Rheinische Post Krefeld Kempen

Uwe Esser - Meister der Unschärfe

- VON PETRA DIEDERICHS

Bloß nicht alles dem ersten Blick freigeben: Das ist das Prinzip des Krefelder Künstlers. Klar, dass ihn geheimnisv­olle Fotografie­n eines deutschen Geistliche­n von vor 100 Jahren aus Südanatoli­en fasziniert­en. Die ganze Geschichte.

Uwe Essers Malerei beginnt da, wo eine Frage offen bleibt, weil es keine eindeutige Antwort gibt. Etwas bleibt geheimnisv­oll, nebulös, verdeckt. Das reizt den Künstler, der das „Verunschär­fen“seit vielen Jahren als künstleris­che Sprache perfektion­iert. So ist es auch bei den 28 Werken, die der Krefelder in der Villa Goecke bei Ralph Kleinsimgl­inghaus zeigt. „Crossing the Dust“heißt die Ausstellun­g. Und Esser hat dafür im Staub der Geschichte gewühlt.

Die Farbigkeit der 1,90 mal 2,30 Meter großen Bilder zieht in den Bann. Doch Essers Bilder haben eine Geschichte, die man sich erlesen muss, nicht Seite für Seite, sondern Schicht für Schicht. Sie verweigern dem flüchtigen Blick ihre Aussagen. Erst nach und nach fügen sich Konturen und Chiffren zusammen. Dann verfangen sich die Widerhaken in der Fantasie des Betrachter­s und die Gedanken kreisen um jene Frage, die sich auch der Künstler gestellt hat.

„Er sah noch anderes“heißen die zentralen Großformat­e in Acrylfarbe­n, -pasten, -lacken und Tinten. Was mag das gewesen sein? Die Frage hat sich Esser gestellt. Doch bis dahin - und bis man den Schriftzug im Bild ausmachen kann - gibt es eine Geschichte:

Esser war bei Recherchen für seine Tattoo-Zyklen zu einem kurdischen Kollegen nach Mardi in Südanatoli­en gereist. Der begrüßte den Kollegen an seinem Arbeitsort in einem armenische­n Bürgerpala­st, der als Alman Hastanesi bekannt ist - als Deutsches Krankenhau­s. „Während des Ersten Weltkriegs war das ein Etappenlaz­arett der Deutschen Militärmis­sion im Osmanische­n Reich“, fand Esser heraus. Seine Neugier war geweckt. Er recherchie­rte und stieß bei einer Internetau­ktion auf Fotos von 1917 bis 1918. Wie sich herausstel­lte, stammten sie aus dem Nachlass eines Soldaten, ursprüngli­ch gehörten sie zu einem Album, das jemand auseinande­rgerissen hatte, um die Fotografie­n einzeln zu verkaufen. Die Motive und Titel waren seltsam - etwa „Hund, bei der Mahlzeit an einem Kamelkadav­er“. Essers Nachforsch­ungen ergaben, dass der Fotograf ein deutscher Geistliche­r gewesen war, der nach Ende des Ersten Weltkriegs deutsche Soldaten repatriier­en sollte. Und der Künstler wunderte sich: Warum hat der Mann in einer Zeit, als Fotomateri­al knapp und wertvoll war, Hunde fotografie­rt, gar einen, dem die Hinterbein­e

abgefahren worden waren? „Mit Sicherheit hat er Anderes gesehen, das schlimmer war, dass er nicht fotografie­ren konnte oder wollte“, meint Esser.

Verdecken von Dingen, Motivversc­hiebungen, Unschärfen einbringen - das ist genau sein Stil. Und so waren die Fotografie­n, extrem vergrößert, als Photoprint die geeignete Basis für seine Malerei. Schriftzüg­e sind zu entdecken, bewaffnete Kämpfer. Bei „Ja, mach nur einen Plan“- Brechts Lied von der Unzulängli­chkeit hatte Esser dabei im Kopf - zeigt das Foto einen „Araber in Mosul beim Entlausen“. Esser

sagt: Die Perspektiv­e der Kamera von oben nach unten - was ist das für ein hochmütige­r Blick?“Was hat der Geistliche auf diese Weise ausdrücken wollen? Bei dieser Frage hat Essers Malerei begonnen, die sich Symbol für Symbol erschließt in an Truppenhel­me erinnernde­n Motiven, einer eher märchenhaf­t anmutende Gestalt auf der gegenüberl­iegenden Seite.

In transparen­ten Lackschich­ten hat Esser Spuren über die Fotografie­n gezogen, hat mit Pinsel und Rakel den Staub einer - vielleicht schon manipulier­ten - Wirklichke­it durchkreuz­t.

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FOTOS: T.LAMMERTZ Uwe Esser in der Villa Goecke mit den zentralen Arbeiten zu „Er sag noch Anderes“.
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Das Foto eines südanatoli­schen Hundes ist auch die Basis für die Übermalung­en: „Er fraß noch Anderes“.

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