Rheinische Post Krefeld Kempen
Schiedsmann Liebscher liebt sein Amt
Ulrich Liebscher ist Schiedsmann für den Bereich (Alt-)Willich. In Streitfällen, bei denen der Beschuldigte im Stadtteil wohnt, versucht er zu schlichten. Die Einrichtung verdiene weit mehr Bekanntheit, sagt der Ehrenamtler.
WILLICH Was genau macht eigentlich ein Schiedsmann? „Im Prinzip versuche ich, bei Streitigkeiten zwischen Nachbarn zu vermitteln. Es geht darum, außergerichtlich Einigungen zu erzielen“, sagt der kürzlich vom Rat zu einer dritten Amtszeit wiedergewählte Schiedsmann für Willich, Ulrich Liebscher. Wichtig für ihn: „Ich bin kein Richter, ich fälle kein Urteil. Ich versuche, außergerichtlich zu vermitteln, damit Streitigkeiten gelöst werden“, sagt er.
Das sei mal besser, mal schlechter möglich. „Meine Quote positiver Einigungen liegt meist zwischen 60 und 70 Prozent. Generell kann man sagen: In Schiedsverfahren führt etwa jeder zweite Fall zu einer gütlichen Einigung“, sagt er. Manchmal gebe es aber von vornherein keine Chance. „Manche sind so zerstritten, dass der Gegner gar nicht erscheint, weil er es als sinnlos erachtet. Oft sind Anwälte mit dabei, von denen einige leider nicht unbedingt deeskalieren. Vielleicht, weil sie im Gerichtsstreit mehr Geld verdienen. Solche Fälle sind wenig befriedigend“, erzählt der 59-Jährige, der auch beruflich als Streitschlichter arbeitet. Er ist Kommunikationstrainer und wird zum Beispiel bei Konflikten in Firmen gerufen.
„So bringt mir die Arbeit auch beruflich etwas. Schulungen und die Erfahrungen aus den Fällen helfen durchaus“, sagt der Ehrenamtler. Denn die Tätigkeit als Schiedsperson ist nicht bezahlt. „Nur etwas Spritgeld gibt es“, sagt er und lacht. Darum gehe es aber nicht. „Ich wollte vor zehn Jahren einfach der Gesellschaft etwas zurückgeben, und als ich hörte, dass ein Schiedsmann gesucht wird, habe ich mich gemeldet“, erzählt er. Die Entscheidung habe er nie bereut.
„Ich glaube, gerade durch Corona ist der Ton in der Gesellschaft schärfer geworden. Umso wichtiger ist es, zu vermitteln und Zwischentöne zu suchen“, sagt Liebscher. Dabei strebe er immer einen Vergleich an. „Beide Seiten einigen sich auf feste Regeln, die unterschrieben und von mir amtlich zertifiziert werden. Im Prinzip sind sie damit einklagbar“, erzählt er. Die Lösungen kämen aber nicht von ihm als Urteil – wenn dann nur als Vorschlag –, sondern den Kontrahenten.
Ein Schiedsamtsverfahren sei auch ungleich günstiger als ein Gerichtsprozess. „Wer einen Fall meldet, zahlt zunächst 70 Euro als eine
Art Kaution. Davon bekommt er üblicherweise 30 bis 40 Euro wieder. Dafür sagt der Anwalt nicht einmal guten Tag“, sagt der gebürtige Kaarster, der etwa seit der Jahrtausendwende in Willich lebt.
Die Fälle seien so unterschiedlich wie Menschen. „Zunächst muss man den Begriff des Nachbarn klären. Der ist hier weiter gefasst und ist eigentlich eher ‚Mitmensch‘“, sagt er. Meist träfen unterschiedliche Lebensentwürfe aufeinander. „Typisch kommt von beiden Seiten zweier Menschen, die sich nur angiften und das Leben schwer machen, nach 20 oder 30 Minuten der Satz ‚Ich will doch nur in Frieden leben‘. Dann hab ich spätestens einen Ansatz. Denn die Frage ist ja: Was ist
mein Frieden und was bedeutet er für meine Mitmenschen?“, betont er.
Komplizierte Fälle gebe es genug, aber auch schöne. „Ich hatte mal einen Jugendlichen, gerade 18, der war auf einer Party in Anrath. Er wollte schwer alkoholisiert nach Willich nach Hause laufen. In Anrath glaubte er sich daheim, kletterte über einen Gartenzaun und klopfte an die Terrassentür. Das dort lebende Ehepaar war noch wach und zutiefst erschrocken. Er flüchtete, wurde aber ausfindig gemacht. Die Frau wollte es nicht auf sich beruhen lassen. Ihr Ansatz war: Der Junge muss etwas lernen. Also forderte sie, dass er mit ihrem Mann gemeinsam den Zaun und das Beet wieder in Ordnung bringe. Er stimmte zu, tauchte mit einem Blumenstrauß auf, und sie verstanden sich bei der Arbeit so gut, dass sie noch Monate später regelmäßig Kontakt hatten. Das war natürlich sehr schön“, erzählt er.
Solche Fälle seien aber die Ausnahme. Oft sei ein gegenseitiges Ignorieren schon ein großer Gewinn. Das sei aber besser als Streit bis hin zu Handgreiflichkeiten. „Ich tue hier etwas für die Gesellschaft, das befriedigt“, fasst er zusammen. Schiedsverfahren solle es viel mehr geben. „Denn kaum ein Mensch ist ohne Dauerfehde mit irgendwem.“