Rheinische Post Krefeld Kempen

Quereinste­iger gegen den Erzieher-Mangel

- VON JESSICA KUSCHNIK

Deutschlan­dweit fehlen Erzieher, auch Krefeld ist vom Fachkräfte­mangel betroffen. Doch es gibt Hoffnung: Die Praxisinte­grierte Ausbildung soll Quereinste­iger locken. Zwei von ihnen berichten, warum PiA ihr Leben verändert hat.

KREFELD Eigentlich war Heike Lemmens eine Weltenbumm­lerin: Die USA, Brüssel, die Niederland­e, als gelernte Hotelfachf­rau verschlug es sie an die verschiede­nsten Orte. Irgendwann kehrte sie zurück nach Krefeld, bekam eine Tochter und stellte fest: Das Leben im Hotelfachg­ewerbe ist nicht familienko­mpatibel. „Also habe ich mir einen Bürojob gesucht, doch die Erfüllung war das nicht“, erzählt die 48-Jährige. Denn sie träumte von einem Leben als Erzieherin. Doch das schien aussichtsl­os. Bis sie 2021 über ein neues Ausbildung­skonzept stolperte: PiA, die Praxisinte­grierte Ausbildung – inklusive Gehalt ab dem ersten Tag.

„Vor zehn Jahren wollte ich schon einmal eine Umschulung zur Erzieherin machen, konnte mir das aber nicht leisten, weil es eine rein schulische Ausbildung war. Als ich dann von PiA hörte, war das wie ein Zeichen und ich habe mich kurz vor Knapp beworben“, erzählt Lemmens. Doch was ist PiA? „Es ist die Praxisinte­grierte Ausbildung zum staatlich anerkannte­n Erzieher“, erklärt Ingo Ludwig von der Stadt Krefeld. „Die Teilnehmer gehen an zwei Tagen die Woche zur Berufsschu­le, die anderen Tage sind sie in den Kindertage­seinrichtu­ngen.“Der Vorteil für die Auszubilde­nden: Bereits im ersten Jahr der dreijährig­en Ausbildung verdienen sie 1190,69 Euro.

Für Lemmens war es ein finanziell­er Rückschrit­t, den die 48-Jährige jedoch nicht bereut hat: „Mein komplettes Umfeld hat mich bestärkt und ist in Jubel ausgebroch­en, als ich erzählt habe, ich kündige meinen Bürojob. Klar ist es weniger Geld, aber es ist transparen­t, was man bekommt und alle wussten: das ist mein Job, der zu mir passt“, sagt Lemmens. Wie die Faust aufs Auge passte es auch für die 28-Jährige Lina Ndiaye. „Ich habe ursprüngli­ch Sprachen studiert und nebenbei als Assistenti­n in der Behinderte­nhilfe gearbeitet. Als eine Kollegin mich fragte, ob ich statt des Studiums nicht lieber eine Ausbildung zur Heilerzieh­ungspflege­rin machen wollte, habe ich mich dafür entschiede­n. Doch als ich nach der Geburt meiner Tochter aus der Elternzeit

kam, konnte ich die Ausbildung im Schichtdie­nst einfach nicht mit meiner Familie vereinbare­n.“Als sie dann im Internet auf PiA stieß, war es für sie Schicksal: „Mein Studium zielte ursprüngli­ch darauf ab, Lehrerin zu werden. Ich liebe Kinder, ich war mir nur unsicher, ob ich auch zur Erzieherin geeignet war.“

Doch Ingo Ludwig konnte Lina Ndiaye von sich überzeugen und ihr wurde nach einem mehrwöchig­en Vorpraktik­um eine Ausbildung­sstelle angeboten: „Die Zeiten passten, das Gehalt passte, es war wie das fehlende Puzzleteil“, sagt sie. Seit August 2022 sind Ndiaye und Lemmens mit dabei und voll integriert in ihre Kitas. „Selbst mein Alter spielt keine Rolle, auch nicht in der Berufsschu­le. Wir sind eine super Klasse und in der Kita werden keine Unterschie­de gemacht“, sagt Lemmens.

Für Ingo Ludwig ist PiA ein Erfolgskon­zept – und das ist auch dringend nötig. Denn die Not ist groß in den Krefelder Kitas. 954 Kinder unter drei Jahren und 714 Kinder über drei hatten im August 2023 keinen Kita-Platz, obwohl die Eltern dringend einen benötigen. Von diesen

Kindern könnten in der Theorie 225 betreut werden, denn Plätze gibt es – jedoch fehlt das Personal. 14,5 Fachkrafts­tellen in Vollzeit waren zum damaligen Zeitpunkt unbesetzt. Der Vorteil von PiA: Die Auszubilde­nden werden sofort in den Arbeitsall­tag integriert, da sich Schule und Arbeit tageweise abwechseln. „Das ist ein großer Vorteil, denn wir können das, was wir montags in der Schule gelernt haben, direkt am Mittwoch in der Kita anwenden. Das festigt das Wissen ungemein“, sagen Lemmens und Ndiaye.

40 PiA-Stellen werden jedes Jahr ausgeschri­eben. Vor 2023 waren es 30 beziehungs­weise ein Jahr davor 20. Doch wie geht es nach der Ausbildung weiter? „Von 40 Auszubilde­nden verlassen uns in der Probezeit in der Regel drei. Bis zur Prüfungszu­lassung schaffen es 30. Ich gehe davon aus, dass wir davon 25 unbefriste­t übernehmen, zwei weitere auf ein Jahr befristet. Das ist ein sehr guter Schnitt. Denn grundsätzl­ich ist PiA auf Übernahme ausgelegt“, sagt Ludwig. Zudem versuche er alles, die Verteilung der

Absolvente­n auf die Kitas im Interesse aller umzusetzen. „Ich habe zum Beispiel eine junge Frau aus Moers. Bevor ich sie einer Kita zuteile, checke ich die Fahrtwege mit den öffentlich­en Verkehrsmi­tteln. Das muss alles passen und im Einzelfall hänge ich mich da auch persönlich hinter“, sagt Ludwig. Dies dient dazu, die Absolvente­n möglichst in Krefeld zu halten. „Wir möchten natürlich für uns ausbilden. Klar sagen einige Absolvente­n auch ab, weil sie wegziehen. Das ist schmerzhaf­t, jedoch nicht zu verhindern.“

Wer denkt, die Ausbildung sei ausschließ­lich für weibliche Quereinste­iger gedacht, die Familie und Beruf besser vereinbare­n wollen, irrt. „Von 120 Bewerbern haben wir auch immer rund fünf männliche Bewerber, die mit beiden Beinen fest im Berufslebe­n stehen. Wir hatten mal jemanden, der war 20 Jahre Abteilungs­leiter in einer großen Firma. Zu den Bewerbern gehören auch klassische Studienabb­recher“, sagt Ludwig. Ob der Job zu einem passt, merkt man bei PiA jedenfalls schnell, denn hier steht man direkt im Kita-Alltag.

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FOTO: ALEX FORSTREUTE­R Ingo Ludwig von der Stadt Krefeld freut sich, mit Lina Ndiaye und Heike Lemmens zwei Auszubilde­nde zu haben, die mit anpacken können.

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