Rheinische Post Krefeld Kempen
Eine neue Esskultur auf Weltklasse-Niveau
„De Nieuwe Winkel“in Nimwegen ist das einzige vegane Zwei-Sterne-Restaurant. Chefkoch Emile van der Staak hat eine Mission: Er will beweisen, dass rein botanische Küche schmeckt. Einblick in ein Experimentierlabor, in dem Gerichte über Jahre reifen.
NIMWEGEN Auf einem Schrank zieht Kiwi in einem Glasfass in Essig, im Weinkühlschrank reifen Brie und Wurst, auf dem Tisch steht 15 Stunden bis zur Unkenntlichkeit gegarter Kohlrabi. Mit Pinzette feilt eine junge Köchin an Roter Beete, die Nebenfrau presst Blätter zu Öl. Diesen Raum nennt Emile van der Staak sein Experimentierlabor, hier arbeiten der Chefkoch und seine Mitarbeiter an kulinarischen Innovationen, an Texturen, Konservierungstechniken und Zubereitungsmethoden. Es wird gerochen, geschmeckt, analysiert, eingelegt, fermentiert und gekocht. Und abends, wenn die Gäste kommen, findet an den hohen Tischen im Raum Private Dining statt. Die Gäste dürfen und sollen sehen, dass hier geforscht wird, dass die Kulinarik des Restaurants „De Nieuwe Winkel“in Nimwegen eine unaufhörliche Reise ist. „Wir sind immer wieder auf der Suche nach etwas Neuem, nach Geschmäckern, die unbekannt waren“, sagt van der Staak, der das Restaurant im Herzen der Stadt seit zwölf Jahren führt.
Seit einigen Jahren eilt „De Nieuwe Winkel“von Erfolg zu Erfolg, Emile van der Staak wird mit Auszeichnungen überhäuft, von der Fachpresse gefeiert. Das vegane Restaurant setzt konsequent auf botanische Produkte, Fisch und Fleisch gibt es nicht, genauso wenig Eier, Kuhmilch und Honig. „Mit der Art und Weise, wie wir leben und essen, zerstören wir unseren Planeten. Wir verschwenden Ressourcen und agieren nicht nachhaltig“, sagt van der Staak. Dem habe er mit seinem Restaurant unbedingt etwas entgegensetzen wollen. Heute hat seine Küche zwei Michelin-Sterne, zudem einen grünen Stern für Nachhaltigkeit. „Es ist mir wirklich unerklärlich, weshalb nicht mehr Köche auf rein vegane Küche setzen, und stattdessen Tiere leiden lassen“, sagt van der Staak. Und: „Ich bin Koch, aber gleichzeitig auch Aktivist.“
Drei Mal im Jahr wechselt das Restaurant seine Karte. Auswahl aber gibt es nicht. Seit Anfang März bekommen die Gäste das Menü „Ontwaken“(deutsch: Erwachen) serviert, das Motto lautet: „Es entstehen frische Aromen.“Kiefernkronen kommen zum Einsatz, Brennnessel und Blüten. Der Preis: 180 Euro, weitere 90 Euro muss man für die Getränke einplanen. „Wir bieten Fine Dining. Hinter unseren Gerichten steckt monatelange Arbeit, und wir verarbeiten nur hochwertige Produkte. Gäste kommen zu uns nicht wöchentlich, vielmehr ist der Besuch ein Höhepunkt, wie ein Urlaub“, sagt van der Staak. „Außerdem bilden wir einen ehrlichen Preis ab. Selbst wenn die Beschaffungskosten für Zutaten niedriger sind – der Personalaufwand ist hoch. Wir kümmern uns gut um unser Personal, und es steckt viel Zeit in der Zubereitung“, sagt der Niederländer. Spontane Besuche aber sind nicht empfehlenswert. Bis Oktober ist „De Nieuwe Winkel“ausgebucht, wer in einer größeren Gruppe kommt, hat noch Chancen auf einen Tisch im Spätsommer.
