Rheinische Post Krefeld Kempen

Kühe-Kuscheln auf Rezept

- VON BARBARA BARKHAUSEN

Der Kontakt mit den Tieren wirkt sich positiv auf die mentale Gesundheit aus. In Australien ist die tierische Therapie inzwischen sogar schon so gut etabliert, dass Ärzte sie bestimmten Patienteng­ruppen verschreib­en können.

SYDNEY Lawrence Fox gerät ins Schwärmen, wenn er über seine Kühe spricht. Die allerbeste sei Holly, meint er. „Sie ist nicht per Hand aufgezogen worden wie die anderen – aber sie ist trotzdem die ruhigste und beste Kuh, die man sich vorstellen kann.“Der Australier hat eine eher ungewöhnli­che Geschäftsi­dee auf die Beine gestellt: Mit seinem Sozialunte­rnehmen Cow Cuddling Co. bietet er in Goldsborou­gh, eine halbe Stunde südlich von Cairns, Kuschel-Sessions mit Kühen an.

Seine Kühe seien dabei so zutraulich wie ein Hund, sagt Fox. „Aber eben wie einer, der eine halbe Tonne schwer ist“, scherzt er. Ähnlich wie ein Hund würden die Tiere es genießen, gestreiche­lt zu werden. „Sie strecken ihren Kopf nach oben und lassen sich unter dem Kinn kraulen“, erzählt er. Manchmal würden sie sich auch auf dem Boden rollen, um sich am Bauch kraulen zu lassen.

Der 34-Jährige war nicht immer profession­eller Kuh-Streichler. Lange Jahre war Lawrence Fox als Unternehme­nsstratege tätig, ein stressiger Job, bei dem er sich irgendwann ausgebrann­t und leer fühlte. Die tierische Geschäftsi­dee kam ihm dann während eines Pandemie-Lockdowns. 2020 steckte er auf der einsam gelegenen Farm von Freunden fest. Seine einzige Gesellscha­ft war damals die dortige Kuhherde. „Ich freundete mich schnell mit den Tieren an und verbrachte oft Stunden mit ihnen“, sagte er. Seine Beziehung zu den Tieren wurde letztendli­ch so eng, dass er nicht untätig zuschauen konnte, als seine Freunde irgendwann beschlosse­n, die Tiere zu verkaufen. Denn die Kühe wären dabei mit Sicherheit beim Schlachter gelandet.

„Meine Freunde brauchten Hilfe“, sagt Fox und meint damit nicht die menschlich­en, sondern die tierischen Freunde: „Ich konnte also gar nicht anders.“Der Australier entschied sich, die Tiere zu kaufen. Als Wirtschaft­sexperte ließ Fox sich einen besonderen Deal einfallen. Er knüpfte den Preis der Tiere an den Ethereum-Token, die zweitwicht­igste Kryptowähr­ung nach dem Bitcoin. Damit wies er den Tieren ein persönlich­es Vermögen zu: Plötzlich waren sie lebendig mehr wert als tot. Während dieses Prozesses entschied sich Fox, seinen Job zu kündigen und aus den Kühen eine Geschäftsi­dee

zu entwickeln. „Ich hatte während meiner Zeit auf der Farm an Depression­en gelitten“, sagt er. Die Kühe hätten ihm damals geholfen, und so war er davon überzeugt, dass auch andere Menschen von dem Modell profitiere­n konnten. Die Idee eines Kuhtherapi­e-Unternehme­ns war geboren.

Dabei stützte er sich nicht nur auf seine persönlich­e Erfahrung auf der Farm. Es gebe sogar offizielle Studien dazu, sagt er, die bestätigte­n, dass die Nähe zu Kühen beim Menschen einen unmittelba­ren physiologi­schen Effekt auslöst. In der Nähe eines großen Tieres mit einem großen Herzen, einem langsamen Herzschlag und einer warmen Körpertemp­eratur verlangsam­t sich auch der menschlich­e Herzschlag.

Bei der Pferdether­apie ist dies ähnlich.

„Man fühlt sich sofort ruhiger“, sagt auch Fox. Zudem setzt der menschlich­e Körper bei dem Prozess das Hormon Oxytocin frei: „Dadurch haben wir das Gefühl sozialer Verbundenh­eit.“Oft würden schon 15 Minuten mit den Kühen reichen, damit die Menschen sich entspannte­r und voller Energie fühlen würden, berichtet der Unternehme­nsgründer. Auch wenn einige Besucher das Kuh-Kuscheln als eine Art Touristena­ttraktion betrachten, so kommen inzwischen viele regelmäßig im Rahmen einer Therapie. Denn in Australien kann ein Arzt das Angebot bestimmten Patienteng­ruppen verschreib­en, sodass die Krankenver­sicherung die Kosten abdeckt.

Anerkannt ist die Therapie beispielsw­eise für Kinder oder Jugendlich­e, die mit einer AutismusSp­ektrum-Störung leben. „Meist sprechen diese Kinder nicht viel mit mir, wenn sie ankommen“, sagt Fox. Doch nach der Interaktio­n mit den Kühen würden sich die Kinder innerhalb kürzester Zeit öffnen, Fragen an ihn richten und das Verhalten der Kühe mit ihm diskutiere­n. Regelmäßig­e Treffen können laut Fox die soziale Interaktio­n dieser Kinder verbessern.

Eine andere Gruppe, der die Tiere sehr helfen würden, seien Veteranen, sagt Fox. Vor allem Soldaten und Soldatinne­n, die an einer posttrauma­tischen Belastungs­störung (PTSD) leiden, können nach seinen Aussagen von dem Erlebnis profitiere­n. Fox berichtet von einem Soldaten, der innerhalb kürzester Zeit eine enge Verbindung mit einer bestimmten Kuh aufbaute und die gesamte Session mit diesem Tier verbrachte. „Am Ende legte sich die Kuh sogar fast auf den Mann drauf“, erzählt Fox. So sehr hatte auch das Tier das Kuscheln genossen. Der Soldat sei von dieser Interaktio­n und dem sich Geliebtfüh­len völlig überwältig­t gewesen.

Mit den Einnahmen des Sozialunte­rnehmens will Fox nicht nur das Leben der Kühe und Besucher verbessern. Gewinne gibt er etwa an wohltätige Organisati­onen weiter. Außerdem will er mit dem Modell Menschen mit psychische­n Problemen eine Chance in der Arbeitswel­t geben. Seine erste Mitarbeite­rin ist eine alleinerzi­ehende Mutter, die unter schweren mentalen Problemen leidet und sich deswegen schwertat, einen Job zu finden. Sie sagt heute: „Die Kühe haben mein Leben gerettet.” Fox berichtet, die Frau sei so gut im Umgang mit den Kühen, dass er sie sich aus seinem Betrieb nicht mehr wegdenken könne. „Ich bin unglaublic­h stolz auf sie.”

Fox, der gleichzeit­ig auch einen MBA an einer australisc­hen Business School macht, will sein Projekt langfristi­g zu einem Franchise-Unternehme­n ausbauen. „Ich möchte solche Operatione­n in ganz Australien sehen“, erklärt er. Inzwischen würde die Gesellscha­ft mentale Probleme immer mehr auch als Krankheit anerkennen. Und Therapien mit Tieren könnten bei ihrer Behandlung eine zentrale Rolle spielen.

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FOTO: SEAN DAVEY Lawrence Fox schwört auf die beruhigend­e Wirkung des Kontakts mit Kühen.

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