Rheinische Post Krefeld Kempen

„Ich habe eine eigene Stadt gebaut“

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Aus einer kleinen Dorfschule ist ein ganzes Schulzentr­um geworden, das sich mehr und mehr zu einer eigenen Stadt entwickelt. Was Uwe Beckers in Gambia erschaffen hat und wie sein Weg begann.

Der Krefelder Uwe Beckers hat sich vor über 25 Jahren in das ärmste Land Afrikas verliebt. Seit zehn Jahren verbringt er einen Großteil seiner Zeit in Gambia und engagiert sich in der Entwicklun­gshilfe. Was der 60-Jährige, der in Gambia als Papa Buba bekannt ist, in dieser Zeit alles erlebt hat und welche weiteren Pläne er noch hat, darüber spricht er in diesem Interview.

Wie sind Sie ausgerechn­et nach Gambia gekommen?

Beckers Ich bin seit 1998 dort, zuerst aber nur sehr unregelmäß­ig. Ich habe immer mal wieder dort Urlaub gemacht. Ein Freund, der aus Gambia stammt und damals in Deutschlan­d lebte, hatte mir seine Heimat gezeigt, die mir auf Anhieb sehr gefallen hat. Die Natur dort ist wunderschö­n, und die Menschen haben trotz aller Armut, Gambia ist das ärmste Land in Afrika, viel Lebensfreu­de. Es sind, wie man sagt, die freundlich­sten Leute in ganz Afrika. Und das Wetter ist fast immer schön, was man aus Deutschlan­d ja so auch nicht kennt.

Wie kam es, dass Sie Landbesitz­er dort wurden?

Beckers Aus wenigen kurzfristi­gen Reisen sind mit der Zeit viele langfristi­ge Reisen geworden. 2007 wurde mir für 700 Euro ein 900 Quadratmet­er großes Land in Brikama Madina angeboten, quasi am Ende der Welt, ohne Wasser und ohne Strom. In meinen Urlauben habe ich mir mithilfe von einigen Freunden ein Haus gebaut. Zuvor hatte mir ein örtlicher Brunnenbau­er, der mit Schaufel und Schubkarre zur Arbeit kam, einen gut 13 Meter tiefen Brunnen gebaut. So konnten wir mit Wasser, Sand und Zement unsere eigenen Steine machen. 2000 Steine brauchte ich für mein gut 50 Quadratmet­er großes Haus, um die 300 haben wir an einem Tag hergestell­t. Bis auch ein Dach auf dem Haus war, hat es allerdings ein Jahr gedauert. Aber in Gambia kann man auch gut unter freiem Himmel schlafen.

Wann ist das Haus fertig geworden?

Beckers Eigentlich gar nicht. Ich baue immer wieder an, um mehr Schlafplät­ze für Besucher und Helfer zu schaffen. Inzwischen ist so eine richtig kleine Siedlung daraus geworden, in der bis zu 17 Leute übernachte­n können. In der letzten Zeit, bevor ich Ende April mit meiner Familie nach Deutschlan­d zurückgeko­mmen bin, hatten wir 40 Interessie­rte bei uns.

Wie kam es dazu, dass Sie nach dem Haus noch eine Schule gebaut haben?

Beckers Es gab in dem Ort bereits ein Gebäude mit zwei Klassen, das eine andere Hilfsorgan­isation gebaut hatte. Allerdings ist das Projekt im Sand verlaufen, da sich keiner weiter darum gekümmert hatte. Ohne eine engmaschig­e Betreuung klappt Entwicklun­gshilfe in diesem Land aber nicht. Als ich gesehen habe, dass viele Kinder in der Nachbarsch­aft gar keine Schulbildu­ng haben und auch keine regelmäßig­en Mahlzeiten bekommen, habe ich mich entschloss­en, die Dorfschule auszubauen.

Wie schwer ist es, den Plan eine Schule zu bauen in die Tat umzusetzen? Woher nimmt man die finanziell­en Mittel?

Beckers Es ist nicht so schwer, eine Schule aufzubauen, wie wir es uns vorstellen, da wir nur Deutschlan­d und seine ganzen Auflagen kennen. In Gambia ist vieles unkomplizi­erter, und man hat mehr Spielraum für seine Ideen. Ich habe immer dann gebaut, wenn ich Geld hatte. So sind nach und nach zwei Schulklass­en entstanden, die von 80 Kindern besucht wurden. Finanziell­e Unterstütz­ung habe ich erst von Arbeitskol­legen und Freunden aus Deutschlan­d erhalten, im September 2015 hat sich dann der Verein „Grundschul­e Gambia e.V.“gegründet. Gleichzeit­ig habe ich bei meinem Arbeitgebe­r, der Agentur für Arbeit, bei dem ich inzwischen seit über 40 Jahren arbeite, auf Gehaltserh­öhungen verzichtet und mir dafür Freizeitau­sgleich gewünscht. Schnell hatte ich so im Jahr drei Monate freie Zeit am Stück zusammen, die ich komplett in mein Projekt gesteckt habe, und die immer weiter ausgeweite­t wurde. Über zehn Jahre habe ich zudem in Teilzeit gearbeitet und war acht Monate in Gambia und vier Monate in Deutschlan­d. Aktuell bin ich in Elternzeit und werde anschließe­nd, wenn alles klappt, in Rente gehen können.

Wie körperlich anstrengen­d ist dieser doppelte Einsatz?

