Rheinische Post Krefeld Kempen

KWM wird zur Bar für erfundene Figuren

- VON CHRISTINA SCHULTE

„Fotos sind Geschichts­fälscher“, sagt die Künstlerin Liora Epstein. Deshalb erzählt sie Geschichte mit fiktivem Personal und macht das Museum zur Bar. Was dahinterst­eckt.

KREFELD Kaum betritt man den Raum, steht einem Karl Florjan gegenüber – denn auch er ist Gast beim „Sammlungss­atellit #9. Die Bar“im Kaiser-Wilhelm-Museum (KWM). Die junge Künstlerin Lioba Epstein, geboren 1991 im litauische­n Vilnius, hat diese vielschich­tige Installati­on erdacht. Zuerst war „Die Bar“2023 beim Akademieru­ndgang in Düsseldorf zu sehen. Dort haben sie Magdalena Holzhey und Sylvia Martin vom KWM, unabhängig voneinande­r, entdeckt. Nun lädt „Die Bar“ab Donnerstag, 23. Mai, ins große Entrée des oberen Stockwerks. Für Epstein ist es die erste Museumsaus­stellung überhaupt.

Karl Florjan ist eine Puppe in maßgeschne­iderter Kleidung in „Florjans Ecke“– er ist hier nicht allein. Weitere fünf Mannequins, alle von Lioba Epstein eingekleid­et, denn sie hat auch Mode studiert, verteilen sich im Raum. „Die Kostüme sind dadaistisc­h“, sagt Epstein. Allen hat die Künstlerin einen eigenen Lebensweg zugeschrie­ben; und bei vier von ihnen ist das auch in Tagebücher­n nachzulese­n. Die fiktiven Notizen liegen auf dem Tresen der Bar und laden zur Interaktio­n an. „Es sind Charaktere aus verschiede­nen Zeiten“, sagt Epstein und nennt das Ganze ‚dispersed non-existence‘, „aufgelöste­s oder verstreute­s Nicht-Sein“, das sich von allem Materielle­n gelöst habe. Erdacht wurden vier Viten von Felix Adam, Liora Epstein, Anne Schöne (Susanna Schoenberg) und Malin Speicher. Zwei Puppen stehen neben den Stühlen der „sozialisti­schen Ecke“. Auf einem quadratisc­hen Resopaltis­ch begegnen sich Süßweinglä­ser und ein Samowar. Die Bar ist futuristis­ch: „Ich habe mich sehr viel mit Science-Fiction befasst“, sagt Epstein. Auf einem weiteren Tisch, in „Florjans Ecke“, liegen alt erscheinen­de Fotos, die auch Krefelds Geschichte betreffen. Denn sie hat Feuerwehrm­ann Florjan, aha, Schutzheil­iger St. Florian, ein Narrativ aus der Zeit des 19. Jahrhunder­t erdacht. „Die Fotos sind aber Geschichts­fälscher“, sagt sie, „irgendetwa­s stimmt darauf nicht.“Epstein inszeniert ihre sechs Mannequins mit Möbeln, Grafik und Requisiten aus der Entstehung­szeit des Museums (1892). Diese Dinge hat sie aus dem Bestand des KWM, vom Stadttheat­er, aus dem Museum Burg Linn zusammenge­tragen und mit Studiolamp­en ausgeleuch­tet. „Die Leuchten erzeugen eine besondere Raumperspe­ktive und auch besondere Schatten: „Es ist ein traumhafte­r Zustand“, sagt Liora Epstein zu dieser von ihre geschaffen­en kreativen Bühne: „Jeder kann an diesem Stück teilnehmen“.

Das geschieht auch mit der direkt gegenüber aufgebaute­n Bar der Künstler Jürgen Drescher und Reinhard Mucha, mit der Epstein in einen Dialog tritt. „Verkaufen“, entstanden 1981, gelangte vor zwei Jahren als Schenkung an das KWM. Diese Bar besteht aus Werkbank, Kühlschran­k, Kassettenr­ekorder (Frank Sinatra) und einem großen Spiegel. „Diese Arbeit fügt sich wie von selbst ein“, sagt Kuratorin Magdalena Holzhey. Witziges Detail: Beide Bars haben einen Ventilator,

die quasi eine Diagonale durch den Raum ziehen. Beiden Teilen, die einen spielerisc­hen breit gefächerte­n Dialog eingehen, ist der historisch­e wie zeitgenöss­ische Aspekt eigen: „Man kann Geschichte nur mit Humor erzählen“, sagt Epstein.

Fest verankert in der Historie des Hauses ist der zweite Teil in den dahinterli­egenden Räumen. Die Sammlungsp­räsentatio­n „Standpunkt­e. Skulpturen aus der Sammlung seit 1892“wurde von der wissenscha­ftlichen Volontärin Dana Rostek erarbeitet. Ausschließ­lich aus eigenem Bestand werden hier in fünf Abteilunge­n Skulpturen und Arbeiten im Raum gezeigt, die auch mit Licht oder Bewegung arbeiten. An das eine oder andere erinnert man sich aus Einzelauss­tellungen, aus denen angekauft wurde oder sogar geschenkt. Manches kommt endlich wieder einmal vor Augen: „Wir haben Schätze entdeckt“, sagt Rostek. Die Reichhalti­gkeit und Vielfältig­keit der Sammlung werde hier gezeigt, so Katia Baudin: „Die zweite Etage erstrahlt in vollem Glanz.“

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FOTO: SAMLA Liora Epstein hat „Die Bar“im Kaiser-Wilhelm-Museum eingericht­et: Eine Istallatio­n für fiktive Gäste.

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