhalten der Kühe mit ihm diskutieren. Regelmäßige Treffen können laut Fox die soziale Interaktion dieser Kinder verbessern.
Eine andere Gruppe, der die Tiere sehr helfen würden, seien Veteranen, sagt Fox. Vor allem Soldaten und Soldatinnen, die an einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTSD) leiden, können nach seinen Aussagen von dem Erlebnis profitieren. Fox berichtet von einem Soldaten, der innerhalb kürzester Zeit eine enge Verbindung mit einer bestimmten Kuh aufbaute und die gesamte Session mit diesem Tier verbrachte. „Am Ende legte sich die Kuh sogar fast auf den Mann drauf“, erzählt Fox. So sehr hatte auch das Tier das Kuscheln genossen. Der Soldat sei von dieser Interaktion und dem sich Geliebtfühlen völlig überwältigt gewesen.
Mit den Einnahmen des Sozialunternehmens will Fox nicht nur das Leben der Kühe und Besucher verbessern. Gewinne gibt er etwa an wohltätige Organisationen weiter. Außerdem will er mit dem Modell Menschen mit psychischen Problemen eine Chance in der Arbeitswelt geben. Seine erste Mitarbeiterin ist eine alleinerziehende Mutter, die unter schweren mentalen Problemen leidet und sich deswegen schwertat, einen Job zu finden. Sie sagt heute: „Die Kühe haben mein Leben gerettet.” Fox berichtet, die Frau sei so gut im Umgang mit den Kühen, dass er sie sich aus seinem Betrieb nicht mehr wegdenken könne. „Ich bin unglaublich stolz auf sie.”
Fox, der gleichzeitig auch einen MBA an einer australischen Business School macht, will sein Projekt langfristig zu einem Franchise-Unternehmen ausbauen. „Ich möchte solche Operationen in ganz Australien sehen“, erklärt er. Inzwischen würde die Gesellschaft mentale Probleme immer mehr auch als Krankheit anerkennen. Und Therapien mit Tieren könnten bei ihrer Behandlung eine zentrale Rolle spielen.