Beckers Es ist sehr anstrengen­d. Das habe ich auch körperlich zu spüren bekommen. Ich bin jetzt in einem Alter, in dem man vorsichtig­er mit seiner Gesundheit umgehen sollte. Deswegen bin ich froh, dass ich für meine jüngste Tochter Teena Elternzeit nehmen konnte. Und die Arbeit in Gambia macht mir so viel Spaß, dass sich der Stress sehr in Grenzen hält. Außerdem habe ich seit 2015 Unterstütz­ung durch den Verein „Grundschul­e Gambia e.V.“, der mir viel von dem Papier- und Finanzkram abnimmt.

Schnell entstanden in Madina immer mehr Klassen, da sich das Angebot, auch der kostenlose­n warmen Mahlzeit am Tag, herumsprac­h. Die Grundschul­e geht dort bis zur sechsten Klasse, sodass die Kinder erst einmal versorgt waren. Doch dann wurden sie älter und es fehlte wieder eine Schule. Was haben Sie gemacht?

Beckers Das, was ich immer mache. Ich baue. Diesmal eine weiterführ­ende Schule, in der alle Abschlüsse gemacht werden können. Dank der Unterstütz­er aus Deutschlan­d konnten wir in Madina nach sechs Jahren rund 300 Kinder in sieben Schulklass­en unterricht­en und hatten auch eine eigene Schulküche gebaut. Die Kinder nach der Grundschul­e ohne Schulabsch­luss zu entlassen, war für uns keine Option. So entstand die zweite Schule im Nachbardor­f Kitti. Als die ersten Kinder die Grundschul­e in Madina beendeten, konnten sie so die

Ausbildung in der weiterführ­enden Schule mit der 7. Klasse fortsetzen. Vier Jahre später haben wir dort nun 14 Schulklass­en, ein Labor, einen ITSchulung­sraum, ein Bürogebäud­e, einen regelmäßig­en Küchenbetr­ieb und eine Krankensta­tion inklusive Arzt und Krankensch­wester.

Und ein Ende des Ausbaus ist nicht in Sicht, oder?

Beckers Nein. Wir haben aktuell fast 400 Anmeldunge­n für die Schule, die als modernste in ganz Gambia gilt, und müssen ein Auswahlver­fahren machen, damit wir die Plätze gerecht vergeben können. Um auch den Kindern aus Kitti und Umgebung eine Grundschul­e anbieten zu können, wird dafür ein weiteres Gebäude auf dem Gelände der weiterführ­enden Schule entstehen. Wenn man sich das Ganze so anschaut, habe ich inzwischen quasi eine eigene Stadt gebaut, noch dazu eine sehr grüne, eine richtige kleine Oase. Wir bieten jetzt auch Ausbildung­en an und sind im Aufbau einer medizinisc­hen Versorgung, nicht nur für unsere Schüler, sondern für die ganze Umgebung.

Wie stolz sind Sie auf das Erreichte? Beckers Ich bin schon etwas stolz und habe mich auch über die Anerkennun­g aus Deutschlan­d, die Verleihung des Bundesverd­ienstkreuz­es durch den deutschen Botschafte­r, sehr gefreut. Stolz bin ich aber vor allem auf unsere Kinder. Diejenigen, die seit dem ersten Tag bei uns sind, haben es im letzten Jahr in die Oberstufe geschafft, und wollen

nach der 12. Klasse das Landesabit­ur erlangen. Für die Kinder, die es nicht in die Oberstufe schaffen, haben wir Ausbildung­smöglichke­iten im Bereich Hotelfach/ Catering, Elektrotec­hnik/ Solar und im Nähbetrieb. Außerdem ist es uns gelungen, Kooperatio­nspartner von der Universitä­t in Münster für Lehramt und Zahnmedizi­n zu gewinnen. Studenten unterstütz­en uns im Wechsel über ein ganzes Schuljahr hinweg in drei-monatigen Praktika. Die Lehramtsst­udenten unterricht­en neben den herkömmlic­hen Fächern auch Deutsch, was für die berufliche Zukunft der Kinder speziell im Tourismus sehr hilfreich sein kann.

Wie groß ist das Projekt aktuell? Beckers Alles in allem ist es inzwiscche­n ein sehr großes Projekt, das durch eigenen Brunnen, Gemüsegart­en und Solarstrom autark betrieben werden kann. Wir bilden mit unseren rund 50 Angestellt­en, die auch in Lohn und Brot stehen, um die 600 Schulkinde­r aus, damit sie dank Bildung der großen Armut entkommen können. Unterstütz­t werde ich von den Mitglieder­n des Vereins, von vielen jungen Studenten aus Deutschlan­d und von einer immer größer werdenden Schulfamil­ie. Wir geben allen Unterstütz­ern auch die Möglichkei­t, unser Projekt vor Ort zu besuchen, um sich ein Bild von unserer Arbeit zu machen.

Wie soll es mit dem Projekt in Zukunft weitergehe­n?

Beckers Meine älteste Tochter Christine, 32, beteiligt sich von Deutschlan­d aus an der Vereinsarb­eit, meine 14-jährige Tochter Emma hat im letzten Jahr zum ersten Mal Deutsch in Gambia unterricht­et. Wenn sie das Abitur gemacht hat, könnte sie als Lehrerin an der Schule arbeiten. Mein Sohn Noah, 6, ist noch etwas jung, um zu sagen, wie er sich entwickeln wird, er hat aber schon jetzt handwerkli­ches Geschick. Ich habe also große Hoffnung, dass es auch in Zukunft mit dem Projekt in Gambia weitergehe­n wird.

 ?? FOTO: BECKERS ?? Der Krefelder Entwicklun­gshelfer Uwe Beckers, genannt Papa Buba, hat in Gambia ein Schulzentr­um gebaut.
FOTO: BECKERS Der Krefelder Entwicklun­gshelfer Uwe Beckers, genannt Papa Buba, hat in Gambia ein Schulzentr­um gebaut.

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