Einige seiner Produkte bezieht van der Staak von dem zweieinhalb Hektar großen „Voedselbos“(deutsch: Nahrungswald) in Groesbeek, unweit der deutschen Grenze beim Kranenburger Ortsteil Grafwegen. Der Botaniker Wouter van Eck hat dort einen kleinen Urwald geschaffen, in dem Sanddorn, Pinienkerne, Pflaumen, Bärlauch, Äpfel, Beeren,
Pilze oder Nüsse wachsen. Keine Spur von konventioneller Ackerbewirtschaftung. Die „Landwirtschaft“ist hier von der Funktionsweise eines natürlichen Waldes inspiriert. Pflanzenschutzmittel sind tabu, dafür summen und brummen die Insekten, die Vögel zwitschern. Ein Biotop. „Wenn ich durch den Wald laufe, finde ich Ruhe und Inspiration für neue Gerichte“, sagt van der Staak. Zumal längst nicht nur heimische Arten auf dem Areal wachsen. Auch chinesisches Mahagoni, japanische Walnüsse oder Kakis werden hier geerntet. Oder eben nicht: Wenn die Ernte ausfällt, weil die Natur es so will, muss van der Staak umdisponieren. „Aber wir finden immer eine Lösung“, sagt der Chefkoch. Er meint: Das Bild unserer Kulturlandschaft müsse sich dringend wandeln. „Wir haben um uns herum endlose Felder mit Mais oder Gras, das als
Futtermittel für die Fleischindustrie genutzt wird. Wir Menschen könnten von dem, was da wächst, nicht leben. Das ist doch Wahnsinn.“
In seiner Küche, so erklärt es der 47-Jährige, könne es Jahre dauern, bis ein Produkt oder ein Gericht ausgereift ist. „Denn es ist nicht unser Anspruch, bloß rein botanische Gerichte anzubieten. Sie müssen auch schmecken, ansonsten werden sie nicht serviert“, sagt van der Staak, der als Bauingenieur Quereinsteiger ist. Man habe lange daran gefeilt, aus Esskastanien Schokoladenmousse zuzubereiten. Aus Mandelmilch wird Käse, aus Sonnenblumenkernen und Bakterien Tofu, Rote Beete wird zu Wurst verarbeitet. Aus Baumrinde wird eine Bouillon abstrahiert. „Und wir haben Freude daran, mit unbekannten Produkten zu arbeiten“, sagt van der Staak. So kommen der japanische Bergspargel,
chinesisches Mahagoni und die sibirische Blaubeere zum Einsatz, genauso wie Bambus. Eng arbeitet man mit Wissenschaftlern der Universitäten Eindhoven und Wageningen zusammen. Viel Technik und noch mehr Handwerk sind gefragt, trotzdem kommen die Kreationen fein und natürlich daher. „Wer Menschen davon überzeugen will, auf tierische Produkte zu verzichten, muss geschmackvolle Alternativen anbieten“, so der Niederländer.
35 Mitarbeiter sind in „De Nieuwe Winkel“beschäftigt – Tendenz steigend. „Die Michelin-Sterne haben unser Restaurant und unser Arbeiten nicht verändert. Aber sie helfen uns, unsere Geschichte zu erzählen“, sagt er. Seitdem melden sich noch mehr Köche aus der ganzen Welt, die mitanpacken wollen. Viele sind unter 30, in der Küche wird Englisch gesprochen. „Ich merke, dass die jungen
Leute verstehen, dass wir im Umgang mit unserem Planeten nicht so weitermachen können wie bisher. Und da ist es klug, wenn sie bei uns Erfahrungen sammeln, lernen, aber auch eigenen Input geben“, sagt van der Staak. Er hat keine Mühe, Personal zu finden. Die Mitarbeiter arbeiten nur dreieinhalb Tage die Woche, und zwar für ein gutes Gehalt, versichert van der Staak. „Auch das gehört zu unserer ehrlichen Geschichte: Wir wollen attraktive Arbeitsplätze bieten.“Nur in einem solchen Umfeld entstünde Kreativität, so der Koch im Gespräch. „Lecker essen kann man in vielen Restaurants. Aber es geht auch um die Frage, was auf dem Teller landet, was wirklich hinter dem Gericht steckt. Ich will mit unserer Küche zeigen, dass es eine Verbindung gibt zwischen dem Essen und der Welt, in der wir leben. Diese Geschichte möchte ich erzählen.“
3 SAT
15.55