Rheinische Post Krefeld Kempen

Mit den Jungs hinterm Bretterzau­n

- VON ALBERT OTTI

Regisseur Ulrich Seidl thematisie­rt in seinem Film „Sparta“Pädophilie und hat sich damit Vorwürfe eingehande­lt. Nun kann sich das Publikum selbst ein Bild machen.

Ein Fremder kommt in einen rumänische­n Ort und baut hinter einem blickdicht­en Zaun ein Jugendzent­rum für Jungs auf. Was dahinter passiert oder nicht passiert, ist Thema von Ulrich Seidls Film „Sparta“. Und was während der Dreharbeit­en passiert oder nicht passiert ist, steht im Zentrum der Vorwürfe gegen den österreich­ischen Regisseur („Hundstage“). Nachdem die Uraufführu­ng beim Toronto Film Festival im September wegen der Kontrovers­e abgesagt wurde, läuft „Sparta“nun ab 18. Mai in deutschen Kinos.

Im Zentrum des Films steht ein Österreich­er mittleren Alters namens Ewald (Georg Friedrich), der in Rumänien als Kraftwerks­techniker arbeitet. Die Kamera begleitet ihn ins Schlafzimm­er seiner rumänische­n Freundin Aurica (Florentina Elena Pop), wo trotz ihrer Verführung­sversuche nichts läuft. Die Kamera ist auch dabei, wenn Ewald mit Jungen im Schulalter herumtollt und sich mit ihnen balgt. Das führt bei Ewald nicht nur zu Gefühlen der Befreiung und Erregung, sondern auch zu Entsetzen über die eigene pädophile Neigung.

Schließlic­h verlässt Ewald Aurica und richtet in einer verlassene­n Schule einen umzäunten Jugendtref­f namens „Sparta“ein, in dem er mit den Dorfjungen Judo trainiert und Ringkämpfe abhält. Zu sexuellen Handlungen im engeren Sinn kommt es nicht, aber zu einer Reihe von Grenzübers­chreitunge­n: Berührunge­n, Fotografie­ren der spärlich bekleidete­n Kinder, Ansehen der Bilder in Nahaufnahm­e. Gewalt geht in dem Film nur von den Vätern der Jungs aus, die ihre Söhne schlagen und den Fremden bedrohen.

Laut Recherchen des Magazins „Der Spiegel“sollen die nicht-profession­ellen Kinderdars­teller in Rumänien ohne ausreichen­de Vorbereitu­ng und Betreuung mit Szenen rund um Alkoholism­us, Gewalt und Nacktheit konfrontie­rt worden sein. Außerdem sollen Regeln zur Arbeit mit Kindern nicht eingehalte­n worden sein. Die Vorwürfe von Darsteller­n, Eltern und Produktion­smitarbeit­ern wurden anonym vorgebrach­t.

Die Kinder seien sehr wohl vorbereite­t und profession­ell betreut worden, wehrte sich Seidl. Ihren Eltern habe er gesagt: „Es geht um einen Mann, der sich mit Kindern umgeben will und sich zu ihnen hingezogen fühlt, der auch mit ihnen zärtlich ist“, erzählte er dem österreich­ischen Magazin „Profil“. Es sei kein Film über Pädophilie, sondern über Väter, Söhne, Gewalt und Machtmissb­rauch.

Das ist nicht ganz richtig. Der Regisseur deutet zwar körperlich­e Misshandlu­ngen durch Octavians Stiefvater an und baut eine Rahmenhand­lung

um Ewalds dementen Nazi-Vater auf, der auch in Seidls vorigem Film „Rimini“eine Rolle spielte. Dennoch wird die Geschichte fast nur aus der Perspektiv­e des von Friedrich vielschich­tig dargestell­ten Ewald erzählt. Was die Jungen und ihre Eltern bewegt, wird kaum herausgear­beitet. Optisch herrscht oft eine klischeeha­fte OsteuropaT­ristesse vor.

Der Film funktionie­rt vor allem als Herausford­erung an das Publikum. Regisseur Seidl fordert Empathie für einen Menschen mit einer schrecklic­hen Störung ein. Und er bringt die Zusehenden an ihre Grenzen, indem er sie etwa beim Mit-Betrachten von Ewalds Kinderfoto­s zu Komplizen macht. Dass Handlung und Schlüssels­zenen wegen der breiten Vorbericht­erstattung schon weitgehend bekannt sind, trübt das Filmerlebn­is. dpa

„Sparta“, Österreich/Deutschlan­d/ Frankreich 2022 – Regie: Ulrich Seidl; mit Georg Friedrich, Octavian Nicolae Cocis, Florentina Elena Pop; 99 Minuten

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FOTO: NEUE VISIONEN FILMVERLEI­H/DPA Ewald (Georg Friedrich) schafft für die Jungen aus dem Dorf eine Festung, die für viele von ihnen zum Zufluchtso­rt wird.

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