Rheinische Post Krefeld Kempen
Nie wieder Sinfonien in Krefeld?
Krefeld ist drauf und dran, eine Veranstaltungshalle zu bauen, die völlig ungeeignet ist für klassische Musik. Generalmusikdirektor Kütson sagt klipp und klar für sich und seine Sinfoniker: „Dort werden wir nicht spielen.“Die Debatte um einen anderen Standort bricht wieder auf.
Es liest sich wie ein Schildbürgerstreich: Krefeld finanziert zwar ein Sinfonieorchester, das unter Generalmusikdirektor Mihkel Kütson gerade mit dem renommierten „Opus Klassik“-Preis 2022 als deutsches Spitzenorchester gewürdigt wurde – zugleich ist die Stadt drauf und dran, im bislang favorisierten Mies van der Rohe Business Park eine neue Veranstaltungshalle zu bauen, die völlig ungeeignet ist für klassische Musik. Kütson hat jetzt im RP-Gespräch klipp und klar gesagt: „Dort werden wir nicht spielen.“Die FDP fordert nun eine neue Standortdebatte und schlägt die Rückkehr zum Theaterplatz vor. Den Bau einer klassik-untauglichen Halle hält FDP-Fraktionschef Joachim Heitmann für nicht hinnehmbar: „Das wäre eine Blamage erster Ordnung“, sagt er auf Anfrage. Die CDU fordert die Verwaltung auf, Kütsons Mahnung ernstzunehmen.
Kütson berichtet, er habe die Politik mehrfach auf seine Bedenken hingewiesen. Die geplante Halle sei zu eng und zu niedrig für eine klassikfähige Akustik. Wichtiger Wert: die Nachhallzeit. Sie liege in der Halle bei 1,1 Sekunden, so Kütson, wünschenswert für klassische Musik seien 1,8 Sekunden. „Bei 1,1 Sekunden ist der Ton sofort weg“, sagt der Dirigent, „diese Akustik ist für Reden gut und für Instrumente schlecht.“
Wäre der Unterschied für jedermann hörbar oder nur für geübte Ohren? Wolfram Goertz, seit 34 Jahren Musikredakteur der Rheinischen Post und Experte für klassische Musik, stützt klar Kütsons Bedenken: „Eine Nachhallzeit von 1,1 Sekunden ist für sinfonische Musik deutlich zu kurz. Das klingt dann wie ein toter Raum, und das hören auch Laien sofort. Schall braucht eine gewisse Zeit, dass sich
Primärschall und Reflexionsklänge im Ohr des Hörers treffen und mischen. Eine solche Nachhallzeit mag für das gesprochene Wort funktionieren. Für Musik ist es wie eine Sense.“
Kütson ist überzeugt, dass das Akustik-Problem am Standort Kesselhaus nicht zu heilen ist: Die Grundstücksgröße ist begrenzt, und die Höhe der Halle, die an das Kesselhaus angebaut werden soll, ist begrenzt durch den Denkmalschutz. Demnach darf die Halle eine bestimmte Höhe nicht überschreiten, um eine Fensterfront am Kesselhaus nicht zu verdecken.
Alternative Standorte sieht Kütson nicht. Das Theater kommt nicht in Frage, weil es zu viele Terminkollisionen gebe und die Akustik auch nicht gut sei. In Kirchen wiederum ist die Nachhallzeit viel zu groß. Als Dauerspielort müsste in einer Kirche sehr aufwendig die Akustik nachgebessert werden; die Probleme eines Kirchenraums als Konzertsaal blieben. Völlig ungeeignet ist für Kütson auch die Überlegung, sinfonische Musik elektronisch zu verstärken, der Klang „wäre wie bei einem Popkonzert“.
Das Seidenweberhaus habe ja seine Macken, sagt Kütson weiter, aber der Klang dort sei gut. Die neue Veranstaltungshalle sei „der wichtigste Kulturbau für die kommenden 50 Jahre. Da nun das Neugeschaffene in jeder Hinsicht schlechter werden soll, fragt man sich: Warum baut man das?“In der Konsequenz heißt das: Die Niederrheinischen Sinfoniker könnten über kurz oder lang eine Heimstätte in Krefeld verlieren.
Kütsons Alarmruf befeuert die politische Debatte um den Standort. Die FDP-Fraktion plädiert dafür, neu nachzudenken. „Wir haben den Eindruck, dass das ganze Projekt seinen Charme verloren hat“, sagt FDP-Chef Heitmann. Seine Fraktion sei vom FDP-Ratskollegen Paul Hoffmann über Verlauf und Ergebnisse der bisherigen Beratungen zur neuen Veranstaltungshalle am Kesselhaus informiert. „Wir sind zur Einschätzung gekommen, dass die Bedingungen nicht für die Realisierung eines Projektes dort sprechen.“Die FDP schlägt daher vor, eine neue Halle doch auf dem Theaterplatz zu bauen – und zwar in folgender Abfolge: Das Seidenweberhauses soll während der Sanierung des Theaters als Ersatzspielstätte genutzt werden; danach soll das Seidenweberhauses wie beschlossen abgerissen werden.
Dann soll eine neue Veranstaltungshalle auf dem Theaterplatz gebaut auf der Seite zum Ostwall gebaut werden, dort, wo heute das Technische Rathaus geplant ist. Danach soll das Rathaus zur Königstraße hin errichtet werden – dort, wo das Seidenweberhaus steht.
Die CDU-Fraktion stützt Kütson. Die Vorbehalte von Herrn Kütson seien nachvollziehbar, sagt die kulturpolitische Sprecherin Ingeborg Müllers. Das Problem sei schon seit den ersten Überlegungen zur Umnutzung des Kesselhauses bekannt.
Die CDU habe gehofft, dass die Verwaltung mehr auf die Bedürfnisse der Sinfoniker eingehe, denn die Sinfoniker seien ein unverzichtbarer Teil der Krefelder Kulturlandschaft. Die CDU erwarte von der Verwaltung mehr Einsatz, „seit 2020 eiern wir hier herum, ohne dass wir vorankommen.“
Die Fraktionen von SPD und Grünen wollen sich öffentlich nicht äußern. Die SPD weist lediglich darauf hin, „dass auch im Rahmen der Theatersanierung eine der Akustik gerecht werdende Lösung für die Sinfoniker geprüft wird“.
Zum Hintergrund: In einem Interessebekundungsverfahren auf der Suche nach einem Investor für eine neue Veranstaltungshalle ist am Ende Wolf-Reinhard Leendertz mit dem Standort Mies van der Rohe Businesspark übriggeblieben. Er will an das Kesselhaus eine moderne Halle anbauen und so den Charme klassischer Industriearchitektur mit moderner Funktionalität verbinden. Seitdem verhandeln Stadt und Leendertz über die Details des Baus und der Wirtschaftlichkeit. Eigentlich sollte der Grundsatzbeschluss für einen Standort im September im Rat fallen. Danach sieht es nicht aus.