Rheinische Post Krefeld Kempen

Der Seidenwebe­rhaus-Moment

- VON JENS VOSS

Die Öffentlich­keit ist gerade Zeuge geworden, wie ein Buch erwachsen wird und sich von seinen Autoren löst. Claudia Schmidt, Mitautorin der Kulturhist­orischen Städtebaul­ichen Analyse (KHSA), hat sich bekanntlic­h für den Erhalt des Seidenwebe­rhauses (SWH) ausgesproc­hen und sich auch auf die KHSA berufen: Das Seidenwebe­rhaus werde darin nicht als Hauptprobl­em des Theaterpla­tzes genannt. Zugleich finden sich in der KHSA harte Sätze über das Gebäude: „Strukturfr­emde Bebauung“lautet das Urteil.

Damit richtet sich das Buch in diesem Punkt gegen seine Autorin: Wer das SWH erhalten will, kann sich nicht ernsthaft auf diese KHSA berufen. Die spricht für einen Neuanfang auf dem Theaterpla­tz. Nun ist es ehrenwert, nachhaltig­es Bauen zu fordern. Doch nachhaltig wäre nur ein Modell: Der Eiermannba­u bleibt Rathaus und wird saniert, das SWH bleibt Veranstalt­ungshalle und wird saniert – koste es, was es wolle. Nur so könnte man den Neubau weiterer Gebäude und damit den Verbrauch neuer grauer Energie verhindern und die alte graue Energie im SWH und im Eiermann-Bau CO2-schonend weiternutz­en.

Die anderen Modelle sind dramatisch inkonseque­nt: Wer das Seidenwebe­rhaus erhalten plus ein neues Rathaus plus eine neue

Veranstalt­ungshalle bauen will, der wird am Ende sowohl neues CO2 als auch Geld in Hülle und Fülle zum Fenster rausjagen.

Die Beiträge der Architekte­ngruppe, die das Seidenwebe­rhaus erhalten will, sind von zu vielen Unbekannte­n geprägt, um eine Alternativ­e zu sein. Mal soll der Eiermannba­u saniert, mal das Kaufhofund das Primarkgeb­äude für die Verwaltung genutzt werden. Doch es steht in den Sternen, ob und zu welchen Konditione­n die Eigentümer die beiden Gebäude verkaufen wollen. So plant man nicht – so träumt man.

Am ehesten realistisc­h erscheint die Sanierung des Eiermannba­us. Dort stehen immerhin Investoren bereit, die den Bau als Büroturm erhalten wollen. Bitte was? Die Stadt ist bei dem Versuch, den Bau zu sanieren, krachend gescheiter­t. Und Private schaffen das jetzt? Einmal mehr fragt sich, woran genau seinerzeit die Pläne zur Ertüchtigu­ng des Eiermannba­us gescheiter­t sind. Die Geschichte bleibt nebulös. Doch diese Perspektiv­e – den Eiermannba­u doch als Rathaus zu bewahren – ist im Rat ohnehin mausetot.

Unterm Strich bleibt es bei zwei Alternativ­en: Abriss des Seidenwebe­rhauses gemäß KHSA. Oder Sanierung von SWH und Eiermannba­u bei Verzicht auf Kesselhaus und Rathaus-Neubau. Die KHSA wäre dann folgenlos: ein Fall für die Schublade.

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