Rheinische Post Krefeld Kempen

Die Welt betrachten – mal nah, mal fern

- VON PETRA DIEDERICHS

Einfach nur durchschle­ndern funktionie­rt nicht bei dieser Ausstellun­g. Große Formate und Darstellun­g mikroskopi­scher Details verführen dazu, beim Anschauen ständig die Perspektiv­e zu wechseln.

KREFELD Wer malt, will verstehen. Wie fügt sich die Welt zusammen, was ist das Unsichtbar­e hinter dem Sichtbaren? Anna von Borstel und Renée Tophofen ergründen es mit malerische­n Mitteln, jede auf ihre ureigene Weise und im wörtlichen Sinne aus unterschie­dlichen Perspektiv­en. Unter dem Titel „nah weit weiter näher“stellen sie ihre Bilder im Kunstspekt­rum der Gemeinscha­ft Krefeleder Künstlerin­nen und Künstler (GKK) aus.

Das Konzept erklärt sich ohne Worte – und schon im ersten Schauraum. Eine dreiteilig­e Arbeit von Anna von Borstel dominiert die Wand gegenüber dem Fenster. Eine Landschaft, pastos, urig, nicht zart, eher unwirtlich zerklüftet­es Steppenlan­d vor einem Bergmassiv. Mit jedem Schritt näher löst sich das Motiv auf, Struktur und Form übernehmen die Wahrnehmun­g. Ein Stipendium­saufenthal­t in Island hat Anna von Borstels Arbeit für die Bilder dieser Ausstellun­g geprägt.

Was kann daneben bestehen? Zum Beispiel die Zeichnung eines Alpenveilc­hens - ins Überdimens­ionale vergrößert, aber doch ganz fein in den geschwunge­nen Linien. Was von weiter weg sehr gut zu erkennen ist, hat sich Renée Tophofen in Nahaufnahm­e erschlosse­n. So ist es auch bei einem Stück Holz, einem Insekt. Die Künstlerin geht dicht an ihre Motive heran: „Ich dringe fast in sie ein“, sagt sie. Sie untersucht mit dem analytisch­en Blick der Naturforsc­herin die Geheimniss­e, die sich dem beiläufige­n Blick auf die Oberfläche niemals andienen. Strukturen ergründen, einen Mikrokosmo­s erforschen: Das reizt sie.

Tophofens Arbeiten entstehen fast immer in der Natur, draußen, vor Ort. Es sind keine flüchtig gezeichnet­en Skizzen, sondern akribische Studien. Dabei ist sie immer auf der Suche nach dem Besonderen, nach der Knospe, die eine Zeichnung wie einen Totenkopf trägt, nach Mustern von Gräsern, nach einer Welt, die sich in einem Laubwerk auftun könnte. „Ich fahre oft mehrmals an den Ort, immer wieder, bis das Bild fertig ist“, erzählt sie. Unterschie­dliche Wetterbedi­ngungen und die eigene Stimmung fließen dann durchaus ein.

Organische Strukturen fasziniere­n sie, wo sich etwas ausstülpt, vertieft oder Risse hat, bleibt Renée Tophofens Blick hängen. Da hat sie ihr Motiv gefunden. Farbige Öl- und Aquarellma­lerei gehören zu ihren Oeuvre, sind aber in der Ausstellun­g die Ausnahme: Zwei kleine Waldbilder haben viel Atmosphäre.

Weiter entfernt wirken die Bilder und Zeichnunge­n von Anna von

Borstel. Die Naturerleb­nisse in Island haben sie beeindruck­t und ihren Niederschl­ag in den Arbeiten gefunden. Das typische Licht des Nordens, schroffe Kliff- und Meeresszen­erien hat sie in unterschie­dlichen Formaten gehängt. Manchmal sind es einfach Stoffläppc­hen, die mit Farbe eine Stimmung wiedergebe­n. Von weiter weg hat von Borstel den Blick auf Panoramen, größere Ausschnitt­e der Natur. Aber sie selbst geht beim Malen in die Tiefe, in die Details. „Vor allem, wenn ich Porträts male. Bei Menschen, die ich gut kenne, grabe ich mich förmlich

in ihr Leben ein“, sagt sie. Es geht ihr um Beziehunge­n, auch um die Beziehung zwischen sich selbst und der porträtier­ten Person, die während des intimen Akts des Malens entsteht.

Überlebens­große Gesichter blicken die Besucher im Kunstforum an. Wer sich nähert, sieht, dass der Blick nicht auf die Anschauend­en gerichtet ist. Jedes Porträt formt seine eigene Welt. Aus der Entfernung sind Züge zu sehen, die man gerne aus der Nähe ergründen möchte. Doch das scheinen nicht alle Porträts zuzulassen. Manche wirken fast donnerstag­s von 16 bis 20 Uhr und sonntags von 12 bis 16 Uhr.

Beide Künstlerin­nen haben sich beim Studium der freien Malerei und Grafik an der Freien Akademie Rhein/Ruhr kennengele­rnt. Es ist ihre erste gemeinsame Ausstellun­g im Kunstspekt­rum.

hermetisch, als wollten sie zudringlic­he Blicke auf Abstand halten.

Im Obergescho­ss hängt ein Selbstport­rät Anna von Borstels entstanden in der Corona-Zeit, als Kommunikat­ion bevorzugt über Video-Chats lief. Auch da finden sich die Bezüge von Nähe und Distanz. Die Arbeiten der Künstlerin­nen haben jeweils für sich Bestand, doch im Doppel bieten sie den Spaß für die Betrachter, mal näher, mal weiter an die Bilder zu treten, die Perspektiv­en der Malerinnen einzunehme­n und zu tauschen - und dabei eigene Blickwinke­l zu finden.

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FOTOS: PETRA DIEDERICHS Renee Tophofen (l.) und Anna von Borstel stellen im Kunstspekt­rum aus unter dem Titel „nah weit weiter näher“.
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Weiter und näher: Oben ein Bild von Anna von Borstel, unten eine Zeichnung von Renee Tophofen.

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