Rheinische Post Krefeld Kempen
Höflich, respektiert und umstritten
Rolf Mützenich ist politischer Bodyguard von Kanzler Olaf Scholz. Mit seinen Äußerungen zum „Einfrieren“des Ukraine-Kriegs hat der SPD-Fraktionschef viel Kritik auf sich gezogen – und mit voller Absicht eine Debatte angestoßen.
BERLIN Rolf Mützenich hadert ab und an. Mit sich, mit seinem Amt und seiner Rolle in der Ampelkoalition. Breitbeiniges Auftreten ohne die Fähigkeit zur Selbstkritik mag er nicht. Der SPD-Fraktionschef fühlt sich nicht immer wohl an der Stelle, an der er gerade steht. Jedenfalls wirkt es so, wenn das Scheinwerferlicht, das auf ihn gerichtet ist, so hell ist wie derzeit. Mützenich macht sich nicht viel aus medienwirksamen Auftritten. Und doch steht er gerade im Zentrum einer von ihm selbst ausgelösten Debatte.
Bei Veranstaltungen taucht er häufig mit seinem Fahrradhelm unterm Arm auf. Der Sohn aus einer Kölner Arbeiterfamilie gehört zu den bescheidensten Spitzenpolitikern in Berlin. Mützenich bedankt sich bei Journalisten für das Interesse, wenn sie zu seinem obligatorischen Statement vor einer SPD-Fraktionssitzung kommen. Der 64-Jährige kultiviert seine höfliche Art schon auf eine Weise, die manchem wie aufgesetzt vorkommt. Doch das ist sie nicht. Er ist so.
Unterschätzen sollte man Mützenich deswegen aber nicht. Er ist ein gewiefter Politiker, ein über Fraktionsgrenzen hinweg respektierter Verhandler. Mützenichs Job ist es als Chef der größten Regierungsfraktion, dem Kanzler den Rücken freizuhalten. Er ist Olaf Scholz’ politischer Bodyguard, sein oberster Prätorianer im Parlament. Mützenich muss die Mehrheiten im Bundestag organisieren, auf die der Kanzler bei seinen Ampel-Vorhaben baut. Er verschafft dem Regierungschef die nötige Beinfreiheit, wenn sie eingeschränkt werden soll. Etwa in der Debatte um die Lieferung deutscher Marschflugkörper für die Ukraine. So ging es maßgeblich auf Mützenich zurück, dass jüngst in einem Ampel-Antrag das Wort „Taurus“nicht vorkam, um Scholz in seiner ablehnenden Haltung zu den Marschflugkörpern nicht in die Enge zu treiben.
Zugleich stellte er am Sonntagabend nach der Abstimmung im Bundestag in einem Fernsehinterview eine baldige Erklärung des Kanzlers zum Taurus-Veto in Aussicht. Zuvor war die Kritik an Scholz‘ Schweigen in der Sache immer lauter geworden. Am darauffolgenden Tag war Scholz Gast in der Chefredakteurskonferenz der Deutschen Presse-Agentur und wurde eindringlich zu seinem Nein befragt – Scholz lieferte erstmals detailliertere Begründungen für sein Taurus-Veto. Dass das auf Mützenichs TV-Auftritt zurückging, ist zumindest möglich. Klar ist: Mützenich ist auch immer wieder Antreiber des Kanzlers.
Zuvorderst verteidigt er aber den Kurs von Scholz bei allen möglichen Vorhaben der Koalition, auch wenn dies mitunter nicht einfach ist angesichts der oft zurückhaltenden oder wenig klaren Kommunikation des Kanzlers. Dabei spricht auch Mützenich nicht immer in gestanzten Sätzen. Wenn er verbal attackiert, erinnert das mehr an ein Florett als an eine Machete. Bei Mützenich muss man manchmal genau hinhören, um zu verstehen, gegen wen er da gerade austeilt, wobei er vielsagend lächelt.
Am 14. März löste er allerdings mit einer Rede im Bundestag ein mittleres Beben im politischen
Berlin aus. Mützenich warf in einer Plenardebatte über eine Lieferung deutscher Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine die Frage auf: „Ist es nicht an der Zeit, dass wir nicht nur darüber reden, wie man einen Krieg führt, sondern auch darüber nachdenken, wie man einen Krieg einfrieren und später auch beenden kann?“In den Stunden und Tagen danach hagelte es massive Kritik an Mützenich, nicht nur aus der Opposition. Auch aus den Reihen der Ampel brachten Spitzenpolitiker ihr Unverständnis über den Begriff „Einfrieren“zum Ausdruck.
Die Kritik am SPD-Fraktionschef bediente dabei auch alte Reflexe. Mützenich hatte vor und nach dem Überfall Putins auf die Ukraine immer wieder den aus seiner Sicht falschen Stempel aufgedrückt bekommen, ein Russlandversteher zu sein. Der Diplom-Politikwissenschaftler gehört dem linken Parteiflügel in der SPD an, war lange als außenpolitischer Experte in der Fraktion tätig. Er promovierte einst über atomwaffenfreie Zonen. „Diplomatie, Friedens- und Konfliktforschung ist mein Lebensthema“, sagt Mützenich in einem aktuellen Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“.
Mützenich glaubt nicht an ein militärisches Einknicken Russlands. Mit „Einfrieren“will er aber nicht gemeint haben, dass die Ukraine Gebiete dauerhaft an Russland abgeben sollte. „Der Begriff ‚Einfrieren’ bedeutet ja gerade, dass nichts endgültig entschieden ist. Sondern dass man erst einmal verhandelt“, sagt er dazu. Und damit hat es Mützenich geschafft: Aus der anfänglichen Empörungswelle ist eine Debatte über die von ihm aufgeworfene Frage entstanden – in einer Zeit, in der allzu oft vermeintlich einfache Antworten gegeben werden. Dass er dabei zuerst von den Populisten am rechten und linken Rand Applaus bekam, ist ein zu verschmerzender Nebeneffekt für den Sozialdemokraten. Mützenich wirkt allerdings nicht, als haderte er mit sich selbst.
„Diplomatie, Friedens- und Konfliktforschung ist mein Lebensthema“Rolf Mützenich