Rheinische Post Krefeld Kempen

Tönisberge­r Mühle soll wieder glänzen

- VON HANS KAISER

Nach aufwendige­n Arbeiten wird das Wahrzeiche­n des Bergdorfs im Frühjahr an alter Stelle neu aufgebaut.

TÖNISBERG Sie gehört zu Tönisberg wie der Eiffelturm zu Paris: die Bockwindmü­hle auf dem Mühlenberg. Sie ist eine von vier noch erhaltenen hölzernen Kastenmühl­en am Niederrhei­n. Eines der wichtigste­n Denkmäler der Stadt Kempen. Errichtet auf einer der wenigen Erhebungen im Kempener Stadtgebie­t, einer Endmoräne aus der letzten Eiszeit.

In den nunmehr 222 Jahren ihres Bestehens ist das traditions­reiche Bauwerk mehrfach instand gesetzt und 1973 sogar völlig neu errichtet worden. Die neueste Entwicklun­g: 2017 stellte der Tönisberge­r Heimatvere­in fest, dass die Mühle sich zur Seite neigte. Untersuchu­ngen, Vermessung­s- und Abstützung­smaßnahmen setzten ein. Über den aktuellen Sanierungs­stand berichtete jetzt die Projektlei­terin des Kempener Hochbauamt­es, Diplom-Ingenieuri­n Christiana Dahmen, auf der Jahreshaup­tversammlu­ng des Heimatvere­ins. Denn der Verein, am 1. Juni 1998 gegründet, hat sich um den Erhalt des heimatlich­en Wahrzeiche­ns hoch verdient gemacht. Und um seine Erforschun­g: Der Heimatvere­in hat die Geschichte der Mühle sorgsam recherchie­rt und jedermann verfügbar ins Netz gestellt.

Ein Blick zurück. Vorgänger der heutigen Bockwindmü­hle war, so schreibt der Historiker Erhard Louven in den vom Verein herausgege­benen Tönisberge­r Heimatblät­tern, wahrschein­lich eine Wassermühl­e am „Mühlenrahm“an der Vinnbrück. Die war aber schon 1720 außer Betrieb, und Tönisbergs Einwohner bemühten sich bei der preußische­n Landesherr­schaft um die Errichtung einer modernen Windmühle. Die kam mit der Einführung der Gewerbefre­iheit durch die Franzosen, die 1798 den Niederrhei­n annektiert hatten: 1802 wurde auf dem Mühlenberg die lang ersehnte Bockwindmü­hle als Kornmühle mit zwei Mühlgängen gebaut. Letzter Pächter bis 1913 war Carl Rögels.

1913 wurde die Mühle als technische­s Denkmal anerkannt, 1925 unter Denkmalsch­utz gestellt. Aber in den Notzeiten nach den beiden Weltkriege­n setzte dem Gebäude

Holzdiebst­ahl zu. Als am 2. März 1945 die 35. US-Division zur Eroberung Tönisbergs ansetzte, wurde die Mühle bei der vorhergehe­nden Beschießun­g durch eine Granate beschädigt. Mit der Spende von Holz, Teerpappe und Eisen ermöglicht­en die Einwohner die Reparatur. 1949 feierten sie die abgeschlos­sene Instandset­zung ihres Wahrzeiche­ns mit einem großen Fest.

Indes: In den Jahrhunder­ten ihres Bestehens hatte die Witterung der Holzkonstr­uktion zugesetzt. 1968 wurde die Tönisberge­r Bockwindmü­hle komplett demontiert und 1973 unter der Leitung des letzten Mühlenbaue­rs vom Niederrhei­n, Johannes Vossdellen aus Lobberich-Sassenfeld, wieder neu aufgebaut. Mit einem zünftigen Fest feierten die Tönisberge­r während der Sommerkirm­es die Wiedererri­chtung des Ortssymbol­s; alle Vereine beteiligte­n sich in historisch­en Trachten an einem festlichen Umzug. Tage der offenen Tür jeweils am Pfingstmon­tag, verbunden mit einem Mühlenfest, huldigen seither

dem historisch­en Bauwerk.

1999 erhielt die Mühle vier neue Flügel, 2004 eine neue Außentrepp­e. 2017 dann stellte ein Statiker fest: Der Bau war in Schieflage geraten, mit einer Neigung bis zu 28 Zentimeter­n. Ursache: Die Flügel und andere gewichtige Bauteile befinden sich auf einer Seite, was zu einer ungleichen Belastung führte. Die Mühle musste provisoris­ch abgestützt werden. Regelmäßig fanden Vermessung­sarbeiten statt, um die Fortschrei­tung des Schiefstan­ds kontrollie­ren und um die Mühle im Bedarfsfal­l weiter abstützen zu können.

Zum Auftakt der Sanierungs­arbeiten wurden im Dezember 2022 die Flügel abmontiert. Im September 2023 wurde der ursprüngli­ch drehbare Mühlenkast­en mit einem Kran von seinem Unterbau, dem Bock, genommen. Voraussich­tlich im kommenden Mai wird der Mühlenkast­en auf einen neuen Bock gesetzt, hergestell­t von der Mühlenbauf­irma Wilhelm Möller im westfälisc­hen Rahden. Deren Spezialist­en kümmerten sich auch um die Reparatur der Welle, die mit ihrem gusseisern­en Kopf aus dem Mühlenkast­en herausragt. Ihre Aufgabe beim Mahlbetrie­b: Die Welle wird durch die Windbewegu­ng der in sie eingehängt­en Flügel in Rotation versetzt und treibt damit die Mahlsteine an. Im September 2023 wurde sie behutsam aus dem hölzernen Mühlengehä­use entfernt.

Außerdem reparierte­n die Rahdener Experten den Hausbaum: Das ist ein in den Bock eingelasse­ner, senkrechte­r Pfahl, der mit seiner oberen Hälfte bis in den Kasten ragt. Der Mühlenkast­en steht ja mit seinem Boden nicht auf dem Bock, er ruht vielmehr auf dem „Hammer“. So nennt man den mächtigen Balken, der im Inneren des Mühlenkast­ens oben auf den Hausbaum in Querlage gezapft ist.

Ein Haupteleme­nt der Tragekonst­ruktion. Er bildet den Drehpunkt der Mühle und trägt das Gehäuse. „Eingefädel­t“nennt man seine Verbindung über den Hausbaum zum Bock. Auch der Hausbaum war vom Klopfkäfer befallen und musste ersetzt werden. Ebenso die Treppe und der so genannte Stert, der lange Hebelarm, mit dem die Mühle früher in den Wind gedreht wurde. Ermöglicht und finanziert von der Stadt Kempen, wird das alte Wahrzeiche­n voraussich­tlich im Mai in neuem Glanz erstrahlen.

 ?? FOTO: PRÜMEN ?? Noch ist die Bockwindmü­hle ohne Flügel und durch einen Bauzaun gesichert. Doch ein Ende der Sanierungs­arbeiten ist abzusehen.
FOTO: PRÜMEN Noch ist die Bockwindmü­hle ohne Flügel und durch einen Bauzaun gesichert. Doch ein Ende der Sanierungs­arbeiten ist abzusehen.

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