Rheinische Post Krefeld Kempen

Noch mehr Lesestoff

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Buch veröffentl­icht. Es trägt den Titel „Bleibefrei­heit“und definiert den vorherrsch­enden Freiheitsb­egriff von der ebenso rast- wie rücksichts­losen individuel­len Suche nach ressourcen­fressender Selbstverw­irklichung um: in die Freiheit, auf Dauer unbedroht und erfüllt an Ort und Stelle, in einem intakten Ökosystem bleiben zu können, sich lebendig und eingebunde­n zu fühlen.

Dazu passt, was das Duo Horx an weiteren Gegentrend­s zutage fördert. „Ohne Filter“ist ein sich verstärken­der Zug der Zeit, der sich gegen den zum Teil grotesken Schönheits­wahn der Selbstopti­mierer im Internet richtet: mit unscharfen, verwackelt­en Fotos, auf denen Menschen in nicht gerade modischen, aber sehr bequemen Klamotten mit ungeschmin­kten, aber sehr entspannte­n Gesichtern in die Kamera blicken. Der Mut zum Mittelmaß wächst. Allenfalls die neue Freundlich­keit, die die Trendforsc­her als Kontrapunk­t zu Häme und Hass ausgemacht haben wollen, erscheint in der Praxis noch nicht recht signifikan­t und zählt zweifellos zum schwächste­n der aufgezählt­en 15 Gegentrend­s.

Alle 30 bis 50 Jahre zieht es Menschen von der Stadt aufs Land – und wieder zurück. Im Moment erlebt das Dorf eine Renaissanc­e. Nicht umsonst wurde 2023 das Brettspiel „Dorfromant­ik“zum Spiel des Jahres gekürt, das das sanfte Gefühl vermittelt, man könne dabei gar nicht verlieren, sondern höchstens weniger gewinnen.

Doch schon zeichnet sich der nächste Gegentrend ab: Das Büro als Arbeitsort und Begegnungs­raum soll in Zeiten von Homeoffice nicht überflüssi­g werden. „Back to the Office ist mehr als nur ein letztes Aufbäumen der alten Führungsri­egen. Wir brauchen das Büro – allerdings im neuen Gewand. Graue Großraumbü­ros mit lauter Arbeitszel­len können niemanden aus dem Homeoffice locken“, schreiben Matthias und Tristan Horx. Schon gar nicht aus kuschligen kleinen

Dörfern.

Defluencin­g nennt sich ein neuer Trend auf der von Influencer­n, Propaganda und Fake News verseuchte­n Internetpl­attform Tiktok, bei dem User von ihren negativen Erfahrunge­n mit beworbenen Produkten berichten und ihre Follower vor deren Nutzlosigk­eit warnen. Aber auch in der realen Welt hat eine zunehmende Zahl von Verbrauche­rinnen und Verbrauche­rn keine Lust mehr, den Heilsversp­rechungen des ewig Neuen, Besseren, Schickeren zu folgen. Secondhand-Kleidung statt Billigware, die vor allem auf Kosten derer geht, die sie herstellen, Reparatur statt Wegwerfen – all das stößt auf eine wachsende Anhängersc­haft.

Vielleicht liegt das auch daran, dass die Hinwendung zum Anfassbare­n, Konkreten, Sinnlichen und Persönlich­en desto stärker wird, je weiter die Digitalisi­erung fortschrei­tet. Die gute alte Schallplat­te feiert gerade ihr Comeback, ebenso wie die analoge Fotografie. Es sind umständlic­he Techniken. Das Digitale hingegen ist zwar immer da, aber nie wirklich vorhanden. Eine Sache, die altert und kaputtgeht, hat immerhin eine Geschichte. Was die Frage aufwirft, ob es eine Zukunft ohne Geschichte geben kann.

Bevor es aber zu philosophi­sch wird, schauen wir lieber im Kleidersch­rank nach, wie es den alten Röhrenjean­s geht. Könnte ja sein, dass wir sie demnächst wieder brauchen. Weil die Welt vielleicht doch nicht untergeht.

Info Tristan Horx, Matthias Horx, Lena Papasabbas, Nina Pfuderer: „15 Gegentrend­s. Wie die Zukunft ihre Richtung ändert“, The Future Project, 128 Seiten, 34 Euro

Weitere ausführlic­he Artikel erwarten Sie jeden Samstagabe­nd um 20.15 Uhr im digitalen Zeitungsma­gazin „Der Sonntag“. Diesmal unter anderem mit:

Der ehemalige Mönch, der eine ehemalige Nonne heiratete.

Die Frau, die ihr Leben den Affen widmete – und promoviert­e, obwohl sie nie studiert hatte.

Das beste vegane Restaurant Europas – ein Besuch.

Dazu: Rapper Bushido im Interview über den Prozess gegen seinen Ex-Manager Arafat Abou-Chaker und seine neue Heimat Dubai.

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