Rheinische Post Krefeld Kempen

Das sind die verschiede­nen Szenarien

- VON THOMAS SCHULZE

Der KFC Uerdingen kämpft sportlich um den Aufstieg in die Regionalli­ga und wirtschaft­lich um die Vermeidung der Insolvenz. Aber wann hilft ein Aufstieg dem Verein überhaupt? Und wann ist es sinnvoll, ein Insolvenzv­erfahren zu beantragen?

Jede Krise birgt Chancen. Das ist die gute Nachricht für den KFC Uerdingen. Allerdings bedarf es dazu der richtigen Einschätzu­ng der Situation und der daraus zu ziehenden Konsequenz­en. Die Chance gab es in den vergangene­n Jahrzehnte­n immer mal: vor sechs Jahren, doch ohne Stadion wurde sie leichtfert­ig vergeben. Zuletzt gab es sie dann vor zwei Jahren nach dem Abstieg aus der Dritten Liga und abgeschlos­senem Insolvenzv­erfahren, doch sie wurde kläglich vertan, weil der damalige Verwaltung­srat zu viele naive Fehlentsch­eidungen traf: Er setzte auf den guten Willen langjährig­er Vereinsmit­glieder anstatt auf Kompetenz, was ein verheerend­es Resultat zur Folge hat. Der Status quo.

Die sportliche Situation Die Meistersch­aft ist in weite Ferne gerückt, die Vizemeiste­rschaft durchaus noch möglich. In den nächsten Tagen wird sich entscheide­n, welche Vereine eine Zulassung für die Regionalli­ga erhalten – wahrschein­lich Ratingen 04/19 und der KFC Uerdingen, eventuell Schwarz-Weiß Essen. Nach dem VfB Hilden und der Spvg Schonnebec­k hat auch Spitzenrei­ter Sportfreun­de Baumberg hat am Ostermonta­g mitgeteilt, dass er sich nicht um eine Regionalli­ga-Lizenz bewirbt. Der von den zugelassen­en Vereinen am Saisonende bestplatzi­erte unter den ersten vier Teams steigt in die Regionalli­ga auf. Der KFC hat somit durchaus noch die Chance, aufzusteig­en. Allerdings bedarf es dazu in den restlichen neun Saisonspie­len – darunter gegen Baumberg, Schwarz-Weiß Essen, Ratingen und Schonnebec­k – stabilerer, konstanter­er Leistungen. Dass die Uerdinger sich gegen Spitzenman­nschaften leichter getan haben als gegen Abstiegska­ndidaten, nährt die Hoffnung.

Die wirtschaft­liche Situation Sie ist deutlich schwierige­r als die sportliche. Bis zum Saisonende fehlen dem Verein rund 1,1 Millionen Euro. Verbindlic­hkeiten in Höhe von 600.000 Euro wurden seit dem abgeschlos­senen Insolvenzv­erfahren im Frühjahr 2022 angehäuft, 500.000 Euro fehlen in dieser Saison durch den Ausfall des Hauptspons­ors dasbob. Laut Finanzvors­tand Bernd Limberg beträgt der monatliche Bedarf 90.000 Euro im Monat für die Mannschaft (mehr als zwei Drittel) und sechs Angestellt­e, drei im Bereich Geschäftss­telle, drei in der Jugend. Aber: Wenn die Gläubiger ihr Geld fordern, muss der Verein zahlen oder Insolvenz anmelden.

Im Fall des Aufstiegs Die Etatplanun­g für die kommende Saison erfolgt Ligen-unabhängig, sie ist also für die Ober- und Regionalli­ga identisch. Der KFC veranschla­gt einen Etat von 1,1 Millionen Euro und kalkuliert diesen ohne Hauptspons­or. Mit diesem Etat würde sich der Verein noch immer im oberen Drittel der Regionalli­gisten bewegen. Allerdings müsste auch in diesem Fall das Gesicht der Mannschaft

verändert werden. Selbst die SSVg Velbert, die in der vergangene­n Saison sportlich überzeugt hat und aufgestieg­en ist, kann in dieser Saion die höhere Klasse nicht halten. Das sollte eine Warnung, aber auch nicht furchterre­gend sein. Eine Tilgung der Verbindlic­hkeiten scheint in diesem Fall wenigstens in kleineren Schritten möglich.

Im Fall des Oberliga-Verbleibs Mit dem veranschla­gten Etat wäre der KFC erneut der Krösus der Liga. Ob das sinnvoll ist, muss stark bezweifelt werden. Ebenso die vom Vorstand Sebastian Thißen ausgegeben­e Marschrout­e im Finanzbere­ich. Für ihn sei ein Insolvenza­ntrag aus moralische­n Gründen nicht vertretbar. Sollte der KFC absehbar nicht aufsteigen, so wäre dieser Antrag vor dem Saisonende jedoch aus wirtschaft­licher Sicht geradezu zwingend geboten. Der Verein bekäme, sofern er den Insolvenza­ntrag rechtzeiti­g stellt, in dieser Saison neun Punkte abgezogen und wäre zum Beispiel anstatt Vierter am Saisonende Zehnter. Aber es bestünde die Chance auf einen Neuanfang im finanziell­en und sportliche­n Bereich.

Alles hängt am neuen Vorstandsv­orsitzende­n Der Neuanfang ist zwingend. „Der Verein muss sich völlig neu aufstellen“, hat Nils Gehlings,

Vorsitzend­er des Verwaltung­srates, gesagt. Derzeit wird ein neuer Vorstandsv­orsitzende­r gesucht, der sein Vorstands-Team zusammenst­ellt. Bis zum 28. Juni muss er gefunden sein. Dieser Vorstandsv­orsitzende sollte in der Wirtschaft, aber auch in der Stadt bestens vernetzt sein. Letzteres fehlt seit vielen Jahrzehnte­n und ist das größte Manko. Die Bereiche Finanzen und Sport muss er mit zwei kompetente­n Vorstandsk­ollegen besetzen. Ob ein weiteres Vorstandsm­itglied zwingend erforderli­ch ist, sei dahin gestellt.

Was er ändern muss Was in den vergangene­n Jahren, beinahe Jahrzehnte­n, vermisst wurde: Transparen­z und Teilhabe. Mitglieder und Fans müssen viel besser informiert und einbezogen werden, was im positiven Fall zu größerem ehrenamtli­chem Engagement statt bezahlter Inkompeten­z führt. Der Supporters

Club und die Grotenburg Supporter haben gezeigt, welch ein Ideenreich­tum, welch eine Tatkraft und Leidenscha­ft in und um den Verein schlummert. Aber das ist es natürlich nicht allein. Der Verein muss sich völlig neu aufstellen. Diese Forderung von Nils Gehlings muss in allen Bereichen der Maßstab sein. Es darf keine Denkverbot­e geben. Und so müssen Fragen erlaubt sein, zum Beispiel: Muss ein Oberligist einen Etat von 1,1 Millionen Euro haben, wenn der Rest der Liga mit einem Drittel davon auskommt? Muss der Verein sich sechs Angestellt­e leisten oder würden je kompetente­r Mitarbeite­r in den Bereichen Geschäftss­telle und Jugend ausreichen? Soll die Ausbildung der Jugend allerhöchs­ten Ansprüchen genügen oder reicht es ein, zwei Ligen tiefer aus, da bereits im Umkreis auf Top-Niveau ausgebilde­t wird und eine Konkurrenz wenig sinnvoll erscheint?

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FOTO: BRAUER-FOTOAGENTU­R Der KFC Uerdingen verfügt über eine noch immer erstaunlic­h große, treue und aktive Anhängersc­haft.

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