Das doppelte Leid der Angehörigen
Der Germanwings-Absturz hat die Koalition aufgerüttelt, die Opferentschädigung weiter zu fassen. Das derzeit noch geltende Recht verlangt von den Hinterbliebenen den Nachweis, durch den Schock selbst krank geworden zu sein.
BERLIN Breit gefasst, aber mit einer schmerzlichen Lücke, so präsentiert sich in Deutschland die Opferentschädigung. Wer von einem Täter verletzt, verstümmelt oder misshandelt wurde, bekommt eine weitgefächerte Entschädigung, die bei der Krankenbehandlung beginnt und bei Erstattung von Verdienstausfall noch nicht endet. Und zwar unabhängig davon, ob der Gewalttäter am Ende verurteilt wird und wie viel Geld er selbst zahlen kann. Doch wenn das Opfer stirbt, haben die Angehörigen nicht nur den unermesslichen seelischen Schaden. Sie tun sich auch immens schwer damit, eine Entschädigung geltend zu machen.
Das führt dazu, dass eine Familie, in der der Ehepartner und Vater verletzt wird, wenigstens materiell so gestellt wird, als wäre es zu der Gewalttat nicht gekommen. Wird derselbe Mensch aber getötet, scheiden Schmerzensgeld und Entschädigung in der Regel aus.
Vor diesem Hintergrund weiß Innenstaatssekretär Günter Krings (CDU) was vor anderthalb Jahren in den Koalitionsvertrag hineingehört hätte: „Menschen, die einen nahen Angehörigen durch Verschulden eines Dritten verloren haben, räumen wir als Zeichen der Anerkennung ihres seelischen Leids einen eigenständigen Schmerzensgeldanspruch ein.“Es sei „kein guter Zustand“, erläutert Krings, dass derzeit die Hinterbliebenen „aufwendig ihr eigenes seelisches Leid beweisen müssen“.
Der Bundesgerichtshof hat die Hürden für eine Entschädigung der Angehörigen Getöteter sehr hoch gelegt. Diese müssen die Behörden davon überzeugen, dass der Tod des nahen Verwandten sie so aus der Bahn geworfen hat, dass sie selbst nun unter schweren gesundheitlichen Schäden leiden. Erst bei Psychosen, Neurosen oder Depressionen als Folge des Schocks über den Tod des nahen Verwandten wird davon ausgegangen, dass die Grenze zur normalen Trauer überschritten ist. So zynisch es in solchen Situationen für die Betroffenen auch klingen mag, nach deutschem Richterrecht gehört der Tod zum „allgemeinen Lebensrisiko“, mit dem die menschliche Natur gewöhnlich fertig wird.
Das sieht im Ausland anders aus. Während das deutsche Recht den sozialen Schaden anerkennt, akzeptiert das französische auch den seelischen, und auch das amerikanische Recht sieht die Verpflichtung, psychische Schäden zu kompensieren – bis hin zu Ersatzleistungen für den Verlust der Gemeinschaft mit einem geliebten Menschen.
Die Koalition ist wegen des Germanwings-Absturzes unter Druck geraten, das 2013 Vereinbarte endlich auch umzusetzen. Noch vor der Sommerpause soll der eigene Anspruch für Angehörige stehen und erst dann seinen parlamentarischen Weg nehmen. Die Angehörigen der Germanwings-Absturzopfer werden sich darauf also nicht berufen können.
Für sie gelten zunächst auch andere Gepflogenheiten. Üblicherweise meiden Fluggesellschaften nämlich mühsame gerichtliche Auseinandersetzungen – auch um ihr Image nicht immer wieder neu mit den Absturzfolgen zu belasten. Die von der Lufthansa für alle angekündigte Summe von 50 000 Euro soll deshalb nur der Anfang sein. Danach geht es um das Feilschen zwischen den Anwälten, die für jeden Einzelfall genau prüfen werden, welche Ansprüche die Angehörigen geltend machen können, um sie dann in einer außergerichtlichen Vereinbarung pauschal abgegolten zu bekommen. Vorsichtshalber sollen die Versicherer der Lufthansa dafür bereits Rückstellungen von 300 Millionen Dollar (283 Millionen Euro) gebildet haben.
Denn das eigentliche Schmerzensgeld ist in der Regel nur gering gegenüber den sonstigen Leistungen. So erklärt Verkehrsrechtsexperte Stefan Kasparek: „Unabhängig davon, ob ein Mensch durch Unfall, Mord oder Flugzeugabsturz ums Leben kommt, entsteht für seinen Ehepartner ein Unterhaltsanspruch.“Gemessen an der eigentlich noch erwartbar gewesenen Lebenszeit kann allein dies leicht zu sechsstelligen Summen führen.