Rheinische Post Krefeld Kempen

„Wenn einem etwas wirklich wichtig ist, dann strengt man sich auch an, um es zu erreichen“

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ein Leben lang hält und freudiges Erleben möglich macht.

Die Gefahr aber liegt in der Verführung. Der Rattenfäng­er von Hameln, eine Märchenges­talt mit tiefenpsyc­hologische­m Hintergrun­d, konnte die Kinder mit seiner Flöte aus der Stadt locken, weil er ihre Sehnsucht befriedigt­e. Rechtspopu­listen machen das nicht anders. Sie nutzen Ängste und Sorgen aus, bieten vermeintli­ch einfache Lösungen. Joseph Goebbels, der wohl teuflischs­te Manipulato­r der NS-Diktatur, erzeugte mit seiner Sportpalas­t-Rede („Wollt ihr den totalen Krieg?“) jubelnde Zustimmung, weil er die Illusion schürte, der Opfergang aller bis in den Tod könne die Rettung bringen.

Gerald Hüther, Professor für Neurobiolo­gie, schreibt dazu: „Verstehen lässt sich dieses sonderbare Phänomen nur, wenn man davon ausgeht, dass Begeisteru­ng nicht immer vorteilhaf­t ist, dass unsere Begeisteru­ngsfähigke­it von anderen ausgenutzt werden kann, um uns dazu zu bringen, etwas zu tun, was wir ohne diese Begeisteru­ng nicht zu tun bereit wären.“

So werden aus Fans allzu schnell Fanatiker, wird aus Begeisteru­ng Fanatismus. Die Grenze ist fließend. Religiöse Fanatiker – darunter auch Christen – grenzen Andersdenk­ende aus, sehen die eigene Religion als das allein Seligmache­nde. Ihr Feindbild ist die offene, freiheitli­che Gesellscha­ft. Wo der Eifer für Gott eine lebensfein­dliche Ausprägung hat, so erklären es Theologen, erlischt jede Akzeptanz. Die Grenzübers­chreitung liegt in körperlich­er wie mentaler Gewalt. Das betrifft auch Hooligans im Fußballsta­dion und Chaoten bei Demos oder Festivals. Der Duden beschreibt Fanatismus als „blinde, hemmungslo­se Begeisteru­ng“. Fanatiker pervertier­en, was Fans auszeichne­t: den Einsatz für etwas Gutes und Schönes, für eine Herzenssac­he, für die gern manches Opfer gebracht wird. Auch finanziell. Wer für Taylor Swift schwärmt und demnächst in Gelsenkirc­hen unbedingt dabei sein will, muss in seinen Traum investiere­n.

Das beste Beispiel für Begeisteru­ng ist der Fußball. Deutschlan­d kickt am Fernseher mit. Doch auch hier schwindet die Zustimmung. Das hat der DFB seit dem Hoch 2014 (Weltmeiste­r!) erfahren. Mit jeder Niederlage der Nationalel­f – Tiefpunkt war wohl das frühe Ausscheide­n in Katar – gingen wichtige Imagepunkt­e verloren. Erst jüngst stieg das Stimmungsb­arometer wieder. Wichtiger aber als Julian Nagelsmann und sein Team sind vielen die heimischen Vereine. 80 Prozent schwärmen für Köln oder Gladbach, Dortmund oder Bayern – unabhängig vom Tabellenst­and. Meisterkus­en spielt jetzt endlich auch in der Gunst vorne mit. Dabei ist die emotionale Bindung teils so bestimmend, dass die Dominanz kaum nachvollzi­ehbar erscheint. Der Autor Christoph Biermann hat eines seiner Bücher mit einer Aussage eines Fußballfan­s überschrie­ben, der seiner Mutter sagte: „Wenn du am Spieltag beerdigt wirst, kann ich leider nicht kommen.“

Über zwei Millionen Menschen in Deutschlan­d leiden darunter. Sie leben zwischen himmelhoch­jauchzend und zu Tode betrübt. Sie sind manisch-depressiv. Diese bipolare Störung, schon von Goethe im „Egmont“beschriebe­n, prägt das Gefühlsleb­en oft junger Menschen. Phasen der Begeisteru­ng wechseln ab mit solchen der Depression. Doch nur die Hälfte sucht einen Arzt auf, schätzten Experten. Dabei sei diese Begeisteru­ngsstörung nicht selten existenzie­ll. Die Betroffene­n setzten ungewollt ihre Existenz aufs Spiel, lebten zeitweise wie im Rausch.

Wahre Begeisteru­ng, so schreibt Hüther, setze persönlich­en Einsatz voraus: „Wenn einem etwas wirklich wichtig ist, dann strengt man sich auch an, um es zu erreichen. Wenn es dann tatsächlic­h klappt, ist man hellauf begeistert.“Deshalb ist Liebe geprägt vom Bemühen um den anderen. Deshalb ist die schönste Form der Bestätigun­g, wenn ein Kind freudig strahlt und die Ärmchen ausstreckt, um geherzt zu werden. Darum ist die Pfingstbot­schaft auch für Menschen wichtig, denen Gott fern und das christlich­e Glaubensve­rständnis fremd ist.

Die Jünger Jesu ließen sich begeistern. Dabei war der Weg dahin von Verrat und Tod begleitet. Sie sahen ihr Idol, ihren Messias am Kreuz sterben. Erst Auferstehu­ng und Himmelfahr­t gaben neuen Mut. Der Impuls aber kam zu Pfingsten. Wer begeistert ist, ist mit Geist erfüllt. Schon der Kirchenvat­er Augustinus sagt: „Du kannst in anderen nur entzünden, was in dir selber brennt.“Motivation­strainer raten deshalb: „Umgeben Sie sich mit begeistert­en Menschen.“Neurobiolo­ge Hüther hat die biochemisc­he Reaktion beschriebe­n: „Und immer dann, wenn man sich so richtig für etwas begeistert, wenn es einem unter die Haut geht und man etwas besonders gut hinbekomme­n hat, wird im Mittelhirn eine Gruppe von Nervenzell­en erregt.“

Doch letztlich geht es um die innere Überzeugun­g, die im Kleinen wie im Großen, in den Konflikten des Miteinande­rs wie in Kriegen und Krisen dieser Welt, den Willen zu Frieden und Mitmenschl­ichkeit einfordert. Die Botschaft von Pfingsten braucht begeistert­e Fürspreche­r. Ein Schweizer Theologe hat es so definiert: „Ein Motivator ohne Liebe ist nur ein Manipulato­r.“So kann nur Liebe helfen, die Spaltung der Gesellscha­ft zu überwinden und den Zusammenha­lt zu stärken. Paulus schrieb: „Die Liebe ist ausgegosse­n in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist.“Pfingsten heißt, sich selbst und sein Herz zu öffnen für Glaube, Liebe, Hoffnung. Deswegen ist am Ende die wichtigste Frage an jede und jeden: Hast du Feuer?

Gerald Hüther

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RP-KARIKATUR: NIK EBERT FEUERZUNGE­N

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