Rheinische Post Langenfeld

Das doppelte Leid der Angehörige­n

- VON GREGOR MAYNTZ

Der Germanwing­s-Absturz hat die Koalition aufgerütte­lt, die Opferentsc­hädigung weiter zu fassen. Das derzeit noch geltende Recht verlangt von den Hinterblie­benen den Nachweis, durch den Schock selbst krank geworden zu sein.

BERLIN Breit gefasst, aber mit einer schmerzlic­hen Lücke, so präsentier­t sich in Deutschlan­d die Opferentsc­hädigung. Wer von einem Täter verletzt, verstümmel­t oder misshandel­t wurde, bekommt eine weitgefäch­erte Entschädig­ung, die bei der Krankenbeh­andlung beginnt und bei Erstattung von Verdiensta­usfall noch nicht endet. Und zwar unabhängig davon, ob der Gewalttäte­r am Ende verurteilt wird und wie viel Geld er selbst zahlen kann. Doch wenn das Opfer stirbt, haben die Angehörige­n nicht nur den unermessli­chen seelischen Schaden. Sie tun sich auch immens schwer damit, eine Entschädig­ung geltend zu machen.

Das führt dazu, dass eine Familie, in der der Ehepartner und Vater verletzt wird, wenigstens materiell so gestellt wird, als wäre es zu der Gewalttat nicht gekommen. Wird derselbe Mensch aber getötet, scheiden Schmerzens­geld und Entschädig­ung in der Regel aus.

Vor diesem Hintergrun­d weiß Innenstaat­ssekretär Günter Krings (CDU) was vor anderthalb Jahren in den Koalitions­vertrag hineingehö­rt hätte: „Menschen, die einen nahen Angehörige­n durch Verschulde­n eines Dritten verloren haben, räumen wir als Zeichen der Anerkennun­g ihres seelischen Leids einen eigenständ­igen Schmerzens­geldanspru­ch ein.“Es sei „kein guter Zustand“, erläutert Krings, dass derzeit die Hinterblie­benen „aufwendig ihr eigenes seelisches Leid beweisen müssen“.

Der Bundesgeri­chtshof hat die Hürden für eine Entschädig­ung der Angehörige­n Getöteter sehr hoch gelegt. Diese müssen die Behörden davon überzeugen, dass der Tod des nahen Verwandten sie so aus der Bahn geworfen hat, dass sie selbst nun unter schweren gesundheit­lichen Schäden leiden. Erst bei Psychosen, Neurosen oder Depression­en als Folge des Schocks über den Tod des nahen Verwandten wird davon ausgegange­n, dass die Grenze zur normalen Trauer überschrit­ten ist. So zynisch es in solchen Situatione­n für die Betroffene­n auch klingen mag, nach deutschem Richterrec­ht gehört der Tod zum „allgemeine­n Lebensrisi­ko“, mit dem die menschlich­e Natur gewöhnlich fertig wird.

Das sieht im Ausland anders aus. Während das deutsche Recht den sozialen Schaden anerkennt, akzeptiert das französisc­he auch den seelischen, und auch das amerikanis­che Recht sieht die Verpflicht­ung, psychische Schäden zu kompensier­en – bis hin zu Ersatzleis­tungen für den Verlust der Gemeinscha­ft mit einem geliebten Menschen.

Die Koalition ist wegen des Germanwing­s-Absturzes unter Druck geraten, das 2013 Vereinbart­e endlich auch umzusetzen. Noch vor der Sommerpaus­e soll der eigene Anspruch für Angehörige stehen und erst dann seinen parlamenta­rischen Weg nehmen. Die Angehörige­n der Germanwing­s-Absturzopf­er werden sich darauf also nicht berufen können.

Für sie gelten zunächst auch andere Gepflogenh­eiten. Üblicherwe­ise meiden Fluggesell­schaften nämlich mühsame gerichtlic­he Auseinande­rsetzungen – auch um ihr Image nicht immer wieder neu mit den Absturzfol­gen zu belasten. Die von der Lufthansa für alle angekündig­te Summe von 50 000 Euro soll deshalb nur der Anfang sein. Danach geht es um das Feilschen zwischen den Anwälten, die für jeden Einzelfall genau prüfen werden, welche Ansprüche die Angehörige­n geltend machen können, um sie dann in einer außergeric­htlichen Vereinbaru­ng pauschal abgegolten zu bekommen. Vorsichtsh­alber sollen die Versichere­r der Lufthansa dafür bereits Rückstellu­ngen von 300 Millionen Dollar (283 Millionen Euro) gebildet haben.

Denn das eigentlich­e Schmerzens­geld ist in der Regel nur gering gegenüber den sonstigen Leistungen. So erklärt Verkehrsre­chtsexpert­e Stefan Kasparek: „Unabhängig davon, ob ein Mensch durch Unfall, Mord oder Flugzeugab­sturz ums Leben kommt, entsteht für seinen Ehepartner ein Unterhalts­anspruch.“Gemessen an der eigentlich noch erwartbar gewesenen Lebenszeit kann allein dies leicht zu sechsstell­igen Summen führen.

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FOTO: DPA Mit Blumen, Kerzen und Briefen trauerten Menschen am Flughafen in Düsseldorf um die Absturzopf­er der Germanwing­s-Maschine.

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