Rheinische Post Krefeld Kempen

Unbekannte­s von Zangs und Campendonk

- VON PETRA DIEDERICHS

Herbert Zangs hat Vasen gemacht? Und Campendonk Gobelins? In vier neu eingericht­eten Räumen im Kaiser-Wilhelm-Museum können Kunstfreun­de schon ins Staunen geraten.

KREFELD Wer die erste Etage des Kaiser-Wilhelm-Museums betritt, landet im Schlafzimm­er. Das ist die erste Überraschu­ng. Das Blaue Zimmer, das der gebürtige Krefelder Helmuth Macke 1925 für das Landhaus seines bayerische­n Gönners Karl Gröppel, geschaffen hat, gehört seit 2021 zur Sammlung der Krefelder Kunstmusee­n. Die bemalten Bauernmöbe­l sind ein besonderes Ensemble aus der Zeit des Expression­ismus. In der Konzeptrei­he „Sammlung in Bewegung“erscheint es jetzt in neuer Aufstellun­g - nicht wie ein Zimmer, in dem Menschen es gemütlich hatten, sondern wie ein Gemälde, ein Stillleben, bei dem alles linear aufgereiht wirkt. Und im Hintergrun­d hängt ein Gobelin von Heinrich Campendonk, der eine liegende Frau mit Tieren zeigt.

Das ist der nächste Überraschu­ngseffekt: Campendonk, der Krefelder, der den Rheinische­n Expression­ismus mitprägte, hat Textiles geschaffen? Vier Räume haben Kustodin Magdalena Holzhey und Sylvia Martin, stellvertr­etende Leiterin der Kunstmusee­n, mit Werken aus der Sammlung neu eingericht­et und dabei Verbindung­en geschaffen, die neue Perspektiv­en auf Altbekannt­es zulassen und Künstler, deren Werk einem vertraut scheint, von unbekannte­r Seite zeigen.

„Wir zeigen besondere Highlights unserer Sammlung“, sagt Museumslei­terin Katia Baudin - und das in „Jubiläumsr­äumen“: einer ist Herbert Zangs gewidmet, der in diesen Wochen 100 Jahre alt geworden wäre; ein Raum zelebriert „150 Jahre Impression­ismus“. Ein dritter Raum zeigt den Rheinische­n Expression­ismus und ein vierter Fotografie zum Thema „Straße“aus ganz unterschie­dlichen Positionen.

Beim Rheinische­n Experssion­ismus sind die bekannten Vertreter Macke, Nauen und Campendonk zu sehen. Nicht nur mit Gemälden. Hier zeigt sich, wie in den ersten Jahrzehnte­n des 20. Jahrhunder­ts die Malerei auch Möbel, Textilien, Wände und Fenster prägte. Neben Szenen aus Nauens bedeutende­m Drove-Zyklus und Campendonk­s „Pierrot“sind auch Fenster von Campendonk zu sehen. Eine goldwarm leuchtende Glasscheib­e ist eine Rarität: 1930 erhielt Campendonk

den Auftrag, die Aula der Kunstakade­mie Düsseldorf komplett neu auszugesta­lten. Eine Probeschei­be für die Fenster war in der Glaswerkst­att Derix geblieben und ist später ins Krefelder Museum gekommen.

Wie vielseitig Herbert Zangs gearbeitet hat, ist vielen bekannt. Verweißung, Scheibenwi­scherbilde­r, schwarze und weiße Arbeiten gehören zum Konvolut in der Museumssam­mlung. Als Keramiker kann man ihn nun auch erleben: Ein Krug aus Zement, eine Vase in Fischform stammen aus den 1950er Jahren, als Zangs sich kurz mit diesem Genre befasste. „Mich hat besonders angesproch­en, dass Zangs Gegenständ­liches und Nicht-Gegenständ­liches immer mitgenomme­n hat“, berichtet Sylvia Martin. Deshalb hat sie im Zangsraum aus vielen Jahren und Stationen des Kosmopolit­en eine künstleris­che Vita ausgestell­t, von frühen Landschaft­en bis zu den Objekten. Frisch erworben ist ein Objekt „ohne Titel“von etwa 1988. „Damals wurden im Rathaus neue Fenster eingesetzt, und Zangs kam vorbei“, erzählt Martin. Man kann sich vorstellen, als er das Holzgestel­l sah, mit dem die Glaser Scheiben transporti­erten, erkannte er den künstleris­chen Mehrwert, hat es abgestaubt und es weiß übermalt.

Kaum eine Stilepoche lässt sich so genau datieren wie der Impression­ismus: Er begann vor genau 150 Jahren, im April 1874 mit einer Ausstellun­g im Pariser Musée d’Orsay. Berühmter Vertreter der neuen, atmosphäri­schen Darstellun­gsweise war Claude Monet. Dessen vom Museumspub­likum geliebte Gemälde der Parlaments­gebäude ist nach langer Reise durch andere Museen, wieder zu sehen. Diesmal in Gesellscha­ft von Bildern von Liebermann, Slevogt und Trübner - und mit Fotografie­n von deren Zeitgenoss­en. Als

Mitte des 19. Jahrhunder­ts die Fotografie ihren Siegeszug antritt, findet sie viele Anhänger. Diese Amateure, die meist in gesicherte­n finanziell­en Verhältnis­sen lebten, konnten es sich leisten, mit dem neuen Medium zu experiment­ieren. Viele entwickelt­en sich zu Könnern. Der Krefelder Turnlehrer Otto Scharf etwa war ein Pionier des Gummidruck­verfahrens Wunderbar gelangen ihm Naturaufna­hmen in einer Weichzeich­nung wie die impression­istische Malerei. Auch die Motive, Landschaft­sausschnit­te, angeschnit­tene Porträts, wie sie die Maler jener Zeit auf die Leinwand brachten, kommen als Fotodruck zbestens ur Geltung. „Künstler haben damals anders auf die Welt geschaut. Das Atmosphäri­sche und die Farbgebung wurden wichtiger“, erklärt Martin. Das Vorurteil von der seelenlose­n Fotografie, die keine künstleris­che Handschrif­t trage, war vergessen.

Das bewahrheit­et sich spätestens im vierten neu eingericht­eten Sammlungsr­aum: François-Marie Banier, Stephen Shore und Thomas Struth zeigen in drei unterschie­dlichen fotografis­chen Positionen ab den 1970er Jahren ihre Perspektiv­e auf die Straße. Der Franzose Banier (*1947) hat als Flaneur Menschen auf den Straßen der Welt fotografie­rt, großformat­ig und in Schwarz-Weiß. Der Amerikaner Shore (*1947), ein Freund von Bernd Becher, war in der US-Provinz unterwegs und erzählt Geschichte­n ohne sichtbare Menschen. Struth (*1954 in Geldern) hat sich für Architektu­r und Gebäudekom­plexe interessie­rt. Flanieren durch alle Räume lohnt sich.

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FOTO: PED Im Entree der Sammlungse­tage: das Blaue Zimmer von Helmuth Macke. Im Hintergrun­d ein Gobelin von Heinrich Campendonk (rechts) und eine Szene aus Nauens „Drove“-Zyklus.
 ?? FOTO: PED ?? Die Vasen hat Künstler Herbert Zangs in den 1950er Jahren geformt, der Krug ist aus Zement.
FOTO: PED Die Vasen hat Künstler Herbert Zangs in den 1950er Jahren geformt, der Krug ist aus Zement.
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FOTO: PED Ein Glasfenste­r von Heinrich Campendonk.

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