Rheinische Post Langenfeld

In Düsseldorf wurde Grass zum Künstler

- VON DOROTHEE KRINGS

Von 1947 bis 1952 lebte der damals 19-Jährige am Rhein, arbeitete als Steinmetz, studierte an der Kunstakade­mie und spielte Jazz in der Altstadtkn­eipe „Csikos“. So tauchte er ein in ein Künstlerle­ben – und sammelte Stoff für die „Blechtromm­el“.

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DÜSSELDORF Eisig hat das Rheinland Günter Grass empfangen. Anfang des Jahres 1947 stapfte der damals 19-Jährige durch kniehohen Schnee in das zerbombte Düsseldorf, schlug sich durch bis zur Kunstakade­mie. Bildhauer wollte er werden, wollte nach den Erfahrunge­n des Krieges, nach allem, „was schändlich oder schrecklic­h gewesen war und hinterrück­s lauerte“, wie Grass in seiner Autobiogra­fie schreibt, eine neue Existenz beginnen – als Künstler. Doch das Ziel seiner hochfliege­nden Pläne, die Akademie, hatte geschlosse­n: Kohlenmang­el.

So begann die Laufbahn eines jungen Mannes, der mancherlei Talente in sich spürte, das Künstlerda­sein aber erst noch ausprobier­en musste, zunächst mit einem Handwerk: Grass kam im Steinmetzb­etrieb von Julius Göbel am Werstener Friedhof unter, lernte dort den Umgang

mit Stock- hammer und Bossiereis­en. Die „erlernbare Kunstferti­gkeit“hatte ihn gelockt, die Freiheit der neuen Existenz wollte er nutzen, um Künstler zu werden.

Also stürzte er sich ins Leben. An den Wochenende­n spielte er in den ersten Jazz-Kneipen der Nachkriegs­zeit Waschbrett, porträtier­te Menschen mit dem Zeichensti­ft und nutzte seine Chance nach der Währungsre­form 1948, doch noch an die Kunstakade­mie zu wechseln. Bis 1952 hat Grass in Düsseldorf gelebt, hat „Dönekes und Jedöns“aufgesogen, hat getanzt, geschmacht­et, geliebt und so auch im Rheinland Stoff gesammelt für die „Blechtromm­el“, jenen Roman, durch den er endgültig zum Künstler werden sollte – als Schriftste­ller.

Doch zunächst galt es, im Nachkriegs­deutschlan­d Fuß zu fassen. Grass zog in ein Caritas-Heim in Düsseldorf-Rath, das von Franziskan­ern geleitet wurde. Dort gab es ein Bett, Milchgries­suppe zum Frühstück, Zusammenge­kochtes im Henkelmann für den Tag – und ein Sakko mit Fischgrätm­uster für den Kirchgang. Grass nutzte diese Mon

tur für seine ersten Schritte in die Bohème. „Zum Tanzen ging es in den Grafenberg­er Wald in Lokale wie ,Wedig’“, erinnert sich Sigrid Müller (80), die Grass über ihren späteren Mann, Josef Müller, kennenlern­te. Der war Lehrling wie Grass und verhalf dem Freund zu einer neuen Stelle im Betrieb von Karl Moog. Der fertigte nicht nur Grabsteine, sondern arbeitete auch als Bildhauer – dorthin zog es Grass. „Er hat beim Nachbarn Äpfel geklaut, wie die anderen Lehrlinge“, erzählt Gisela Moog, damals zwölf Jahre alt, „aber mein Vater hat immer gesagt, dass aus ihm etwas Besonderes werden würde, er hatte mehr Talent, war wissbegier­iger.“

Vor allem strebte Grass mit der notwendige­n Hybris des jungen Genies nach Entfaltung, nach Ausdruck seiner Talente. Und so zeichnete er die Menschen in seiner Umgebung. „Oft ohne zu fragen“, erzählt Sigrid Müller, „auch wenn das manchmal Ärger gab.“Beizeiten klopfte er sich den Steinstaub aus den Kleidern, erprobte in den Tanzlokale­n die Verführung­skraft seiner Tango-Künste, die er von „vereinsamt­en Soldatenbr­äuten“gelernt hatte, und zog durch die Kellerknei­pen in der Düsseldorf­er Altstadt. Im legendären „Csikos“etwa, das als „Zwiebelkel­ler“in die „Blechtromm­el“eingehen sollte, wurde ungarische­r Eintopf gegessen und Dixieland gespielt. „Für mich klang das nach Freiheit und Zukunft“, sagt Klaus Doldinger. Der Jazz-Musiker war damals Schüler, schlich sich heimlich ins „Csikos“, um mit Grass zu jammen. „Er hatte eine geheimnisv­olle Ausstrahlu­ng“, sagt Doldinger, „ich habe ihn bewundert, weil er Teil der Künstlersz­ene war.“1952 zog Grass weiter nach Berlin. Sein Dixieland-Waschbrett ließ er im Rheinland zurück – wo die Freiheit begonnen hatte.

Bundespräs­ident Joachim Gauck

Schriftste­ller Salman Rushdie Juror Per Wastberg von der Schwedisch­en Akademie über den Literaturn­obelpreis für Grass 1999

Bundestags­präsident Norbert Lammert Die österreich­ische Literaturn­obelpreist­rägerin Elfriede Jelinek über den Roman „Die Blechtromm­el“ „Blechtromm­el“-Regisseur Volker Schlöndorf­f, der für den Film 1980 einen Oscar gewann.

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VERLAG/REPRODUKTI­ON F.A.Z ?? Günter Grass spielt Waschbrett.
FOTO: STEIDL VERLAG/REPRODUKTI­ON F.A.Z Günter Grass spielt Waschbrett.

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