Rheinische Post Krefeld Kempen
Die Welt betrachten – mal nah, mal fern
Einfach nur durchschlendern funktioniert nicht bei dieser Ausstellung. Große Formate und Darstellung mikroskopischer Details verführen dazu, beim Anschauen ständig die Perspektive zu wechseln.
KREFELD Wer malt, will verstehen. Wie fügt sich die Welt zusammen, was ist das Unsichtbare hinter dem Sichtbaren? Anna von Borstel und Renée Tophofen ergründen es mit malerischen Mitteln, jede auf ihre ureigene Weise und im wörtlichen Sinne aus unterschiedlichen Perspektiven. Unter dem Titel „nah weit weiter näher“stellen sie ihre Bilder im Kunstspektrum der Gemeinschaft Krefeleder Künstlerinnen und Künstler (GKK) aus.
Das Konzept erklärt sich ohne Worte – und schon im ersten Schauraum. Eine dreiteilige Arbeit von Anna von Borstel dominiert die Wand gegenüber dem Fenster. Eine Landschaft, pastos, urig, nicht zart, eher unwirtlich zerklüftetes Steppenland vor einem Bergmassiv. Mit jedem Schritt näher löst sich das Motiv auf, Struktur und Form übernehmen die Wahrnehmung. Ein Stipendiumsaufenthalt in Island hat Anna von Borstels Arbeit für die Bilder dieser Ausstellung geprägt.
Was kann daneben bestehen? Zum Beispiel die Zeichnung eines Alpenveilchens - ins Überdimensionale vergrößert, aber doch ganz fein in den geschwungenen Linien. Was von weiter weg sehr gut zu erkennen ist, hat sich Renée Tophofen in Nahaufnahme erschlossen. So ist es auch bei einem Stück Holz, einem Insekt. Die Künstlerin geht dicht an ihre Motive heran: „Ich dringe fast in sie ein“, sagt sie. Sie untersucht mit dem analytischen Blick der Naturforscherin die Geheimnisse, die sich dem beiläufigen Blick auf die Oberfläche niemals andienen. Strukturen ergründen, einen Mikrokosmos erforschen: Das reizt sie.
Tophofens Arbeiten entstehen fast immer in der Natur, draußen, vor Ort. Es sind keine flüchtig gezeichneten Skizzen, sondern akribische Studien. Dabei ist sie immer auf der Suche nach dem Besonderen, nach der Knospe, die eine Zeichnung wie einen Totenkopf trägt, nach Mustern von Gräsern, nach einer Welt, die sich in einem Laubwerk auftun könnte. „Ich fahre oft mehrmals an den Ort, immer wieder, bis das Bild fertig ist“, erzählt sie. Unterschiedliche Wetterbedingungen und die eigene Stimmung fließen dann durchaus ein.
Organische Strukturen faszinieren sie, wo sich etwas ausstülpt, vertieft oder Risse hat, bleibt Renée Tophofens Blick hängen. Da hat sie ihr Motiv gefunden. Farbige Öl- und Aquarellmalerei gehören zu ihren Oeuvre, sind aber in der Ausstellung die Ausnahme: Zwei kleine Waldbilder haben viel Atmosphäre.
Weiter entfernt wirken die Bilder und Zeichnungen von Anna von
Borstel. Die Naturerlebnisse in Island haben sie beeindruckt und ihren Niederschlag in den Arbeiten gefunden. Das typische Licht des Nordens, schroffe Kliff- und Meeresszenerien hat sie in unterschiedlichen Formaten gehängt. Manchmal sind es einfach Stoffläppchen, die mit Farbe eine Stimmung wiedergeben. Von weiter weg hat von Borstel den Blick auf Panoramen, größere Ausschnitte der Natur. Aber sie selbst geht beim Malen in die Tiefe, in die Details. „Vor allem, wenn ich Porträts male. Bei Menschen, die ich gut kenne, grabe ich mich förmlich
in ihr Leben ein“, sagt sie. Es geht ihr um Beziehungen, auch um die Beziehung zwischen sich selbst und der porträtierten Person, die während des intimen Akts des Malens entsteht.
Überlebensgroße Gesichter blicken die Besucher im Kunstforum an. Wer sich nähert, sieht, dass der Blick nicht auf die Anschauenden gerichtet ist. Jedes Porträt formt seine eigene Welt. Aus der Entfernung sind Züge zu sehen, die man gerne aus der Nähe ergründen möchte. Doch das scheinen nicht alle Porträts zuzulassen. Manche wirken fast donnerstags von 16 bis 20 Uhr und sonntags von 12 bis 16 Uhr.
Beide Künstlerinnen haben sich beim Studium der freien Malerei und Grafik an der Freien Akademie Rhein/Ruhr kennengelernt. Es ist ihre erste gemeinsame Ausstellung im Kunstspektrum.
hermetisch, als wollten sie zudringliche Blicke auf Abstand halten.
Im Obergeschoss hängt ein Selbstporträt Anna von Borstels entstanden in der Corona-Zeit, als Kommunikation bevorzugt über Video-Chats lief. Auch da finden sich die Bezüge von Nähe und Distanz. Die Arbeiten der Künstlerinnen haben jeweils für sich Bestand, doch im Doppel bieten sie den Spaß für die Betrachter, mal näher, mal weiter an die Bilder zu treten, die Perspektiven der Malerinnen einzunehmen und zu tauschen - und dabei eigene Blickwinkel zu finden.