Rheinische Post Krefeld Kempen
Quereinsteiger gegen den Erzieher-Mangel
Deutschlandweit fehlen Erzieher, auch Krefeld ist vom Fachkräftemangel betroffen. Doch es gibt Hoffnung: Die Praxisintegrierte Ausbildung soll Quereinsteiger locken. Zwei von ihnen berichten, warum PiA ihr Leben verändert hat.
KREFELD Eigentlich war Heike Lemmens eine Weltenbummlerin: Die USA, Brüssel, die Niederlande, als gelernte Hotelfachfrau verschlug es sie an die verschiedensten Orte. Irgendwann kehrte sie zurück nach Krefeld, bekam eine Tochter und stellte fest: Das Leben im Hotelfachgewerbe ist nicht familienkompatibel. „Also habe ich mir einen Bürojob gesucht, doch die Erfüllung war das nicht“, erzählt die 48-Jährige. Denn sie träumte von einem Leben als Erzieherin. Doch das schien aussichtslos. Bis sie 2021 über ein neues Ausbildungskonzept stolperte: PiA, die Praxisintegrierte Ausbildung – inklusive Gehalt ab dem ersten Tag.
„Vor zehn Jahren wollte ich schon einmal eine Umschulung zur Erzieherin machen, konnte mir das aber nicht leisten, weil es eine rein schulische Ausbildung war. Als ich dann von PiA hörte, war das wie ein Zeichen und ich habe mich kurz vor Knapp beworben“, erzählt Lemmens. Doch was ist PiA? „Es ist die Praxisintegrierte Ausbildung zum staatlich anerkannten Erzieher“, erklärt Ingo Ludwig von der Stadt Krefeld. „Die Teilnehmer gehen an zwei Tagen die Woche zur Berufsschule, die anderen Tage sind sie in den Kindertageseinrichtungen.“Der Vorteil für die Auszubildenden: Bereits im ersten Jahr der dreijährigen Ausbildung verdienen sie 1190,69 Euro.
Für Lemmens war es ein finanzieller Rückschritt, den die 48-Jährige jedoch nicht bereut hat: „Mein komplettes Umfeld hat mich bestärkt und ist in Jubel ausgebrochen, als ich erzählt habe, ich kündige meinen Bürojob. Klar ist es weniger Geld, aber es ist transparent, was man bekommt und alle wussten: das ist mein Job, der zu mir passt“, sagt Lemmens. Wie die Faust aufs Auge passte es auch für die 28-Jährige Lina Ndiaye. „Ich habe ursprünglich Sprachen studiert und nebenbei als Assistentin in der Behindertenhilfe gearbeitet. Als eine Kollegin mich fragte, ob ich statt des Studiums nicht lieber eine Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin machen wollte, habe ich mich dafür entschieden. Doch als ich nach der Geburt meiner Tochter aus der Elternzeit
kam, konnte ich die Ausbildung im Schichtdienst einfach nicht mit meiner Familie vereinbaren.“Als sie dann im Internet auf PiA stieß, war es für sie Schicksal: „Mein Studium zielte ursprünglich darauf ab, Lehrerin zu werden. Ich liebe Kinder, ich war mir nur unsicher, ob ich auch zur Erzieherin geeignet war.“
Doch Ingo Ludwig konnte Lina Ndiaye von sich überzeugen und ihr wurde nach einem mehrwöchigen Vorpraktikum eine Ausbildungsstelle angeboten: „Die Zeiten passten, das Gehalt passte, es war wie das fehlende Puzzleteil“, sagt sie. Seit August 2022 sind Ndiaye und Lemmens mit dabei und voll integriert in ihre Kitas. „Selbst mein Alter spielt keine Rolle, auch nicht in der Berufsschule. Wir sind eine super Klasse und in der Kita werden keine Unterschiede gemacht“, sagt Lemmens.
Für Ingo Ludwig ist PiA ein Erfolgskonzept – und das ist auch dringend nötig. Denn die Not ist groß in den Krefelder Kitas. 954 Kinder unter drei Jahren und 714 Kinder über drei hatten im August 2023 keinen Kita-Platz, obwohl die Eltern dringend einen benötigen. Von diesen
Kindern könnten in der Theorie 225 betreut werden, denn Plätze gibt es – jedoch fehlt das Personal. 14,5 Fachkraftstellen in Vollzeit waren zum damaligen Zeitpunkt unbesetzt. Der Vorteil von PiA: Die Auszubildenden werden sofort in den Arbeitsalltag integriert, da sich Schule und Arbeit tageweise abwechseln. „Das ist ein großer Vorteil, denn wir können das, was wir montags in der Schule gelernt haben, direkt am Mittwoch in der Kita anwenden. Das festigt das Wissen ungemein“, sagen Lemmens und Ndiaye.
40 PiA-Stellen werden jedes Jahr ausgeschrieben. Vor 2023 waren es 30 beziehungsweise ein Jahr davor 20. Doch wie geht es nach der Ausbildung weiter? „Von 40 Auszubildenden verlassen uns in der Probezeit in der Regel drei. Bis zur Prüfungszulassung schaffen es 30. Ich gehe davon aus, dass wir davon 25 unbefristet übernehmen, zwei weitere auf ein Jahr befristet. Das ist ein sehr guter Schnitt. Denn grundsätzlich ist PiA auf Übernahme ausgelegt“, sagt Ludwig. Zudem versuche er alles, die Verteilung der
Absolventen auf die Kitas im Interesse aller umzusetzen. „Ich habe zum Beispiel eine junge Frau aus Moers. Bevor ich sie einer Kita zuteile, checke ich die Fahrtwege mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Das muss alles passen und im Einzelfall hänge ich mich da auch persönlich hinter“, sagt Ludwig. Dies dient dazu, die Absolventen möglichst in Krefeld zu halten. „Wir möchten natürlich für uns ausbilden. Klar sagen einige Absolventen auch ab, weil sie wegziehen. Das ist schmerzhaft, jedoch nicht zu verhindern.“
Wer denkt, die Ausbildung sei ausschließlich für weibliche Quereinsteiger gedacht, die Familie und Beruf besser vereinbaren wollen, irrt. „Von 120 Bewerbern haben wir auch immer rund fünf männliche Bewerber, die mit beiden Beinen fest im Berufsleben stehen. Wir hatten mal jemanden, der war 20 Jahre Abteilungsleiter in einer großen Firma. Zu den Bewerbern gehören auch klassische Studienabbrecher“, sagt Ludwig. Ob der Job zu einem passt, merkt man bei PiA jedenfalls schnell, denn hier steht man direkt im Kita-Alltag.